Wien

Umfahrung, Umgehung und Umgang

Der Ukraine-Krieg verändert für die Russen so einiges. Gerne wird dem Westen vorgeworfen, Russland schlechter zu behandeln als andere. Jetzt leiden aber auch privilegierte Russen im Inland unter den Folgen.

Umfahrung, Umgehung und Umgang

Vor Kurzem habe ich hier am Beispiel dreier Russen erzählt, wie kompliziert sich die Wege gestalten, auf denen man – in der neuen Ermangelung direkter Verkehrsverbindungen zu vielen Ländern – aus oder nach Russland fahren kann. Den Vogel in der Kreativität schoss nun freilich ein Bekannter ab, der die zeitlich und finanziell optimale Route aus der Schweiz nach Moskau entdeckt zu haben meint. Und die geht so: Erst mal fliegt er mit dem Flugzeug aus Zürich in die estnische Hauptstadt Tallinn. Dann fährt er mit dem Uber-Taxi weiter in die estnisch-russische Grenzstadt Narwa. Zu Fuß überquert er die Brücke über den gleichnamigen Grenzfluss Narwa, um auf russisches Staatsgebiet zu gelangen. Anschließend ordert er ein Taxi beim russischen Anbieter Yandex zum Flughafen Pulkowo in St. Petersburg. Und von dort fliegt er nach Moskau. Klingt kompliziert? Ist es wohl auch. Aber nach Meinung meines Bekannten ist dieser Weg kürzer als die gängige Umwegflugroute mit Umsteigen in Istanbul. Europa und Russland waren sich eben auch infrastrukturell schon mal näher.

Von der Nähe zwischen den Russen und den Ukrainern, die inzwischen verloren gegangen ist, ganz zu schweigen. Wie die Verwerfungen sich bei Begegnungen im Alltag äußern, erzählte dieser Tage ein Russe, der ein deklarierter Putin-Gegner und nach Beginn des Ukraine-Krieges – zumindest temporär – nach Deutschland ausgewandert ist. Als er neulich mit dem Zug von Österreich nach Deutschland unterwegs war und bei einer Kontrolle seine russische Staatszugehörigkeit zutage kam, hätten zwei jüngere Ukrainerinnen, die auf der anderen Seite des Korridors gesessen hätten, demonstrativ den Waggon gewechselt, erzählte er.

Mit einer älteren Ukrainerin aus der ostukrainischen Stadt Charkow sei er später ins Gespräch gekommen und habe ihr bei der Installation einer App auf ihrem Mobiltelefon geholfen. Sie habe nichts gegen Russen, wollte sie ihn beruhigen. In Wahrheit nämlich sei sie eine Anhängerin von Wladimir Putin. Bemerkenswert, dass in Russland zuletzt häufig eine Anekdote kursiert, die auf den großen Schriftsteller und Satiriker aus dem 19. Jahrhundert, Michail Saltykow-Schtschedrin, zurückgeht. 1881 soll ein Mann im Gespräch mit ihm darüber geklagt haben, dass man ihm in Paris für seine Rubel nur noch einen lächerlichen Wechselkurs, also nur ein paar Franken, gegeben habe. Das gehe ja noch an, erwiderte ihm Saltykow-Schtschedrin: „Schlimmer wird’s, wenn sie uns für unseren Rubel eine auf die Fresse zu geben beginnen.“

Es war schon immer ein beliebter Topos der postsowjetischen Ge­schichte, dass die Russen im Westen schlecht und jedenfalls schlechter als andere Nationen behandelt werden. In der Ära des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bekommt dieser Topos eine neue Aktualität. Dazu passt, dass nun die Zentralbank ihren über 41000 Mitarbeitern in einem internen Brief „eindringlich rät“, von Reisen in „unfreundliche Staaten“ so lange Abstand zu nehmen, bis es „eine besondere Verfügung“ dazu gebe. Argumentiert wird die Empfehlung, die noch kein Verbot ist, mit möglichen Sicherheitsgefährdungen im Ausland und mit Schwierigkeiten bei der Rückreise. Insbesondere wird der Rat an jene Mitarbeiter gerichtet, die Zugang zu Staatsgeheimnissen haben. Als „un­freund­lich“ wurden von der Regierung Anfang März 48 Staaten eingestuft, weil diese Staaten Russland mittels Sanktionen einen Wirtschaftskrieg erklärt hätten.

Dass es nicht mehr alles zu kaufen gibt, musste dieser Tage ein Bekannter in Moskau zur Kenntnis nehmen. Eigentlich wollte er nur seinen sündteuren Lamborghini repariert haben. Allein, die Ersatzteile dafür sind plötzlich nicht mehr zu bekommen. Und so tourte er von Werkstatt zu Werkstatt, bis er in einer von ihnen ein Unfallfahrzeug seines Modells und in ihm das gesuchte Ersatzteil fand.

Soweit überhaupt Ersatzteile importiert werden können, werden nun nämlich solche für billige Massenautos bevorzugt behandelt. Die reichen Konsumenten, bisher immer privilegiert, müssen plötzlich warten – auch das ist ein Novum, das der Krieg mit sich bringt. Im Unterschied zu den meisten anderen Folgen ist diese Auswirkung wenigstens nicht gleich negativ.

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