Lebensversicherer

Neues Geschäft aus alten Garantien

Die Zeiten, in denen Lebensversicherung und Assetmanagement getrennte Welten waren, sind vorbei. Ob das eine oder das andere ist heute oftmals nur noch eine Frage des Namens, nicht des Risikos.

Neues Geschäft aus alten Garantien

Von Michael Flämig, München

Lebensversicherer und Assetmanagement: Das waren einst getrennte Welten. Sicherheit hier, die Chance auf Outperformance dort – so lautete die Formel. Das sei auch gut so, lautete die Einschätzung des Chefs eines Versicherers noch vor gut einer Dekade. Es könne gesellschaftlich nicht gewollt sein, dass der Einzelne das Kapitalmarktrisiko für seine Altersvorsorge tragen müsse.

Diese Zeiten sind vorbei. Landauf, landab singt die Assekuranz das Hohelied fondsgebundener Verträge ohne Garantien. Eine „Win-win-Situation“, lautet die Quintessenz beispielsweise von Allianz-Finanzvorstand Giulio Terzariol. Denn die Versicherer müssen derlei Policen mit weniger Kapital unterlegen, und den Kunden winkt in Zeiten der Niedrigzinsen die Chance auf eine höhere Rendite als bei Verträgen mit Garantien. Tatsächlich boomt das Geschäft (vgl. BZ vom 24. August). Die Branche steht jedoch vor einem Problem: Was tun mit jenen Kunden, denen früher eine hohe Verzinsung garantiert wurde und deren Verträge nun wie Blei in den Büchern liegen? 

Die Frage ist nicht neu, daher gibt es einige Antworten. Die Öffentlichkeit schreckt dann auf, wenn ein Versicherer sein Portfolio verkauft. Generali tat dies in Deutschland, und in den USA registriert das „Wall Street Journal“ nun eine größer werdende Welle von Deals. Zwei Dutzend Investmentfirmen besäßen oder kontrollierten 50 Versicherer.

Kein Wunder, denn die Aktionäre sitzen den börsennotierten Versicherern im Nacken. Investoren ließen sich unter anderem von der Volatilität der Verbindlichkeiten gegenüber den Kunden im Solvency-II-Modell erschrecken, so die Beobachtung von Allianz-Chef Oliver Bäte. Diese Volatilität führt zu Schwankungen des erforderlichen Risikokapitals. Bäte fügte bei Vorlage der Halbjahreszahlen mit Blick auf diese Volatilitäten hinzu: „Sie sind meiner Meinung nach häufig ein bisschen mathematischer Fake, aber sie sind echt, weil wir sie zeigen“ – also nicht echt, weil es diese Volatilitäten gebe, sondern weil sie Teil des Modells seien.

Lösungen ohne Verkauf

Sie können beispielsweise hoch sein, weil die Risikokategorie Spread Risk sich für den Versicherer ändert. Teils werden Ausschläge von 10 % bis 20 % im Quartalsrhythmus beobachtet. Die Folge: Einmal ist Überschusskapital für neues Geschäft vorhanden, dann fehlt es. Zinsänderungs- und damit Wiederanlagerisiken schlagen ebenfalls ins Kontor.

Was tun? Der Verkauf der Altbestände kommt vor allem für jene Versicherer kaum in Frage, die weiterhin Lebensversicherungspolicen an Mann und Frau bringen wollen. Viele Kunden reagieren mit Protest, wenn ihre Altersvorsorge von einem vertraut-seriösen Versicherer in die Hände beispielsweise von Private-Equity-Investoren wandert. Der folgende Reputationsschaden gefährdet das Neugeschäft. Zudem sind derlei Transaktionen langwierig und komplex, auch die Aufsichtsbehörden filzen die Regelungen penibel.

Die Allianz hat daher für ihr deutsches Portfolio vor langer Zeit erklärt, ein Verkauf von Beständen stehe nicht zur Debatte. Quer durch Europa fallen die Münchner allerdings seit einigen Monaten mit anderen Lösungen auf, um Kapital freizuschaufeln. Damit nicht genug: Bäte hatte zur Vorlage der Halbjahreszahlen so explizit den Willen bekundet, auch mit Blick auf den Kapitalmarkttag am 3. Dezember aktiv zu werden, dass weitere Transaktionen zu er­warten sind. Derlei Deals lassen sich kaum über einen Kamm scheren, denn oft handelt es sich um maßgeschneiderte Lösungen. Dennoch sind mittlerweile Kategorien erkennbar.

Die einfachste Lösung: Bestehende Portfolios mit Großkunden neu verhandeln. In Italien beispielsweise hat die Allianz ein spezielles Pensionskassengeschäft, das nur für einen Fünfjahreszeitraum vereinbart wird, frisch abgeschlossen. Der Garantiezins wurde von 1,5% auf 0% ge­drückt, das Volumen beträgt 2,6 Mrd. Euro. In ähnlicher Weise stellte die Allianz in Frankreich ein 1,5-Mrd.-Euro-Portfolio um. Eine „gesunde Marge“ sei erzielt worden, heißt es in einer Analystenpräsentation.

In beiden Fällen handelt es sich, streng genommen, weniger um eine Backbook-Umstrukturierung. Vielmehr wird der häufig spezielle Rechtsrahmen genutzt, damit der Kunde andere Bedingungen akzeptiert. Daher weist die Allianz beide Transaktionen als Neugeschäft aus. Die niedrigen Garantien erlauben die Freisetzung von Kapital, jedoch ist dessen Volumen sehr beschränkt. Terzariol beziffert es in Italien und Frankreich auf addiert 50 Mill. Euro.

Standortvorteil Bermuda

Ein Vielfaches ist zu holen, wenn die Portfolios ökonomisch abgegeben werden – wenngleich die Dimensionen für einen Multi wie die Allianz mit einem Risikokapital von rund 40 Mrd. Euro trotzdem überschaubar sind. Der Trick, um einen Verkauf zu vermeiden: Eine Rückversicherungslösung, so dass der Kundenkontakt in der Regel bei dem Versicherer bleibt. In der Schweiz holte die Allianz die Bermuda-Gesellschaft Resolution Re ins Boot, indem die Markt- und Versicherungsrisiken eines Portfolios von 4 Mrd. sfr abgegeben wurden. In den Benelux-Ländern wurden 95000 Policen an den Bermudas-Rückversicherer Monument Re verkauft. Die Transaktionsdetails bestimmen, ob der Versicherer am Ende rote Zahlen oder einen Gewinn einfährt. Im Fall Benelux betrug der Nettoverlust 46 Mill. Euro.

Für die Rückversicherer ist nicht der mögliche Transaktionserlös der treibende Faktor. Sie können an Stellschrauben drehen, die dem Versicherer nicht zugänglich sind. Der Kauf vielerlei Portfolios eröffnet die Möglichkeit, Skaleneffekte in der Bewirtschaftung zu heben. In der Kapitalanlage kann dies auch über Diversifikation führen. Außerdem eröffnet der Sitz in Bermuda steuerliche Vorteile. Wichtiger dürfte dieser Standort allerdings deswegen sein, weil er Arbitrage-Möglichkeiten bietet. Das dortige Solvenzregime wird äquivalent zu Solvency II anerkannt, jedoch muss der gleiche Investmentmix mit weniger Risikokapital unterlegt werden. So steigt der Return.

Die Rückversicherer schauen vor allem dorthin, wo den Versicherern der Schuh drückt – die durchschnittlichen Garantiezinsen also hoch sind. Im Fall der Allianz stand Ende vergangenen Jahres Belgien an der Spitze (1,9% bei 7,1 Mrd. Euro Deckungsrückstellungen), auf dem dritten Platz rangierte die Schweiz (1,5% bei 12,0 Mrd. Euro). Bleibt die Frage, ob die Münchner auch auf dem Heimatmarkt aktiv werden. Der Bedarf wäre da: Die Verzinsung betrug im Schnitt 1,8%, die Deckungsrückstellungen addierten sich auf 218 Mrd. Euro. Aber: Selbst mit anderen Werkzeugen wie Derivaten ließe sich schon viel bewegen.

Mit den Altbeständen verabschiedet sich die alte Welt der Lebensversicherung endgültig. Bäte fasste es im Gespräch mit Analysten so: „Ob ein Produkt, das sie heute kaufen, unter Lebensversicherungs- oder Asset-Management-Produkt läuft, ist häufig eine Frage der Nomenklatur.“

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