Schanghai

Schanghai macht sich auf aufzumachen

Mehr als vierzig Tage nach dem eigentlich auf vier Tage veranschlagten Lockdown in Schanghai wollen die Stadtväter auf die Zielgerade einbiegen. In vier Tagen soll es mit der graduellen Öffnung losgehen, die dann sicherlich kaum mehr als vierzig Tage beanspruchen wird.

Schanghai macht sich auf aufzumachen

Gut sechs Wochen nach dem offiziellen Startdatum und damit acht Wochen nach dem eigentlichen Beginn des harten Lockdowns in Schanghai darf man schon einmal die Frage stellen, wie es denn jetzt so weitergehen mag mit der chinesischen Metropole und Wirtschaftsperle Schanghai. Irgendwie scheinen das auch die Stadtväter und Parteiführer gespürt und mitbekommen zu haben. Sie haben zum ersten Mal eine Ansage gemacht, wohin die Reise gehen soll. Genau genommen ist es nicht das erste Mal, sondern das zweite Mal, dass über die Dauer des Lockdown informiert wird. Am 27. März, einem Sonntag, wurde nämlich klipp und klar mitgeteilt, dass man erst die östliche Stadthälfte Pudong für vier Tage komplett absperren wolle, um anschließend gleich wieder aufzumachen und dafür auf der anderen, Puxi genannten Seite für ebenfalls nur vier Tage die Rollläden herunterzulassen.

Das geniale wirtschaftsschonende Halbe-Halbe-Lockdown-System verliert natürlich seinen Charme, wenn man, ätsch-bätsch, beide Hälften zulässt und aus den versprochenen vier Tagen sicherheitshalber vierzig und mehr macht. Aber es gilt optimistisch nach vorne zu blicken. Der erfahrene Parteisoldat Chen Tong, einer der Vizebürgermeister Schanghais, hat am Sonntag Tacheles geredet und gesagt, dass alles wieder besser wird. Chen gilt im Kreis der Schanghaier Regierungsverantwortlichen nicht als die hellste Kerze auf der Torte und hat dies wieder einmal eindrucksvoll bestätigt. Bei seinem Redeauftritt trug er die professionelle Coronaschutzmaske nach K95-Standard falsch herum, so dass der für die Nasenausbuchtung gedachte Spitzkegel sein Kinn mächtig zuspitzte, während die Nase vom falschen Ende des Gummizuges platt gedrückt wurde.

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Verzichten wir aber auf seuchenschutztechnische Pingeligkeiten und konzentrieren uns auf die Hauptbotschaft: Schanghai werde sich nach imposanten Erfolgen bei der Eindämmung von Neuansteckungen in der sogenannten „Community“ ab Mitte des Monats auf den graduellen Weg der Lockerung begeben. Was kann der Vize-Bürgermeister gemeint haben? Nun, unter Community versteht Schanghai in Corona-Zeiten alle Anwohner, die in ihrer regulären Behausung unter Verschluss geblieben sind und nicht wegen tatsächlich nachgewiesener Erkrankung, vermuteter Ansteckungsgefahr oder Nähe zu nachgewiesen oder vermuteten Angesteckten in eines der Quarantänelager und neu errichteten Unterbringungsstätten von Größe, Aussehen und Charme eines Bauarbeiterklos verschleppt wurden. Die Aussätzigen am Stadtrand gehen in dieser Logik nicht mehr in die Community-Statistik ein, so dass sich die Chancen auf Nullansteckung in der gesunden Gemeinschaft erhöhen.

„Mitte des Monats“ wiederum ist in chinesischer Behördensprache ein Begriff, der eher auf den 20. als den 15. eines Monats gemünzt ist und in diesem Fall eine besondere Bewandtnis hat. Der 20. Mai wird von der jüngeren chinesischen Generation als eines von drei besonders romantischen Daten im Kalender verstanden. An solchen Tagen haben die Herren der Schöpfung sich mit allerlei Valentinstags-Verrenkungen um ihre Liebste zu kümmern und sie mit Blumengrüßen, Geschenken und romantischen Essenseinlagen zu traktieren. Damit stellt der 20. Mai auch einen der Saisonhöhepunkte für Teile des Einzelhandels- und Gastgewerbes dar.

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Man darf den ersten Lockerungsschritt vom Timing her also als eine romantische Geste ansehen, mit der die Schanghaier Stadtväter ihren Liebesbeweis an die Bevölkerung erneuern. Es heißt aber freilich nicht, dass bis dahin irgendwelche Geschäfte und Restaurants wieder offen haben werden oder Logistikketten dergestalt funktionieren, dass Hunderttausende Rosensträuße ausgeliefert werden könnten. Wer am 20. Mai romantischen Zauber entfachen möchte, kann je nach Inhalt des letzten Versorgungspakets der jeweiligen Gemeinde vielleicht aber doch einen aufgesparten Blumenkohl zücken und sich mit einem liebevoll zubereiteten Instantnudelgericht hervortun.

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