Containerschifffahrt

Überhitzt

Containerreedereien erleben eine unerwartete Sonderkonjunktur. Sie sollten sich auf den Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit nach Ende der Corona-Pandemie einstellen.

Überhitzt

Als sich die Corona-Pandemie vor gut anderthalb Jahren weltweit auszubreiten begann, war nicht abzusehen, dass die Containerschifffahrt zu den Branchen gehören könnte, die im weiteren Verlauf von den Folgen der Krise in besonderer Weise profitieren. Der starke Rückgang der Transportmenge im zweiten Quartal 2020 und die offene Frage, wie schnell und in welchem Umfang sich Weltwirtschaft und Welthandel von dem erwarteten Einbruch erholen würden, veranlassten Reedereien, Sparmaßnahmen zu ergreifen und Schiffskapazitäten zu reduzieren. Auch beeilten sich einzelne Länder wie Südkorea und Frankreich, Schifffahrtsunternehmen Finanzhilfen oder Bürgschaften bereitzustellen, um Liquidität zu sichern.

Erneut in schwere See geraten ist die Branche, die vor wenigen Jahren noch die Folgen eines irrationalen Verhaltens bei Schiffsbestellungen während der Finanzmarktkrise verarbeiten musste und aufgrund eines ruinösen Wettbewerbs mit Frachtratenerosion bis 2018 eine weitere Konsolidierungswelle erlebte, nicht. Eine unerwartet starke Nachfrage nach Containertransporten, für die seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres insbesondere ein deutlich anziehender Konsum in den USA und in Europa, aber auch andere Faktoren wie erhöhte Bevorratungen durch Unternehmen als Folge gestörter Lieferketten gesorgt haben, hat zu einem deutlichen Anstieg der Frachtraten geführt. Nach langer Zeit verdienen die Reedereien wieder ihre Kapitalkosten, schütten steigende Dividenden aus und reduzieren Schuldenlasten. Im Zuge des operativen Aufschwungs fallen auch Bewertungen durch Ratingagenturen besser aus: Die größte deutsche Containerreederei Hapag-Lloyd etwa freut sich seit März über die höchste Bonitätseinstufung ihrer Unternehmensgeschichte.

Die starke Nachfrage nach Containertransporten ist ungebrochen. In Verbindung mit der daraus resultierenden Verknappung von Container- und Schiffskapazitäten setzt sich der Frachtraten-Boom fort. Die großen Reedereien werden für das Geschäftsjahr 2021 hervorragende Ergebnis- und Bilanzkennzahlen ausweisen. Sie müssen sich inzwischen der Frage stellen, inwiefern die hohen Renditen auch eine Folge der jüngsten Fusions- und Übernahmewelle, mithin also eine Folge reduzierten Wettbewerbs sein könnten. Branchendiensten zufolge stellen die zehn größten Linienreedereien heute rund 85% der Gesamtkapazität der weltweiten Containerschiffsflotte. Vor acht Jahren lag dieser Anteil noch bei gut 60%. Die Marktmacht von Mærsk & Co. hat deutlich zugenommen. Zugleich gilt aktuell, dass 15 bis 20% der Kapazitäten infolge gestörter Transportketten nicht verfügbar sind.

In Anbetracht unpünktlicher Lieferungen bei zugleich höchsten Transportpreisen überzeugt der Hinweis der Reedereien, dass ihr Zusammenschluss in drei global agierenden Allianzen in der gegenwärtig überhitzten Lage mit Überlastungen der Hafen- und Hinterlandinfrastrukturen Abstimmungen über operationelle Themen erleichtere, nicht – vor allem nicht betroffene Kunden. Im Interesse der Gesellschaften, die sich das Ziel der Qualitätsführerschaft auf die Fahne geschrieben haben, sollte es daher sein, nicht nur für zuverlässige Transporte zu sorgen und dafür auch Einfluss auf die Abläufe bei wichtigen Umschlagterminals nehmen zu können. Gerade bei langfristigen Kundenkontrakten sollten sie auch auf angemessene Preise achten und Frachtraten nicht mehr erhöhen. Dass dies bei stark gestiegenen Raten für Charterschiffe sowie in Anbetracht der Engpässe in Häfen und deutlich erhöhter Kosten für die Lagerhaltung nicht leichtfällt, liegt auf der Hand.

Mit einem schnellen Ende der aktuellen Sonderkonjunktur ist nicht zu rechnen. Eine zumindest graduelle Normalisierung ihrer Ertragslage erwarten die großen Containerreedereien inzwischen erst im kommenden Jahr. Das Nachfragewachstum dürfte das Kapazitätswachstum aber auch 2022 noch übertreffen. Denn das in den vergangenen Quartalen größer gewordene Schiffsorderbuch wird sich erst vom übernächsten Jahr an spürbar auf die weltweite Flotte auswirken. Die derzeit außergewöhnliche Situation sollte die Reedereien indes nicht davon abhalten, in Erwartung einer voraussichtlich neuen Normalität für die Branche auf den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit zu achten. Strategien, die vor Beginn der Pandemie definiert wurden, werden sie in Anbetracht erwartbarer Veränderungen im Markt und der verbesserten Finanzausstattung überprüfen müssen.

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