Lkw-Industrie

Neue Risiken

Die Hersteller von Lastwagen erfreuen sich einer Auftragsflut. Doch der Krieg in der Ukraine bringt neue Risiken. Die Manager der Unternehmen sind gefordert.

Neue Risiken

Die Situation ist paradox: Die Nachfrage ist extrem stark, und doch ist die Freude der Lastwagenhersteller getrübt. Nach wie vor fehlt es ihnen wie der gesamten Fahrzeugindustrie und anderen Branchen an Halbleitern. Und nachdem ein Krieg in Europa jahrzehntelang nicht für möglich gehalten worden ist, sieht die schreckliche Realität seit dem 24. Februar ganz anders aus. Das Grauen in der Ukraine überschattet jeden Geschäftserfolg. Dass der Krieg die Engpässe in den Lieferketten verschärft, ist verglichen mit Tod, Zerstörung und Flucht nur eine Nebensache. Doch müssen sich die Unternehmen den zusätzlichen Anforderungen stellen.

Auch ohne die nicht absehbaren Folgen des Kriegs liegen die Erwartungen in der Branche und von Marktforschern in einer weiten Spanne. Darin spiegelt sich die wachsende Ungewissheit wider. Für den Lkw-Absatz in Nord- und Südamerika wird jeweils ein Wachstum zwischen 0 und 15 % erwartet, für Europa von 0 bis 10 %. Die Erholung nach dem Absturz im Coronajahr 2020 war kräftig: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der neu zugelassenen Lkw mit einem Gewicht von mehr als 6 Tonnen in Europa um 17 %, in Nordamerika um 12 %. Das Niveau von 2019 liegt allerdings noch ein Stück entfernt und wäre in diesem Jahr auch am oberen Rand der Prognosespanne nicht zu erreichen.

Der Mangel an Chips bremste das Aufholen der Märkte empfindlich und steht den Lkw-Produzenten weiterhin im Weg. Der Weltmarktführer Daimler Truck zum Beispiel hätte nach Aussage des Vorstands 15 bis 20 % mehr Lkw verkauft, wenn es 2021 genügend Halbleiter gegeben hätte. Auch in diesem Jahr wäre mehr drin, als bisher geplant wird.

Immerhin hat das seit vier Monaten eigenständige Unternehmen Glück, dass es Kabelbäume nicht aus der Ukraine bezieht. Der Wettbewerber MAN musste wegen der reduzierten Produktion von Zulieferern in dem Land die Fertigung in zwei Lkw-Werken stoppen und an drei Standorten Ausfälle hinnehmen. Die Kurzarbeit wird verlängert und könnte in der Spitze 11000 Beschäftigte von MAN treffen. Die Ausfälle belasten das Unternehmen mitten im Umbau zu einer effizienteren und ertragreicheren Marke der Traton-Holding von Volkswagen. Da Lieferfristen nicht eingehalten werden können, bietet MAN den Kunden an, die Aufträge zu stornieren. Doch wohin sollen zum Beispiel Speditionen ausweichen? Daimler Truck etwa ist in den größten Märkten Nordamerika und Europa für dieses Jahr ausverkauft. Es herrscht eindeutig ein Verkäufermarkt. Zu erkennen ist das auch daran, dass die Lkw-Hersteller anscheinend mühelos höhere Preise durchsetzen. So können sie die kräftig gestiegenen Ausgaben für Rohstoffe, Material und Energie zumindest zum Teil ausgleichen.

Dass Kunden wegen des hohen Dieselpreises Bestellungen verschieben oder streichen, zeichnet sich bisher nicht ab. Der Logistikverband BGL warnt jedoch vor einem Existenzkampf der Speditionen, da sie ihre gestiegenen Kosten nur mit einigen Wochen Verzögerung an ihre Kunden weitergeben könnten. Die Lobbyvereinigung ruft deshalb nach Staatshilfe.

Der Krieg in der Ukraine erschüttert aus menschlicher Sicht, Unternehmern und Managern zeigt er die wachsenden geopolitischen Risiken auf. Auch China rückt damit stärker in den Blick – vor dem Hintergrund des weiterhin ungelösten Handelskonflikts mit den USA und der politischen Spannungen mit Taiwan. Für die europäischen und amerikanischen Lkw-Hersteller spielt der größte Markt der Welt für schwere Nutzfahrzeuge bei weitem nicht so eine dominante Rolle wie im Fall der westlichen Pkw-Marken. Ein Grund dafür ist, dass chinesische Lastwagenproduzenten hohe Marktanteile besitzen. Allerdings verlangen die Kunden zunehmend höherwertige Fahrzeuge. Die schwedische Traton-Marke Scania baut ein Werk in der Nähe von Schanghai und will in diesem Jahr als erster westlicher Hersteller eine Serienproduktion ohne lokalen Partner starten.

Dennoch wird Scania wie die anderen in der Branche die Expansionspläne für China überdenken müssen. Aus politischer Sicht versprechen die Märkte in Nordamerika und in den meisten Ländern Europas mehr Stabilität. Der Angriff Russlands verdeutlicht auf erschreckende Weise, wie sich vermeintliche Gewissheiten plötzlich in Luft auflösen. Es genügt nicht mehr, auf eine veränderte Welt zu reagieren. Manager müssen die Unternehmen gegen neue Risiken wappnen – gegen Risiken für Lieferketten, Produktionsstandorte und Absatzmärkte.

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