EZB-Sitzung

Top-Ökonomen drängen zu rascher Zinswende

Der EZB-Rat kommt am Donnerstag in Amsterdam zu einer der wichtigsten Sitzungen der vergangenen Jahre zusammen. Die Euro-Geldpolitik steht vor einem Wendepunkt. Top-Ökonomen und Ex-Notenbanker haben klare Vorstellungen.

Top-Ökonomen drängen zu rascher Zinswende

ms Frankfurt

Unmittelbar vor der wegweisenden Sitzung des EZB-Rats am heutigen Donnerstag drängen füh­rende Ökonomen und Ex-Notenbanker die Europäische Zentralbank (EZB) zu einer raschen Zinswende. „Die Inflation muss gesenkt werden, um die Glaubwürdigkeit der EZB und ihr Bekenntnis zum Inflationsziel wiederherzustellen und zu bekräftigen“, sagt etwa Ricardo Reis, Professor an der London School of Economics, in einer Umfrage der Börsen-Zeitung. Umstritten ist demnach aber, ob die EZB ihren Einlagenzins im Juli gleich um 50 statt 25 Basispunkte anheben sollte und wie weit die Zinserhöhungen gehen sollten.

Der EZB-Rat kommt heute in Amsterdam zu einer der wichtigsten Sitzungen der vergangenen Jahre zusammen. Die Euro-Geldpolitik steht vor einem Wendepunkt. Erwartet werden ein Beschluss zum Ende der billionenschweren Anleihekäufe und Signale für eine erste Zinserhöhung seit 2011 bei der Juli-Sitzung. Tempo und Ausmaß der geldpolitischen Normalisierung sind aber im EZB-Rat umstritten und haben zuletzt zu einem öffentlichen Dissens geführt. Umso größer ist die Spannung vor der heutigen Sitzung.

Wirtschaftsprofessor Reis, der unlängst die G7-Finanzminister und -Notenbankchefs beim Treffen in Königswinter beraten hatte, plädiert nun für eine erste Zinserhöhung um 50 Basispunkte im Juli – „um die vielen Monate verlorenen Bodens und die Tatsache, dass die EZB hinter die Kurve gefallen ist, auf­zuholen“.

Auch Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark sagt in der Umfrage: „Die EZB sollte sofort und in größeren Schritten als avisiert die Zinsen erhöhen, sonst droht die Inflation außer Kontrolle zu geraten.“ Zum Jahres­ende müsse der Einlagenzins, der aktuell bei −0,5% liegt, bei 1,25% bis 1,5% liegen. „Weitere Schritte müssen 2023 folgen“, so Stark.

Dagegen plädiert etwa Athanasios Orphanides für 25 Basispunkte und mahnt die EZB zur Vorsicht. „Sie muss vermeiden, überzureagieren und eine unnötige Re­zession zu verursachen“, sagt Orphanides, der früher die Zen­tralbank Zyperns geleitet hat und für seine Forschung zur Geldpolitik weltweit geschätzt wird. „Eine Wiederho­lung der Fehler, die im Jahrzehnt vor der Pandemie gemacht wurden, wäre für Europa katastrophal.“

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