Washington

Wenn Impfungen zum Politikum werden

Vor wenigen Monaten waren die US-Impfaktionen gegen das Coronavirus ein leuchtendes Vorbild, sind nun aber praktisch zum Stillstand gekommen. Grund dafür ist die politische Kluft zwischen dem konservativen Süden und den liberalen Küstenstaaten.

Wenn Impfungen zum Politikum werden

Der Streit darüber, wie im Kampf gegen das Coronavirus die Impfquote erhöht werden kann und welche Vorteile die Vakzine auch für Geimpfte mit sich bringen, tobt nicht nur in Deutschland. Noch vor wenigen Monaten der Musterknabe in Bezug auf das hohe Tempo der Impfaktionen, ringen die USA nun mit einer stagnierenden Impfquote, die trotz der grassierenden Delta-Variante wohl kaum steigen wird.

Dabei hatte Präsident Joe Biden zu Beginn seiner Amtszeit gute Karten gehalten. Die unter seinem Vorgänger Donald Trump gestartete „Operation Warp Speed“ wurde durch die Einrichtung tausender neuer Impfzentren beschleunigt und lief im Frühjahr auf Hochtouren. Während der letzten Monate hat sich aber wenig bewegt. Heute sind knapp 50% aller US-Bürger voll geimpft, und nach Angaben der Centers for Disease Control (CDC) haben 57% zumindest eine Spritze erhalten. In vielen Staaten sind die Infektionen wieder auf ein beängstigendes Niveau gestiegen, doch unter jenen, die noch kein Vakzin erhalten haben, wollen sich nur die wenigsten eine Spritze geben lassen. Der Grund: politische oder religiöse Überzeugung.

So ist die Quote in den vorwiegend republikanischen Südstaaten sowie den Staaten des „Bible Belt“ besonders niedrig. Experten wie Anthony Fauci, Amerikas oberster Immunologe, halten rasche Gegenmaßnahmen für unverzichtbar. So hat Fauci angesichts der steigenden Infektionszahlen wieder die Möglichkeit einer Maskenpflicht in den Raum gestellt, auch für Geimpfte. Nach Ansicht des Facharztes ist zudem eine breit angelegte Aufklärungskampagne notwendig, welche die politische Spaltung überwindet. „Es ist nämlich egal, wen man gewählt hat, alle Menschen müssen einsehen, dass wir denselben, gemeinsamen Feind haben, nämlich das Virus“, sagte Fauci kürzlich vor dem Kongress.

Auch legt er sich mittlerweile mit republikanischen Kritikern an, die ähnlich wie seinerzeit Trump das Virus verharmlost haben und Fauci sogar vorwerfen, Parlamentarier unter Eid anzulügen. „Sie haben schlichtweg keine Ahnung, wovon Sie reden“, fiel er kürzlich Senator Rand Paul ins Wort, der wie viele seiner Parteifreunde eine Maskenpflicht ebenso wie Kontaktbeschränkungen ablehnt. Gleichzeitig erinnert in Pauls Heimatstaat Kentucky ebenso wie in Alabama, Missouri, Arkansas und vor allem Florida die Zahl der Neuerkrankungen an das Krisenjahr 2020.

Die Impfunwilligen bleiben dennoch stur. So hatten gegen Ende von Trumps Amtszeit viele gesagt, dass sie Impfungen deswegen ablehnten, weil der Präsident die Aufregung um das Coronavirus für übertrieben hielt. Er war der Überzeugung, dass Medien die Pandemie dramatisieren, um ihn in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. „Am Tag nach der Wahl wird kein Mensch mehr über das Virus reden“, hatte Trump bei mehreren Wahlkampfveranstaltungen behauptet. Andere beriefen sich auf eine Behauptung der QAnon-Verschwörungstheoretiker, wonach die Impfstoffe Mikrochips enthalten, mit denen der Staat seiner Bürger kontrollieren wolle.

Mittlerweile ist bei den sogenannten „Anti-Vaxxers“ die Ablehnung aber auch ohne Trump oder QAnon weiter gestiegen. Jene, die sich seinerzeit auf Trumps Argumente stützten, nennen als Beweggrund nun religiöse Überzeugung, die es ihnen verbiete, sich oder ihre Kinder impfen zu lassen. Im „Bible Belt“, jenen Staaten im Süden und Südwesten, wo evangelikaler Protestantismus ein wesentlicher Bestandteil der Kultur und des Alltagslebens ist, ist die Opposition besonders ausgeprägt.

In Mississippi beispielsweise haben nur 38% der Bürger sich eine Spritze verabreichen lassen. In Louisiana und Alabama sowie den erzkonservativen Staaten Idaho und Wyoming liegen die Quoten nur knapp darüber. Wie klar definiert die politische Demarkationslinie ist, das zeigt sich an den politisch liberalen Staaten im Nordosten der USA. In Massachusetts, New York, Maine, New Hampshire und Vermont sind fast doppelt so viele Menschen geimpft. Das an der kanadischen Grenze gelegene Vermont, wo das tägliche Leben praktisch zur Normalität zurückgekehrt ist, ist besonders stolz auf seinen Status als „US-Staat mit den meisten Impfungen“. Dort haben über 83% der Erwachsenen mindestens eine Spritze erhalten.

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