Covestro

„In China steht fast ein Viertel unserer Kapazitäten“

Ein Gasembargo träfe Covestro härter als ein Ölembargo. Finanzchef Thomas Toepfer rät in der Debatte über Gaszuteilungen im Notfall zu einer gesamtgesellschaftlichen Szenario-Diskussion.

„In China steht fast ein Viertel unserer Kapazitäten“

Annette Becker.

Herr Toepfer, was träfe Covestro härter – ein Öl- oder ein Gasembargo?

Ein Gasembargo würde uns härter treffen. Öl als Rohstoff nutzen wir nur in geringem Umfang. Vielmehr benötigen wir ölbasierte Rohstoffe, die auf dem Weltmarkt frei verfügbar sind. Das gilt für unsere gesamte Industrie. So sehr man unterschreiben kann, dass sich die Industrie in ihrer Gesamtheit so schnell wie möglich von russischem Erdgas unabhängig machen muss, so sehr gilt auch, dass das auf kurze Frist sehr schwierig ist. Einschränkungen würden die Industrie vor allem im Winterhalbjahr treffen.

Haben Sie den Bezug von Öl und Gas abgesichert und wenn ja, für welchen Zeitraum?

Wir haben natürlich langfristige Gaslieferverträge. Aber die Frage ist, wie viel diese Mengensicherung wert ist, wenn es eine Mangelsituation gibt. Die Preise haben wir nicht im Sinne von Hedges oder Forward-Kontrakten abgesichert. Wir sind der Ansicht, dass sich dadurch an der Grundbewegung nichts ändert, sondern sich der Effekt nur verzögert. Das macht die Mehrheit unserer Wettbewerber genauso.

Sind die gestiegenen Energiepreise nicht auch ein Grund für die jetzt vorgenommene Prognosekürzung?

Nein. Im ersten Quartal haben wir ein operatives Ergebnis von 806 Mill. Euro eingefahren, das ist klar mehr als im Vorjahr. In diesem Ergebnis steckt der Anstieg der Energie- und Rohmaterialpreise um 820 Mill. Euro drin. Über 90 % dieser Steigerungen konnten wir an unsere Kunden weitergeben. Es bleibt tatsächlich nur ein kleiner Effekt von etwa 60 Mill. Euro.

Was war dann der Anlass?

Der Anlass für die Prognosekorrektur ist vor allem der Covid-Lockdown in Schanghai. In China steht fast ein Viertel unserer globalen Kapazitäten. Wir haben in Schanghai eine große Produktion. Die konnten wir technisch zwar komplett aufrechterhalten. Aber wir sind seit ein paar Wochen aufgrund des Lockdowns mit großen logistischen Herausforderungen und Heraus­forderungen bei der Beschaffung von Rohmaterialien konfrontiert. Das wird das zweite Quartal er­heblich belasten. Zusätzlich sehen wir, dass sich die Aussichten für das Wirtschaftswachstum eingetrübt haben.

Versorgungsengpässe durch Energieembargos haben Sie in der Prognose nicht berücksichtigt. Warum nicht?

Wir halten das nicht für das wahrscheinlichste Szenario. Wir nehmen das in unsere Prognose auf, was wir absehen können. Das Energiethema hat sicher Einfluss auf das laufende Geschäftsjahr. Das Gute aber ist, dass die Situation uns in unserer strategisch eingeschlagenen Richtung bestärkt, uns langfristig von fossilen Rohstoffen möglichst unabhängig zu machen. Das hilft uns, die Folgen abzufedern. Der Fokus auf Energieeffizienz und Energiekosten treibt zugleich die Nachfrage nach unseren Produkten beispielsweise in der Gebäudedämmung oder für Windkraftanlagen.

Was bedeutet es für Ihre Produktionsanlagen, wenn der Gashahn abgedreht wird?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. Eine teilweise Reduzierung im Sommer kann die deutsche Industrie noch einigermaßen verkraften. Wenn es eine mehrheitliche Reduzierung und dann auch noch im Winter ist, dann wird das erhebliche Auswirkungen auf unsere Produktion haben. Das gilt nicht nur für uns oder die chemische Industrie, sondern auch für die nachgelagerten Industrien. Wir würden den Output in einzelnen Anlagen reduzieren, das kann bis zum kompletten Herunterfahren gehen. Das hätte erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Produktion.

Haben Sie bereits gegenüber der Bundesnetzagentur Angaben zu ihrem Gasbedarf gemacht? Wie ist das Prozedere?

Im Mai hat die Bundesnetzagentur mit den Einzelabfragen bei den Unternehmen zu Bedarf und Effekten einer Reduktion begonnen. Daran beteiligen wir uns natürlich.

Müssen Sie fürchten, bei einer Gaszuteilung durch die Netzagentur nicht genügend Gas zu bekommen?

Das ist Spekulation. Als Anhaltspunkt würde ich davon ausgehen, dass Covestro eines der effizientesten Unternehmen seiner Industrie ist. Bei uns spielt Gas zwar eine große Rolle, aber im Vergleich zu anderen Rohstoffen ist es nicht der größte Inputfaktor. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass andere energieintensivere Branchen noch stärker betroffen wären.

Es gibt erste Mahner, die zu einer Umkehr bei der gesetzlich festgelegten Gaszuteilung auffordern. Was halten Sie von diesem Vorstoß?

Nach meiner Einschätzung muss man die Diskussion aus dem Schwarz-Weiß herausholen. Es ist vielmehr notwendig, dass wir in eine gesamtgesellschaftliche Szenario-Diskussion eintreten. Es geht um die Frage, wie wir mit verschiedenen Maßnahmen diese nicht auszuschließende Situation bestmöglich kompensieren können. Das führt zum einen zu der Überlegung, ob ungeliebte Energiequellen für eine bestimmte Zeit reaktiviert werden müssen. Zum anderen geht es um die Suche nach anderen Energiequellen – beispielsweise Flüssiggas. Es wird aber auch dazugehören, zu überlegen, ob einzelne Bereiche, die auch das Private treffen wie beispielsweise Schwimmbäder, Einschränkungen un­terworfen werden sollten. Es geht um eine gute Kombination aus verschiedenen Maßnahmen, die uns gesamtgesellschaftlich hilft.

Das Interview führte

BZ+
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