Ukraine-Krieg

Der schwierige Rückzug aus Russland

Mit Sanktionen sollen Unternehmen entmutigt werden, weiter Geschäft in Russland zu betreiben. Doch der Rückzug gestaltet sich schwierig.

Der schwierige Rückzug aus Russland

Von Annette Becker, Düsseldorf

Die EU-Kommission hat jüngst das 7. Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg gebracht. Mit den teilweise tief einschneidenden Maßnahmen soll Russland zur Beendigung des Kriegs gegen die Ukraine bewegt werden. Hatten gleich zu Kriegsbeginn zahlreiche deutsche Unternehmen annonciert, Investitionen und Marketingausgaben in Russland zu streichen, brauchte es vielfach den Druck der Straße, um mehr zu bewegen. Auf der berüchtigten „Yale-Liste“ sind hierzulande noch immer 22 Unternehmen erfasst, die ihren Geschäften wie bisher nachgehen.

Kurz nach der Invasion Russlands in die Ukraine hatte die Yale School of Management mit der Aufstellung einer Liste begonnen, wie westliche Unternehmen auf den von Russland losgetretenen Krieg reagieren. Mittlerweile sind mehr als 1 200 Unternehmen erfasst, die je nach Umfang des angekündigten Rückzugs in einer Art Ampelsystem erfasst sind. Rot steht für business as usual, Dunkelgrün für Komplettrückzug. Aus Deutschland sind 124 Firmen erfasst (siehe Grafik).

Doch die Sanktionen reichen inzwischen so weit, dass es kaum noch Gründe gibt, an den Geschäften unter den erschwerten Bedingungen festzuhalten. „Rein aus Compliance-Sicht kann es sinnvoll sein, gänzlich auf Geschäfte in Russland zu verzichten. Problematisch ist allerdings, dass sich Unternehmen schadenersatzpflichtig machen können, wenn sie Verträge nicht erfüllen, obwohl die betroffenen Geschäfte nicht sanktioniert sind“, sagt Bärbel Sachs, Leiterin der Praxisgruppe Regulatory, Governmental Affairs & Investment Controls bei Noerr.

Wer Waren und Dienstleistungen nach Russland ausschließlich exportiert, wird im Zweifel auf Geschäfte verzichten, müssen doch sonst bei jeder Transaktion die Sanktionslisten gecheckt und auch der Geschäftspartner überprüft werden. Noch schwieriger gestaltet sich das Prozedere, wenn neben der EU und Russland auch Jurisdiktionen wie die USA oder Großbritannien involviert sind. Dann verdoppele oder verdreifache sich der Aufwand, sagt Sachs.

Schwieriger ist es für Unternehmen, die in Russland Tochtergesellschaften haben oder Beteiligungen unterhalten. „Die meisten Unternehmen haben die Lieferungen eingestellt. Wer noch liefert, macht das, um Schadenersatzforderungen zu vermeiden oder um sicherzustellen, dass die Tochtergesellschaft in reduziertem Umfang überlebensfähig bleibt“, ergänzt Noerr-Partner Björn Paulsen.

Reputationsrisiko

Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch das Reputationsrisiko. „Alle Unternehmen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ziehen sich nach unserer Erfahrung zurück“, sagt Sachs. Das hat hierzulande der Konsumgüterhersteller Henkel schmerzlich erlebt. Nach heftiger Kritik drehte der Konzern im April bei und kündigte die Einstellung sämtlicher Geschäfte in Russland an. Siemens hat dagegen im Mai unter dem Eindruck der internationalen Sanktionen und dem Verweis auf mögliche Gegenmaßnahmen die Reißleine gezogen. Hier wie da wird jedoch noch einige Zeit verstreichen, bis der Rückzug tatsächlich vollzogen ist.

„Es gibt drei Möglichkeiten, wie mit Tochtergesellschaften umgegangen werden kann, die man in Russland nicht fortbetreiben möchte: Liquidation, Verkauf oder Insolvenz“, erklärt Paulsen, der selbst zehn Jahre in Russland lebte und auf russisches Gesellschaftsrecht spezialisiert ist. Allerdings: „Die Liquidation ist für Unternehmen mit größeren russischen Tochtergesellschaften oft praktisch nicht umsetzbar. Ihnen bleibt nur der Verkauf an einen Investor oder der Management Buy-out“, erläutert der Anwalt.

Abschließen und gehen ist jedenfalls keine Option, führt das doch unweigerlich zur Insolvenz der Ge­sellschaft mit unkalkulierbaren Folgeschäden. Wer vorsätzlich Vertragsbruch begeht, macht sich schadenersatzpflichtig. „Ich bin mir relativ sicher, dass wir in zwei, drei Jahren eine ganze Reihe von Klagen sehen werden“, orakelt Paulsen.

Banken zurückhaltend

Doch auch beim Verkauf gibt es etliche Hürden zu nehmen. Angefangen bei der Suche nach potenziellen Käufern bis hin zur Unterstützung von der Bankenseite. Denn auch Banken, die einen Verkauf begleiten, sind zögerlich. Sie müssen potenzielle Käufer nämlich ebenfalls einem Compliance-Check unterziehen, um sich nicht selbst ins Risiko zu bringen. Zudem hat Russland auch rechtliche Hürden aufgebaut. So bedarf der Verkauf von Anteilen an einer russischen Aktiengesellschaft der Zustimmung der Regierung, wie Paulsen erklärt. Bei Joint Ventures kommt hinzu, dass dem Partner ein Vorkaufsrecht zusteht.

Kein „Fake-Exit“

Von daher sind Unternehmen mit Rückzugswunsch teilweise dazu übergegangen, ihre russischen Ge­sellschaften an die Geschäftsführer vor Ort zu übertragen. Oftmals sind diese Verträge mit Call-Optionen versehen. „Alle Call-Optionen, die ich kenne, haben zum Ziel, die jeweiligen Gesellschaften, so gut es geht, bis zu einem politischen Wechsel in Russland aufrechtzuerhalten. Es geht bei den Call-Optionen nicht um Fake-Exits“, ist Paulsen überzeugt. Gleichwohl will er die als „Hall of Shame“ apostrophierte Liste der renommierten US-Universität nicht in Bausch und Bogen verdammen: „Die Yale-Liste erhöht sicherlich den Druck auf Unternehmen, sich aus Russland zurückzuziehen.“

Zu den in der Liste gebrandmarkten Unternehmen, die ihre Geschäfte wie bisher fortsetzen – soweit es die Sanktionen erlauben –, gehören mit Covestro, Fresenius und Siemens Healthineers auch drei Dax-Konzerne. „Wir machen de facto kein Geschäft mehr in Russland“, ist man bei Covestro verwundert, noch immer auf der Liste zu stehen. Selbst das Verkaufsbüro sei mittlerweile geschlossen.

Fresenius und Siemens Healthineers halten dagegen aus humanitären Gründen an ihren Geschäften fest. „Als Medizintechnikunternehmen bleibt es unsere Priorität, medizinische Fachkräfte und Patientinnen und Patienten unter allen Umständen und in jedem Land zu unterstützen“, begründet Siemens Healthineers die Entscheidung zum Verbleib. „Wir lassen die uns anvertrauten Dialysepatienten nicht sterben“, stellt Fresenius klar.

Noerr-Partnerin Sachs hält das für richtig: „In der Sanktionspraxis hat sich weltweit durchgesetzt, dass es Ausnahmen für Medikamente und Lebensmittel gibt.“ Aus gutem Grund, sollen die Sanktionen doch einen Politikwechsel einleiten und zugleich dafür sorgen, dass der russische Präsident Wladimir Putin keine Unterstützer mehr findet. Ein Einfuhrverbot für Medikamente oder Lebensmittel dürfte in dieser Hinsicht wenig zielführend sein, ist Sachs überzeugt.

Enteignung

Zur Verunsicherung der Unternehmen tragen aber auch Drohungen mit Gegenmaßnahmen seitens Putin bei. Metro etwa besitzt ein ansehnliches Immobilienportfolio. 89 der 93 Märkte in Russland gehören dem Konzern. Zuletzt wurden schon Wertkorrekturen vorgenommen. Wohl auch aus Furcht vor Enteignung ist ein Rückzug für Vorstandschef Steffen Greubel (noch) keine Option. Paulsen hält diese Drohung aber für wenig realistisch. „Zu Enteignungen wird es meiner Meinung nach allenfalls bei Gesellschaften kommen, die für die russische Wirtschaft systemrelevant sind. Dies können etwa Autozulieferer sein, die russische Fahrzeughersteller beliefern.“

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