Diskussion um Atomkraft

Deutschland überdenkt die Energiewende

Die Bundesregierung prüft die Möglichkeit längerer Laufzeiten von Atom- und Kohlekraftwerken. Energiekonzerne zeigen sich bezüglich eines Weiterbetriebs skeptisch.

Deutschland überdenkt die Energiewende

cru/ahe/xaw Frankfurt/Brüssel

Der Krieg in der Ukraine zwingt Deutschland und die Europäische Union zum Überdenken der Energiewende. Um die Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen zu reduzieren, prüfen Bundesregierung und Bundesländer die Möglichkeit längerer Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken in Deutschland. Selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließt längere Kernkraftwerkslaufzeiten angesichts drohender Versorgungsengpässe nicht aus. „Und natürlich stellen wir auch im transatlantischen Bündnis die Fragen der Energiesicherheit“, sagte Habeck kurz vor seiner Reise in die USA, die ein bedeutender Flüssigerdgas-Lieferant sind.

Wenngleich in Berlin Gesetzespläne zum Aufbau einer nationalen Gasreserve Formen annehmen, machte Habeck bei einer Sondersitzung der EU-Energieminister in Brüssel auch klar, dass er Investitionen in erneuerbare Energien nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mittlerweile als „Frage der nationalen Sicherheit“ einstufe. EU-Energiekommissarin Kadri Simson räumte nach der Krisensitzung ein: „Der Krieg hat die Schwachstellen in unserem Energiesystem schmerzlich offengelegt.“

Eigentlich sollte zum Jahresende das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen. Längere Laufzeiten werfen daher schwierige rechtliche Fragen auf: „Es gibt eine klare gesetzliche Regelung zur Abschaltung der Kernkraftwerke“, sagte ein RWE-Sprecher der Börsen-Zeitung. „Unser Kraftwerk Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein.“ Ein Weiterbetrieb wäre laut RWE – anders als bei Kohlekraftwerken – ohne weiteres nicht machbar, dafür gebe es „extrem hohe Hürden, sowohl technisch als auch genehmigungsrechtlich“. Dass die Bundesregierung in dieser ernsten Situation alle Versorgungsoptionen prüfe, sei aber nachvollziehbar.

Derzeit laufen noch drei Atomkraftwerke: Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim II (EnBW) in Baden-Württemberg sowie Isar II (Eon) in Bayern. Sie decken etwa 10% des deutschen Stromverbrauchs. Für den Weiterbetrieb müsste das Atomgesetz geändert werden. In Paragraf 7 ist als Enddatum der 31. Dezember 2022 festgelegt. Der Atomausstieg ist in Verträgen mit den Betreibern geregelt. Auch diese müssten aufgelöst und neu verhandelt werden.

„Sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch die Vertreter der Länder haben deutlich gemacht, (…) dass wir kurzfristig ohne Denkverbote und Tabus prüfen müssen“, sagte Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart am Montag nach Beratungen mit seinen Amtskollegen. Eine weitere Nutzung der Atomkraft könne „nur eine Ultima Ratio sein, aber wir müssen sie bedenken“.

Unterdessen setzten die Preise für Energierohstoffe ihre Rally zum Wochenauftakt unter deutlichen Schwankungen fort. Zugleich machte sich an den Börsen aber auch Zuversicht bezüglich des Ausbaus von Wind- und Solarkraft breit. Siemens Energy zogen um 10,3% auf 21,43 Euro an, SMA Solar gewannen gar 19,5% auf 35,54 Euro.

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