Mindestlohn-Erhöhung

Regierung beweist Mut zum Sprung

Mit der geplanten Mindestlohn-Erhöhung beweist die Ampel Mut. Die Kritik der Arbeitgeber ist verständlich – kommt aber aus falschen Motiven.

Regierung beweist Mut zum Sprung

Die Gewerkschafter frohlocken, die Arbeitgeber murren. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will noch dieses Jahr die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro durchboxen. Mit viel Widerstand aus der Ampel-Regierung wird er nicht rechnen: Im Koalitionsvertrag haben sich die drei Parteien auf die Anhebung des Mindestlohns geeinigt. Selbst die marktwirtschaftlich orientierte FDP hat zähneknirschend eingelenkt, nach der Einführung der Lohnuntergrenze 2015 erneut politisch in das deutsche Lohngefüge einzugreifen. Und aller – berechtigten – Kritik zum Trotz: richtig so.

Die letzte Empfehlung der Mindestlohn-Kommission, in der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und wissenschaftliche Experten gemeinsam eine sinnvolle Untergrenze definieren, stammt aus dem Juni 2020 – aus der ersten Hochphase der Coronavirus-Pandemie. Entsprechend zurückhaltend beschloss das Gremium eine vorsichtige Anhebung in vier Stufen. Schon damals waren 12 Euro im Gespräch, aber vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise infolge der Pandemie nicht mehrheitsfähig.

Die Kritik von Arbeitgeberseite bezieht sich vordergründig auf die Untergrabung von tarifpolitischen Gesetzmäßigkeiten und auf die vermeintliche Entmachtung der Mindestlohn-Kommission. So monieren der Arbeitgeberverband BDA und arbeitgebernahe Wirtschaftsinstitute, Heil greife mit seinem Vorstoß der Kommission vor und stelle die Tarifautonomie in Frage. Die Arbeitgeber kündigten, kaum dass der Referentenentwurf druckfrisch auf ihrem Tisch landete, an, zur Not auch juristisch gegen die Erhöhung des Mindestlohns vorgehen zu wollen. Denn die Tarifautonomie ist verfassungsrechtlich verankert. Doch der Einwand, eine vom Gesetzgeber veranlasste Mindestlohn-Erhöhung grätsche in bestehende Tarifverträge, ist nur ein vorgeschobener Grund.

Die Arbeitgeber jammern seit nunmehr fast zwei Jahren – und auch das zu Recht – über die Auswirkungen der Corona-Einschränkungen. Gedrosselte Produktion, Kurzarbeit, mangelnde Konsumlust, De-Facto-Berufsverbote etwa für Frisöre und andere körpernahe Dienstleistungen und nicht zuletzt die Lieferkettenprobleme belasten sie. Hier liegt der wahre Grund für ihre Ablehnung: Ein Mindestlohn von 12 Euro die Stunde dürfte einige Unternehmen teuer zu stehen kommen. Studien zufolge würden rund 9 Millionen Beschäftigte in Deutschland von einer Erhöhung profitieren. Kostenpunkt laut Ökonomen: rund 9 Mrd. Euro. Dafür zahlen werden die Unternehmen.

Und doch ist es der richtige Zeitpunkt für den Mindestlohn-Sprung. Die schlimmste Zeit der Pandemie scheint überstanden. Die Beschränkungen sollen bis Ostern nahezu überall fallen – das wird auch die Konsumlust der Privathaushalte über den Sommer wieder ankurbeln. Der Materialmangel nimmt ab, der Welthandel erholt sich. Die Industrie produziert wieder mehr und arbeitet ihre vollen Auftragsbücher ab. Kurz gesagt: Es kommt Schwung in die Konjunktur.

Davon müssen auch die Beschäftigten profitieren – gerade in Zeiten einer anhaltend hohen Inflation, boomender Immobilienpreise und teurer Energie. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, in der steigende Lohnkosten von den Unternehmen auf ihre Preise aufgeschlagen werden und somit die Teuerung weiter anheizen, besteht den meisten Ökonomen zufolge nicht. Gerade eine einmalige Anhebung des Mindestlohns wird sich nicht dauerhaft auf die Inflationsrate auswirken.

Die Arbeitgeber haben es jahrelang in vielen Branchen in freien Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften versäumt, auskömmliche Löhne auszuhandeln. Dass nun der Gesetzgeber eingreift, um diesen Missstand einmalig zu korrigieren, haben sie – nach Ansicht der Gewerkschaften – selbst mit zu verantworten. Zudem zeigt etwa das Hotel- und Gaststättengewerbe gerade eindrücklich, dass ein höherer Stundenlohn durchaus finanzierbar ist. In mehreren Bundesländern zielen die jüngsten Tarifabschlüsse der Branche ohnehin auf 12 Euro und mehr pro Stunde ab.

Mit dem Vorstoß der raschen Erhöhung der Lohnuntergrenze beweist die Ampel-Regierung Mut. Allerdings, und das soll am Ende nicht unerwähnt bleiben: Nach der Landung sollten die Empfehlungen der Mindestlohn-Kommission für weitere Anpassungsschritte wieder maßgeblich sein. Sonst droht der Mindestlohn künftig zum Spielball von Wahlkampf und Politik zu werden.

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