Beschädigte Pipelines

Angst vor Gas­rationierung im Winter

Spätestens nach dem mutmaßlichen Sabotageakt gegen die beiden Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee wächst die Sorge der Unternehmen über eine mögliche Rationierung von Gas im bevorstehenden Winter. Das Bankhaus Metzler geht davon aus, dass es so weit nicht kommen wird – wenn auch knapp.

Angst vor Gas­rationierung im Winter

cru Frankfurt

Deutschland verbraucht rund 100 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr. Davon kam bisher die Hälfte aus Russland, inzwischen aber fast gar nichts mehr. Dabei entfällt laut Eurostat und dem Energiebranchenverband BDEW rund die Hälfte vom Gasverbrauch auf die Industrie und die Stromerzeugung mit 37 % bzw. 12 %. So wächst die Sorge der Unternehmen, dass wegfallende Lieferungen aus Russland nicht so gut aus anderen Quellen ersetzt werden können, wie es nötig wäre, damit Deutschland ohne staatliche Rationierung durch den Winter kommt.

Das Bankhaus Metzler gibt in dieser Hinsicht Entwarnung auf Basis eigener Berechnungen. „Auf Kante genäht kommen wir durch den Winter, ohne dass es zu Zwangsmaßnahmen kommt um den Verbrauch der Unternehmen einzuschränken“, sagt Guido Hoymann, Head of Equity Research. Trotz der grundsätzlichen Entwarnung, dass es nicht zur Rationierung kommt, sind die Gründe dafür nicht immer erfreulich: „Aufgrund der hohen Preise beginnen Industrie und Private bereits freiwillig damit, ihren Verbrauch einzuschränken. In einigen Branchen wie etwa in der Produktion der Grundchemikalie Ammoniak oder der Aluminiumindustrie wird die Produktion aus Kostengründen zu­rückgefahren oder verlagert. Und überall, wo es Prozesswärme braucht, kann von Gas auf Kohle oder Öl umgestellt werden“, erklärt Hoymann.

Außerdem kann das Gas, das nicht mehr aus Russland geliefert wird, aus anderen Quellen kommen, damit die üblichen 100 Mrd. Kubikmeter zur Verfügung stehen. So wird Flüssiggas per Tanker angeliefert und auf schwimmenden LNG-Terminals re­gasifiziert. In Wilhelmshaven und Brunsbüttel beginnt das Anfang 2023. In Stade und Lubmin geht es Ende 2023 los. Insgesamt können die Anlagen dann rund 20 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr liefern. Das LNG soll aus den USA, Australien, Malaysia, Nigeria, Senegal, Angola, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten kommen.

Ein weiterer Baustein, um fehlende russische Lieferungen zu ersetzen, sind die 60 Mrd. Kubikmeter, die Norwegen über drei Pipelines nach Deutschland liefern kann. Weitere 12 Mrd. Kubikmeter werden aus dem von Erdbeben gefährdeten Gasfeld Groningen in den Niederlanden erhofft. Hinzu kommt eine Kapazität der Gasspeicher von 23 Mrd. Kubikmetern. Gefüllt sind die Speicher derzeit zu 92 %. „Im bevorstehenden Winter werden sie voraussichtlich vollständig geleert“, sagt Hoymann. „Die Versorgung wäre dann 2023 nicht gesichert.“

Selbst wenn die Mengen ausreichen – die Gaspreise springen gerade nach oben, nachdem Russland erklärt hat, dass es möglicherweise die Lieferungen über die Ukraine, die letzte Route, über die Westeuropa noch mit dem Brennstoff versorgt wird, unterbrechen wird.

Die Benchmark-Futures stiegen am Mittwoch um bis zu 14 % und legten damit den zweiten Tag zu. Die Warnung verschärft den Energiekonflikt Russlands mit Europa, kurz nachdem größere Lecks in den Nord-Stream-Pipelines gemeldet wurden, die die europäischen Behörden als Sabotageakte bezeichnen. Die Situation verschärft die Besorgnis über Engpässe, da die Heizperiode nur noch wenige Tage entfernt ist, und konterkariert die Bemühungen der Länder, die Speicher stetig aufzufüllen und den Verbrauch zu drosseln.

Der russische Staatskonzern Gazprom warnte, dass die Gasflüsse durch die Ukraine aufgrund eines Rechtsstreits mit dem ukrainischen Gaskonzern Naftogaz gefährdet seien. Sollten diese unterbrochen werden, wäre Westeuropa abgeschnitten, und es bliebe nur noch die Turkstream-Pipeline, die Gas in die Türkei und in einige süd- und südosteuropäische Länder liefert. Die Lieferungen über die Ukraine waren am Mittwoch stabil, allerdings auf dem seit dem Krieg reduzierten Niveau. Naftogaz-Chef Jurij Vitrenko erklärte, dass ein Schiedsverfahren gegen Gazprom fortgesetzt werde. Mit den gewaltigen Unterwasserexplosionen in der Nord-Stream-Pipeline hat sich die Hoffnung zerschlagen, dass die seit einem Monat stillgelegte Verbindung wieder in Betrieb genommen werden kann.

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