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Cloud-Giganten buhlen um Patientendaten

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems läuft, auch wenn das Fax-Gerät viele Freunde hat. In den USA sind Gesundheitsdaten schon ein großes Geschäft. Der US-Softwarekonzern Oracle will deshalb seine bisher größte Übernahme in die eigene Patientenakte eintragen.

Cloud-Giganten buhlen um Patientendaten

sp Berlin

Um den US-amerikanischen IT-Konzern Cerner ranken sich schon seit Monaten Übernahmegerüchte. Das Unternehmen aus Kansas City im Bundesstaat Missouri gilt nach Einschätzung von Marktbeobachtern als Juwel im Markt für Krankenhausinformationssysteme und für die Verarbeitung von Patientendaten aus Arztpraxen, Krankenhäusern und Laboren. Das macht Cerner zu einem interessanten Ziel für Anbieter von IT-Leistungen aus der Cloud, die in ihren gigantischen Rechenzentren auch die wachsende Zahl von elektronischen Gesundheitsdaten verarbeiten wollen.

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems schreitet voran, wie auch die rasant wachsenden Investitionen von Risikokapital bei Start-ups aus dem Bereich Digital Health zeigen (siehe Grafik). Die großen Cloud-Konzerne bringen sich in Stellung, wie der Softwarekonzern Microsoft schon im Frühjahr mit der 16 Mrd. Dollar schweren Übernahme von Nuance unterstrichen hat. Microsoft und die Alphabet-Tochter Google, aber auch Softwareanbieter wie Salesforce und Oracle wurden in den vergangenen Monaten deshalb häufig als mögliche Interessenten für Cerner ins Gespräch gebracht, erst recht seit der ehemalige Google-Spitzenmanager David Feinberg Anfang Oktober die Rolle als CEO bei dem Konzern angetreten hat.

Nachzügler macht das Rennen

Nun scheint mit Oracle einer der Nachzügler in der Cloud mit einer bis zu 30 Mrd. Dollar schweren Offerte das Rennen um die Gesundheitsdaten zu machen und kurz vor Ultimo eine der größten Übernahmen des Jahres in die Patientenakte einzutragen. Das „Wall Street Journal“ berichtete in der Nacht zum Freitag, dass Oracle sich mit Cerner in Gesprächen befinde und ein Deal kurz bevorstehen könnte. Eine Formulierung, die auf weit fortgeschrittene Verhandlungen hinweist. Kommt die Transaktion zustande, wäre es die mit Abstand größte Akquisition des SAP-Konkurrenten, der in den vergangenen 20 Jahren schon mehr als ein Dutzend Übernahmen zu Milliardenbewertungen durchgezogen hat. Der bisher größte Zukauf war der Cloud-Spezialist Netsuite, für die der Konzern 2016 knapp 9 Mrd. Dollar auf den Tisch legte. Es war die Zeit, in der sich auch SAP in schneller Folge mit milliardenschweren Zukäufen in der Cloud verstärkte, so etwa 2014 für gut 8 Mrd. Dollar mit Concur und 2018 für noch einmal gut 8 Mrd. Dollar mit Qualtrics, die mittlerweile über ein eigenes Börsenlisting verfügt und es auf eine Marktkapitalisierung von rund 18 Mrd. Dollar bringt.

Die Aktie von Cerner, deren Marktkapitalisierung am Donnerstagabend bei 23,4 Mrd. Dollar lag, legte am Freitag in New York bis zu 16% zu, während Oracle, die einen Börsenwert von rund 280 Mrd. Dollar auf die Waage bringt, um mehr als 5% nachgab. SAP, die von den Gerüchten um die Übernahme von Cerner ungerührt blieb, hat einen Börsenwert von rund 144 Mrd. Euro.

Mit der Transaktion würde Oracle ihre Präsenz im Gesundheitssektor ausbauen, der nach Einschätzung des Marktforschers IDC bereits 2023 knapp 16 Mrd. Dollar für IT-Infrastruktur und Anwendungen aus der Cloud aufwenden wird. Der Zugriff auf große Mengen an medizinischen Daten würde Oracle zudem dabei helfen, unter anderem die eigenen Anwendungen von künstlicher Intelligenz aus der Cloud zu verbessern. Im Rennen um Marktanteile im Cloud-Geschäft würde Oracle mit der Übernahme auch auf den ewigen Rivalen Microsoft wieder etwas Boden gutmachen.

Unter den drei großen noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründeten Unternehmenssoftwareanbietern SAP, Microsoft und Oracle ist Microsoft der Übergang ins Cloud-Zeitalter bislang am besten gelungen, während Oracle noch später als SAP auf den Zug aufgesprungen ist und lange Mühe hatte, das Tempo der Konkurrenz zu halten. Die jüngsten Zahlen zum Geschäftsverlauf überzeugten indessen und verhalfen Oracle vor wenigen Tagen zu einem Kurssprung von 16% an einem Handelstag. Es war der größte Intraday-Zugewinn seit März 2020.

Cerner ist auch in Deutschland bekannt – spätestens seit der Übernahme der Gesundheits-IT von Siemens, für die das US-Unternehmen vor etwas mehr als sieben Jahren 1,3 Mrd. Dollar auf den Tisch legte. Anfang 2020 verkaufte der Konzern Teile seines Deutschlandgeschäfts ebenso wie Aktivitäten in Spanien an den börsennotierten Koblenzer Medizinsoftwareanbieter Compu­group. Im laufenden Turnus rechnet Cerner mit einem Umsatzwachstum von rund 5% auf 5,8 Mrd. Dollar. Zu den größten Konkurrenten zählen die beiden US-Firmen Epic Systems und Allscripts Healthcare.

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