EZB-Strategie

Lieber langweilig

Inklusives Wachstum, mehr Gleichheit, weniger Klimawandel – die Wunschliste an die Zentral­banken wird länger. Preisstabi­lität ist aber auch ein hohes Gut.

Lieber langweilig

Die Weltfinanzkrise, aber auch die Coronakrise haben offenbart, über welche Macht Zentralbanken verfügen, wie wirkmächtig die Notenbankpresse ist. Allen voran die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) haben Tausende Billionen Dollar und Euro in das Finanzsystem und die Wirtschaft gepumpt und damit wohl zweimal eine wirtschaftliche Depression wie in den 1930er Jahren verhindert. Dafür gebührt ihnen Anerkennung. Wenn das aber nun immer neue Begehrlichkeiten seitens der Politik und der Öffentlichkeit weckt oder aber die Notenbanker gar selbst überbordende Erwartungen schüren, ist das brandgefährlich. Den Zentralbanken droht schnell die komplette Überforderung – und im schlimmsten Fall gar eine Vertrauenskrise in das Geld.

Sicher ist es illusorisch, zu glauben, die Zentralbanker könnten das Rad zurückdrehen zu einer Zeit, in der sie als reine Technokraten im Hintergrund allein auf die Preisstabilität fixiert waren. Genauso sicher ist aber, dass sie nicht mit einer immer längeren Wunschliste überfrachtet werden sollten. Inklusives Wachstum, soziale Ungleichheit, Diversität, Klimawandel – mitunter geht es da derzeit munter nach dem Motto „Wer hat noch nicht, wer will noch mal?“. Bei vielen dieser Themen fehlt den Zentralbanken aber schlicht das richtige Instrumentarium – und statt der Geldpolitik ist die Politik gefragt. Eine Zentralbank ist, um es mit Ex-Bundesbankpräsident Axel Weber zu sagen, eben doch keine „eierlegende Wollmilchsau“.

Leider tragen auch einige Notenbanker selbst dazu bei, dass sich immer neue und immer größere Erwartungen an die Zentralbanken richten. Mitunter erklärt sich das wohl mit de­ren Vergangenheit, weil vermehrt Politiker in die Zentralbanken wechseln. In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit mag dies sogar von Vorteil sein. Zumindest bei einigen scheinen die „politischen Instinkte“ indes ausgeprägter als das Interesse an der geldpolitischen Kärrnerarbeit. Neben den Instrumenten mangelt es den Zentralbanken aber auch an der demokratischen Legitimität für Entscheidungen, die ebenso hochpolitisch wie hochbrisant sind. Statt die Politisierung der Geldpolitik noch zu forcieren, sollten die Zentralbanker auf das Gegenteil hinwirken – die Entpolitisierung. Das gilt für die EZB als besondere Notenbank für 19 Länder noch mehr als für andere.

Die US-Notenbank stellt beispielsweise in ihrer neuen Strategie jetzt noch stärker auf den Arbeitsmarkt ab. Das ist noch mit ihrem dualen Mandat aus Preisstabilität und Vollbeschäftigung vertretbar – solange sie Ersteres nicht fahrlässig schleifen lässt. Wenn sie aber nun speziell auf die Arbeitslosigkeit unter sozial Benachteiligten zielt, wird es fragwürdig. Was will die Fed im Zweifelsfall tun, um Schwarze oder Hispanics in Jobs zu bringen? Überhaupt die soziale Ungleichheit: Na­türlich hat Geldpolitik Verteilungswirkungen. Die Notenbanker müssen diese auch insofern berücksichtigen, wie sie das Erreichen der Preisstabilitätsziele beeinflussen. Eine explizite Ausrichtung an Verteilungszielen wäre aber verfehlt. Die Verantwortung dafür liegt bei der Politik.

Das gilt auch für den Klimawandel. Ohne Frage stellt der Klimawandel eine Jahrhundertaufgabe dar und er ist auch für Zentralbanken ein essenzielles Thema. Als Bankenaufsicht und Wächter der Finanzstabilität müssen sie etwa finanzielle Risiken aus dem Klimawandel analysieren und versuchen, diese einzudämmen. Klimarisiken müssen in die makroökonomischen Modelle integriert werden. Zudem können die Zentralbanken bei ihren Eigenportfolios Wegbereiter für Nachhaltigkeit sein. Eine Ausrichtung der Geldpolitik am Klima birgt aber Interessenkonflikte und wäre ein großes Risiko. Ein wirksamer CO2-Preis ist zudem allemal wichtiger als jedes grüne Anleihekaufprogramm. Die Zentralbanken taugen nicht als Klimaretter.

Das alles ist umso wichtiger, als den Zentralbanken in ihrer Kernverantwortung Preisstabilität Ungemach, mindestens aber mehr Arbeit dräut. Natürlich, der aktuelle Inflationsanstieg weltweit ist noch kein Grund für Panik. Gleichwohl zeigt sich, wie leichtfertig es wäre, die Inflation respektive die Kontrolle derselben auf die leichte Schulter zu nehmen. Wer zumal in einem solchen Umfeld die Zentralbanken mit potenziell widersprüchlichen Zielen belastet, riskiert, dass die hart erarbeitete Glaubwürdigkeit im Kampf gegen die Inflation schnell erodiert. Mancher mag es verdrängt haben, aber eine hohe und volatile Inflation ist auch schrecklich für Arbeitnehmer und Unternehmen und kann dramatische politische Auswirkungen haben. Vielleicht ist es gerade jetzt am nötigsten, dass sich die Zentralbanken auf die Inflation konzentrieren – so langweilig das auch klingen mag.