Russland

Sanktionen wurden mit heißer Nadel gestrickt

Die Umsetzung des EU-Teilembargos gegen Russland stellt Unternehmen vor immense Probleme. Die Regelungen sind zum Teil alles andere als eindeutig. Die fünf größten Herausforderungen.

Sanktionen wurden mit heißer Nadel gestrickt

Von Bärbel Sachs und Björn Paulsen*)

In den Medien werden die Sanktionen gegenüber Russland häufig als die „massivsten“ bezeichnet, die jemals verhängt wurden. Teile dieser Sanktionen wie z. B. der teilweise Ausschluss russischer Banken vom Zahlungsinformationssystem Swift wurden als „nukleare Option“ eingestuft. Diese Aussagen sind deutlich überzogen; die Sanktionen sind noch weit von den Maßnahmen entfernt, die zu Beginn der 1990er Jahre gegenüber Jugoslawien im Rahmen eines veritablen Totalembargos verhängt wurden, oder auch denjenigen, die Iran vor Abschluss des Nuklearabkommens erdulden musste. Dennoch lässt sich bereits jetzt feststellen, dass sie ein Erdbeben in der Wirtschaft verursacht haben und europäische und deutsche Unternehmen – schlicht angesichts der engen, zum Teil jahrzehntelang auf- und ausgebauten Beziehungen mit der russischen Wirtschaft – vor massive Herausforderungen stellen.

1. Nie dagewesene Komplexität

Mit der Natur des Teilembargos geht einher, dass die Sanktionen nur einzelne Tätigkeiten verbieten – und alle anderen europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen nicht einschränken. Die Regelungen sind allerdings so ausdifferenziert, dass sie von den Unternehmen kaum noch beherrscht werden können. Als Beispiel sei etwa genannt, dass die EU zahlreiche Unternehmen und Einzelpersonen listet. Je nachdem, auf welcher Liste die Listung erfolgt, gelten aber sehr unterschiedliche Einschränkungen. Mittlerweile existieren nun zehn verschiedene Listen, die in sechs Gruppen unterteilt werden können, die jeweils unterschiedliche Verbote nach sich ziehen. Diese Schritte gehen z. B. von umfassenden Bereitstellungsverboten über Geschäftsausübungsverbote mit zahlreichen Ausnahmen und Kapitalmarktbeschränkungen bis hin zu erschwerten Genehmigungsmöglichkeiten für bestimmte Güter. Wir beobachten, dass momentan selbst Experten die Rechtsfolgen, die an eine Listung geknüpft werden, nicht mehr sicher zuordnen.

Besonders viel Unsicherheit scheint im Bereich Zahlungsverkehr zu herrschen: Abgesehen von drei russischen Banken, mit denen keinerlei Geschäfte mehr gemacht werden dürfen, unterliegen die meisten Banken lediglich Beschränkungen des Kapitalverkehrs. Eine entsprechende Listung bedeutet im Wesentlichen, dass sich diese Institute nicht mehr über Eigen- und Fremdkapital aus der EU refinanzieren können. Wiederum sieben dieser Institute sind zusätzlich von Swift abgekoppelt. Abgesehen davon ist der Zahlungsverkehr aber weiter möglich, gegebenenfalls eben nur verlangsamt, da mittels Fax und nicht über Swift.

2. Fluide Rechtslage

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurden nicht weniger als 15(!) Änderungsverordnungen in dem bestehenden Regelungsregime al­lein gegenüber Russland erlassen, Weißrussland ist hier nicht inkludiert. Konsolidierte Fassungen wurden erst sehr spät zur Verfügung gestellt. Schon ohne mit erheblichem Aufwand genau bestimmen zu können, welche Regelungen eigentlich für die Gegenwart gelten, müssen Unternehmen zugleich mögliche zukünftige Entwicklungen berücksichtigen. Als gesichert geltende Regelungsinhalte des EU-Sanktionsrechts­ werden derzeit teilweise mit einem Federstrich in FAQ der Behörden über Bord geworfen. Als Beispiel sei hier genannt, dass die EU-Kommission in ihren FAQ von Ende März 2022 vorgegeben hat, dass auch Beteiligungen unterschiedlicher gelisteter Personen an einem Unternehmen, die jeweils unter der maßgeblichen 50-Prozent-Schwelle liegen, nun addiert werden sollen. Dies ändert die erforderlichen Prüfungsschritte bei einer KYC-Prüfung (Know your Customer) erheblich.

3. Erhebliche Auswirkungen auf das

Inlands- bzw. Inner-EU-Geschäft

Obwohl es sich nur um ein Teilembargo handelt, sind die Russland-Sanktionen punktuell extrem weitreichend. Mittelbare Konstellationen sind z. B. sowohl in der Variante des Geschäftsausübungsverbots als auch in der Variante der Ausfuhr- und Einfuhrbeschränkungen erfasst. Zu bedenken ist, dass darüber auch reine Inlandssach­verhalte erfasst werden können, etwa wenn Güter letztlich für Russland­ oder für gelistete Personen bestimmt sind. Das bedeutet aber für viele Unternehmen, dass sie nicht nur ihr Russland-, sondern auch ihr sonstiges Geschäft mit entsprechenden­ engmaschigen Compliance-Maßnahmen­ begleiten müssen.

4. Agieren im Spannungsfeld

straf- und zivilrechtlicher Risiken

Die Regelungen sind mit sehr heißer Nadel gestrickt und zum Teil alles andere als eindeutig. Auch auf tatsächlicher Ebene bestehen viele Unklarheiten. Eine gesicherte Tatsachen- und Rechtslage ist allerdings notwendig, um vertragliche Risiken auszuschließen: Während ein Unternehmen bei der Bewertung, ob es aus Compliance-Sicht ein Geschäft noch durchführen kann, den sichersten Weg wählen und im Zweifel auf dieses Geschäft verzichten kann (um sicherzustellen, sich nicht strafbar zu machen), ist dieser Weg vertragsrechtlich oft nicht gangbar, u. a. da sich hier die Beweislast ändert. Wer sich seinen Geschäftspartnern gegenüber auf rechtliche Unmöglichkeit oder Force majeure beruft, muss regelmäßig nachweisen, dass er ein Geschäft nicht durchführen darf.

Rechtliche Unsicherheiten be­stehen jedoch bei einer Vielzahl von Regelungen; tatsächliche Unsicherheiten häufig z. B. bei der Frage, ob eine gelistete Person tatsächlich noch Kontrolle über ein Unternehmen ausübt, was gegebenenfalls von den Sanktionen mit erfasst wäre. All diese Erwägungen sind aber in eine Geschäftsentscheidung einzustellen.

5. Russische Gegenmaßnahmen

Aufgrund russischer Gegenmaßnahmen bestehen in bestimmten Konstellationen unterschiedliche Rechtsanwendungsbefehle, die sich nicht immer leicht zugunsten der EU-Sanktionen auflösen lassen, weil beispielsweise Fürsorgepflichten für leitende Angestellte und Arbeitnehmer russischer Tochtergesellschaften bestehen. Eine Geschäftsführerin einer russischen Gesellschaft, die Staatsbürgerin eines EU-Mitgliedstaates ist, ist verpflichtet, EU-Sanktionen einzuhalten. Sieht sie sich aus diesem Grund gehalten, bestimmtes Geschäft, z. B. mit gelisteten Unternehmen, einzustellen, könnte sie sich wegen vorsätzlicher Herbeiführung einer Insolvenz in Russland strafbar machen. Russland hat jedenfalls schon angekündigt, die Einstellung von Geschäft entsprechend zu werten.

Mitunter sehr kompliziert stellt sich auch der Rückzug aus russischen Joint Ventures dar, nicht nur, wenn der Joint-Venture-Partner selbst gelistet ist oder von einem Geschäftsausübungsverbot betroffen ist. In diesem letzteren Fall können etwa Konstellationen kritisch sein, bei denen Anteile an den Joint-Venture-Partner zurück überführt werden sollen oder Vorkaufsrechte ausgelöst werden. Selbst bei nicht-gelisteten Joint-Venture-Partnern ist Vorsicht geboten, z. B. kann das russische Recht in bestimmten Konstellationen eine wirksame Übertragung von Anteilen, etwa an eine unabhängige dritte Partei, verhindern oder das nicht mehr kontrollierte Joint Venture setzt trotz gekündigter Lizenzvereinbarungen seine Produktion – unter Verstoß gegen IP-Rechte – fort.

Als Fazit ist festzuhalten, dass einige der geschilderten Herausforderungen damit zusammenhängen, dass es sich bei den Sanktionen um ein sehr ausdifferenziertes Teilembargo handelt. Rechtlich sehr viel einfacher handhabbar wäre sicherlich ein Totalembargo. Abgesehen von den noch massiveren Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft – insbesondere wenn man Kaskadeneffekte in den Lieferketten mit berücksichtigt – ist es Ziel von Smart Sanctions, den russischen Staat gezielt zu treffen und Kollateralschäden in der russischen Zivilbevölkerung zu verhindern.

Innerhalb der Pole Totalembargo versus stark verästeltes Teilembargo verbleiben weiter Möglichkeiten, den Druck auf den russischen Präsidenten zu erhöhen. Im Interesse der europäischen Wirtschaft, die die Kosten dieser Politik trägt, ist es sicherlich, die Komplexität niedrig zu halten und gleichzeitig die Anforderungen an die Normenklarheit deutlich zu erhöhen.

*) Dr. Bärbel Sachs ist Partnerin von Noerr in Berlin. Sie leitet die Praxisgruppe Regulatory, Governmental Affairs & Investment Controls. Björn Paulsen ist Partner der Kanzlei in Hamburg. Er ist Mitglied der Praxisgruppe Mergers & Acquisitions.

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