Virtuelle HV

Kein Selbstläufer

Nach hartem Ringen ist die virtuelle Hauptversammlung dauerhaft im Aktienrecht verankert. Emittenten und Investoren ziehen nun hoffentlich an einem Strang, um die Aktionärsdemokratie zu bewahren.

Kein Selbstläufer

Jetzt ist es amtlich. Die Ampel-Koalition hat die qua Notgesetz in Pandemiezeiten eingeführte virtuelle Hauptversammlung (HV) fest im Aktiengesetz verankert. Das Online-Format steht nun dauerhaft als Alternative zur Präsenzversammlung zur Verfügung. Der Gesetzgeber war am Ende darauf bedacht, die Gleichwertigkeit des virtuellen Aktionärstreffens zur Veranstaltung im Saal herzustellen. Das Echo der Stakeholder fällt unterschiedlich aus, Kritik kommt von Emittenten genauso wie aus dem Kreis der Anleger. Ein Selbstläufer wird die virtuelle Hauptversammlung nicht.

Im Gesetzgebungsverfahren haben die Regelungen zur Ausgestaltung des Online-Formats erstaunliche Änderungen erfahren. Die Voraussetzungen für diese Regulierung waren denkbar schlecht, hatte doch das im Lockdown auf die Schnelle eingeführte Online-Format die Aktionärsrechte stark beschnitten. Dem Gesetzgeber war in der Not daran gelegen, dass Unternehmen während der Pandemie handlungsfähig bleiben, sie wichtige Beschlüsse fassen, Dividende zahlen und Aufsichtsräte wählen können. Die meisten Emittenten schienen sich indes sehr gut mit der Schmalspur-HV arrangieren zu können, so dass Investoren nach dieser bitteren Erfahrung verständlicherweise höchst misstrauisch einer dauerhaften Gesetzeslösung entgegensahen.

Die Bedenken der Investoren erwiesen sich als berechtigt. Der Referentenentwurf sah vor, das Frage- und Auskunftsrecht vor die Versammlung zu ziehen und es beim elektronischen Weg zu belassen. Den Aktionären sollte während der HV zwar ein Rederecht über Videokommunikation ermöglicht werden, sie sollten vor der Kamera aber live keine Fragen oder Nachfragen stellen dürfen. Das musste bei Anlegern ungläubiges Kopfschütteln auslösen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ließ dann erkennen, dass man sich in Berlin doch noch an die Vorgabe im Koalitionsvertrag erinnert, wonach die Aktionärsrechte im Online-Format „uneingeschränkt“ zu wahren seien. Das Pendel schlug zugunsten der Investoren aus, mit dem Ansinnen, die virtuelle HV möglichst nah an die gewohnte Präsenzversammlung heranzuführen. Nun kam der Aufschrei aus der Unternehmenswelt, hier wurden nun „verdoppelte“ Aktionärsrechte moniert, und es wurde befürchtet, die Emittenten könnten mit Fragen überflutet werden. Der Rechtsausschuss im Bundestag versuchte sich schließlich an einem Kompromiss, um einen geordneten Verlauf und eine angemessene Vorbereitung der Versammlung sicherzustellen. Das dürfte gelungen sein. Damit hat sich die Hoffnung der Emittenten gleichwohl nicht erfüllt, das Rad wieder zum Referentenentwurf zurückzudrehen.

Bei allen Bemühungen stellt die finale Fassung des Gesetzes Investoren und Emittenten nicht gänzlich zufrieden. Anleger bemängeln, dass ihre Rechte weiterhin eingeschränkt würden, weil die Unternehmen nicht nur eine Höchstzahl von Fragen pro Aktionär, sondern auch eine Gesamtzahl festlegen dürfen, sofern die Fragen vor der HV einzureichen sind. In dem Thema hat der Gesetzgeber aber zu Recht auf Exzesse reagiert, nachdem Kleinst­anleger das virtuelle Format ausgenutzt und kurz vor Ablauf der Einreichungsfrist auf Knopfdruck elektronisch Hunderte Fragen geschickt hatten. Institutionelle Anleger sollten unter der Eindämmung solcher Ausschweifungen jedoch nicht leiden; sie laufen nun aber Gefahr, bei Übersteigen der Höchstzahl an Fragen nicht zum Zug zu kommen. Um diesem Dilemma zu entgehen, werden Unternehmen diese Option hoffentlich nicht nutzen.

Nicht nur Investoren, auch Unternehmen, die befürchten, mit zu vielen und doppelten Fragen konfrontiert zu werden, dürften bestrebt sein, die Präsenz-HV möglichst virtuell zu simulieren. Die sowieso vorgeschriebene Einrichtung eines virtuellen Meldetisches für die Videokommunikation gibt dem Versammlungsleiter die bewährten Instrumente an die Hand, die Reihenfolge der Wortbeiträge festzulegen und Redezeiten zu begrenzen, falls zu viele Aktionäre vorstellig werden. Gerade bei kritischen Themen werden Unternehmen zudem lieber mündlich antworten wollen als schriftlich, weil Antworten schwarz auf weiß verbindlicheren Charakter haben – auch vor Gericht.

Während des Gesetzgebungsprozesses konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Aufsichtsräte und Anleger nicht an einem Strang ziehen, um die Hauptversammlung als zentrales Element von Corporate Governance und Aktionärsdemokratie zu erhalten. Es sollten nun alle Parteien sehr darum bemüht sein, dass sich dieser Eindruck in der Praxis nicht erhärtet.

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