Logistikkonzern

CFO sieht Schenker vor erneutem Rekordergebnis

Die Logistikbranche hat in den vergangenen Jahren einen beispiellosen Aufschwung erlebt. Nun aber belasten die Folgen des Kriegs in der Ukraine. Laut Oliver Seidl, Finanzvorstand der Deutsche-Bahn-Tochter Schenker, gelingt die Weitergabe der erhöhten Kosten an die Kunden „recht gut“. Für 2022 sagt er das sechste Rekordergebnis in Folge voraus.

CFO sieht Schenker vor erneutem Rekordergebnis

Martin Dunzendorfer.

Herr Seidl, als weltweit tätiger Lo­gistikkonzern bekommt Schenker die Folgen des Ukraine-Krieges zu spüren. Haben oder hatten Sie Ge­schäft in der Ukraine und Russland?

Natürlich sind auch wir vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine betroffen. Unsere Geschäfte sowohl in Russland als auch in der Ukraine waren allerdings schon vor dem Krieg sehr begrenzt. Insofern sind die direkten Auswirkungen des Krieges auf unseren Umsatz und unser Ergebnis relativ gering. Wir bekommen aber indirekt die Auswirkungen, die der Krieg auf die Weltwirtschaft hat, zu spüren. Dazu gehören die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise sowie die hohe Inflation. Hinzu kommen spezielle Mehrkosten; ein konkretes Beispiel: Unsere Charter-Flugzeuge, die Richtung Asien fliegen, müssen nun zum Teil deutlich längere Flugstrecken bewältigen, weil wir zuvor genutzte Lufträume über der Ukraine und Russland nicht mehr durchfliegen. Transporte von und nach Russland haben wir übrigens bereits Anfang März sofort eingestellt. Wir ziehen uns vollständig aus Russland zurück.

Wie geht Schenker mit den Belastungen durch die enorm gestie­genen Energie- und Kraftstoffkosten um?

Die im Landtransport anfallenden höheren Mineralölkosten legen wir weitgehend auf die Kunden um. Das gelingt uns recht gut. Die Belastungen für uns steigen aber auch durch höhere Preise für Container oder für Flugzeugtreibstoffe, die wir ebenfalls zum Teil weiterreichen.

Wandern Kunden wegen der Preiserhöhungen durch Schenker zu Wettbewerbern ab?

Nein, denn wir – damit meine ich die Logistikkonzerne – bewegen uns ja alle im gleichen Wettbewerbsumfeld. Die Rahmenbedingungen – sprich: exogene Faktoren wie stark steigende Kosten – sind für alle gleich. Folglich sind auch die Wettbewerber von Schenker gezwungen, ihre Preise zu erhöhen. Insofern brächte ein Wechsel des Dienstleisters nichts. Die Akzeptanz der Preiserhöhungen ist bei den Kunden entsprechend hoch.

Inwiefern haben sich durch den Krieg die von Schenker bedienten Transportströme verändert?

Allgemein gesprochen: Transporte zwischen Asien und Europa spielen sich praktisch nur noch auf dem See- und Luftweg ab. Landtransporte finden kaum noch statt.

Die Bundesregierung hat Maßnahmen zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen ergriffen. Dies wirkt sich auf den Transportmarkt aus, etwa auf Kohleverkehre und Mineralöltransporte. Wird Schenker davon tangiert?

Nein. In diesen Bereichen ist Schenker überhaupt nicht tätig.

Wie wirken sich die strikten Corona-Maßnahmen in China auf die Transporte von und nach Europa aus?

Die Situation hat sich durch die Aufhebung der strikten Lockdowns in den Häfen Chinas etwas entspannt. Gleichwohl zeigen diese Abschottungen bis heute Wirkung. Wenn zum Beispiel einer der weltgrößten Häfen, Schanghai, der zudem einer der wichtigsten Ausgangshäfen für chinesische Waren ist, über Wochen praktisch lahmgelegt ist, bildet sich ein riesiger Stau an Schiffen, die vor dem Hafen auf Einlass und Löschung der Fracht warten. Wenn diese dann endlich abgefertigt sind und sich die Schiffe auf den Weg nach Europa oder Amerika machen, bilden sich vor den Häfen in Rotterdam oder Los Angeles neuerlich Schiffsschlangen. Das bringt den gesamten Welthandel, die gesamte Wertschöpfungskette durcheinander.

Levin Holle, Finanzvorstand ihres Mutterkonzerns Deutsche Bahn, war zuletzt voll des Lobes für Schenker. Ist die Logistik-Tochter für die Deutsche Bahn das, was der Wettbewerber DHL für die Deutsche Post ist – nämlich DER Umsatz- und Ergebnisbringer?

Wir leisten auf jeden Fall sehr wichtige Beiträge zum Ergebnis des Deutsche-Bahn-Konzerns. Die erste Hälfte von 2022 war das erfolgreichste Halbjahr in der 150-jährigen Geschichte des Logistikunternehmens. Daher spielt Schenker derzeit sicher eine bedeutende Rolle für die Entwicklung des Gesamtkonzerns.

Im Juli erhöhte der Bahnvorstand anlässlich der Vorlage der Halbjahreszahlen einige Jahresziele. Wörtlich hieß es: „Im Wesentlichen getrieben durch DB Schenker werden der Umsatz und die bereinigten Ergebnisgrößen noch deutlich stärker steigen als bisher erwartet.“ So soll der bereinigte Umsatz der Bahn auf mehr als 54 (i. V. 47,3) Mrd. Euro klettern. Welchen Erlösbeitrag erwartet die Mutter von der Tochter? Nach sechs Monaten lag der Umsatzanteil von Schenker bei 50 (48)%. Sollen Sie also mehr als 27 Mrd. Euro erlösen?

Also sicher ist es nicht ganz falsch, wenn man auch für den Jahresumsatz von einer deutlichen Steigerung im Vergleich zum Vorjahr ausgeht.

Und wie steht es um die operative Ergebnisentwicklung bei Schenker? Für den Gesamtkonzern stellt die Bahn ein bereinigtes Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 1 (i. V. −1,6) Mrd. Euro in Aussicht.

Wir haben eine wirklich sehr starke Entwicklung gezeigt: Im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr legte das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, also das Ebitda, im ersten Halbjahr 2022 um 62% auf 1,5 Mrd. Euro zu, und das Ebit sprang sogar um fast 90% auf 1,2 Mrd. Euro.

Die Ergebnisse seien vor allem durch die Entwicklung in der Luft- und Seefracht beziehungsweise der Frachtraten getrieben worden. Können Sie das näher erläutern?

Wir müssen als Logistikunternehmen die hohen Frachtraten reflektieren, was sich in unseren Preisen widerspiegelt. Dies hat unsere Ergebnisentwicklung in den vergangenen zwei Jahren in hohem Maße unterstützt.

Haben die Frachtraten Ihrer An­sicht nach ihre Spitze hinter sich?

Der ganze Markt geht davon aus, dass sich die Frachtraten im zweiten Halbjahr rückläufig entwickeln. Der Rückgang dürfte aber auf einem Niveau stoppen, das über dem Niveau von Ende 2019 – also der Zeit vor der Corona-Pandemie – liegt.

Es wird darüber spekuliert, dass die Bahn Schenker verkaufen beziehungsweise an die Börse bringen könnte. Erscheint das aus Ihrer Sicht sinnvoll, zumal Schenker die Ertragsperle des Konzerns ist?

Am Ende liegt es nicht an uns, darüber zu entscheiden, was mit DB Schenker passiert, sondern an der Alleinaktionärin, der Deutschen Bahn, dem DB-Aufsichtsrat und dem Bund als Eigentümer. Unser 100-%-Shareholder entscheidet, ob Schenker im Bahnkonzern bleiben und auch künftig stetige Ergebnisse bringen soll oder ob man das, was man hat, durch einen Verkauf materialisiert. Wir bei Schenker konzentrieren uns jedenfalls auf das operative Geschäft.

Zum Thema Klima- und Umweltschutz beziehungsweise Nachhaltigkeit: Welche Ziele hat sich Schenker hier gesetzt und was für Budgets sind dafür vorgesehen?

Nachhaltigkeit ist für uns ein unheimlich wichtiges Thema. Das treiben wir in allen Bereichen voran. Als Beispiel nenne ich für Landtransporte den Fuso E-Canter von Daimler Truck; von dem 7,5-Tonnen-Elektro-Lkw haben wir die größte Flotte weltweit. Vor kurzem haben wir dem schwedischen Hersteller Volta Trucks einen Großauftrag für 1500 Elektrofahrzeuge des Typs Zero erteilt; das sind vollelektrische 16-Tonner. Es handelt sich dabei um den bisher größten Lieferauftrag für vollelektrische Lkw in Europa überhaupt. In der Luftfracht haben wir seit längerem Flugzeuge für die Strecke Frankfurt–Schanghai mit Sustainable Aviation Fuel (SAF) betankt. Das ist ein Luftfahrttreibstoff, der aus nichtfossilen Rohstoffen nachhaltig hergestellt wurde. Wir haben diese Einzelverbindung nun auf alle Kontinente ausgeweitet und fliegen regelmäßig mit SAF. Wir haben also eine ganzheitliche Strategie, die sich nicht auf ein Einzelprodukt bezieht, sondern auf alle Transportmodi, die wir anbieten.

Hat sich Schenker konkrete Ziele in Bezug auf die Treibhausgasemissionen gesetzt? Und wie hoch ist das Budget, um diese Ziele verwirklichen zu können?

Wir haben diesbezüglich Ziele, die wir auf die drei Geschäftsfelder – europäischer Landverkehr, See- und Luftfracht und Kontraktlogistik – heruntergebrochen haben. Diese sind selbst für die Erreichung verantwortlich. Bis 2040 will Schenker klimaneutral sein. Auf dem Weg zu diesem Ziel sind wir gut unterwegs. Über die Finanzmittel, die uns beziehungsweise den Business Units dafür zur Verfügung stehen, machen wir keine Angaben.

Im Vorjahr wurde Schenker Ventures gegründet, um mit strate­gischen Investitionen Logistik-Start-ups zu fördern. In wie viele Unternehmen haben Sie bislang investiert? Um welche Beträge handelt es sich? Und was hat Schenker davon?

Wir finanzieren diese Start-ups auf Early-Stage-Ebene jeweils mit kleineren Beträgen, um unser Portfolio zu erweitern beziehungsweise um von ihnen zu lernen und dadurch dort besser zu werden, wo wir bereits Expertise besitzen. Bislang haben wir in acht bis zehn Start-ups investiert, wir schauen uns aber laufend neue potenzielle Kandidaten an. Und bevor Sie fragen: Ja, es gibt für diese Investitionen in Start-ups ein festes Budget, aber das verraten wir nicht.

Kommen wir zu M&A. Die größte Übernahme in jüngerer Zeit war USA Truck, die im September abgeschlossen wurde und für die Schenker 435 Mill. Dollar gezahlt hat. Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Akquisition?

Generell gilt, dass der Logistikmarkt sehr zersplittert ist. Die Top 4 haben zusammen einen Marktanteil von etwa 10 bis 12%. Da ist M&A ein Teil der Wachstumslogik. Wir arrondieren unser Angebot durch USA Truck und andere Übernahmen wie im vorigen Jahr in Spanien und Finnland stetig. Mit strategischen Zukäufen wie USA Truck verbessern wir das Angebot für unsere Kunden und wachsen in wichtigen Märkten.

Sie sprachen gerade von den Top 4 der Branche. Welche Unternehmen sind das?

Neben DB Schenker gehören zu den global größten Logistikunternehmen noch die zur Deutschen Post gehörende DHL, Kühne + Nagel aus der Schweiz und die dänische DSV.

Wie finanziert sich Schenker?

Der Löwenanteil unserer Finanzierung läuft in enger Abstimmung mit dem Treasury der Deutschen Bahn über unseren Mutterkonzern, von dessen guten Ratings wir profitieren. Daneben refinanzieren wir uns zu einem kleinen Teil über Banken in Ländern, in denen wir operativ tätig sind. Aber tatsächlich werden wir zu fast 100% durch die Deutsche Bahn finanziert, und das läuft auch sehr positiv.

Wie sehen unter diesen Umständen die Aufgaben des Finanzvorstands von Schenker aus?

Im Grunde ist es die Steuerung des Unternehmens im Sinne eines Navigators. Eine meiner Kernaufgaben ist es, transparent zu machen, wo wir unser Geld verdienen oder gegebenenfalls auch nicht verdienen, und entsprechend die knappen Ressourcen im Unternehmen zu allokieren.

Sie werden sich in wenigen Mo­naten aus dem Unternehmen zurückziehen. Hat sich mit den Jahren Ihr Fokus, was die Ergebnisrechnung angeht, verändert?

Wir sind dazu übergegangen, nicht nur die operativen Ergebnisse bis zum Ebit im Blick zu haben, sondern auch die Zahlen weiter unten in der G+V-Rechnung bis hin zum Nettoergebnis. Außerdem haben wir eine viel stärkere Cashflow-Orientierung; unter anderem kontrollieren wir die Entwicklung unseres Net Working Capital viel genauer als früher. Wir haben die überfälligen Forderungen massiv reduziert. Wir haben ein sogenanntes Reverse Factoring für unsere Zulieferer eingeführt, unser Fast-Payment-Programm. Kurz gesagt: Wir nutzen heute mehr denn je die ganze Breite der Unternehmenssteuerung.

Wie sieht Ihr Resümee nach sechs Jahren als CFO aus? Wie hat sich Schenker in dieser Zeit verändert?

Wir haben Schenker in den vergangenen sechs Jahren von einer Finanzholding in ein global agierendes, schlagkräftiges und stringent gesteuertes Unternehmen umgebaut. Das ist ohne Zweifel die wichtigste und größte Veränderung in dieser Zeit. Dafür war als mein Kernprojekt auch die Neuausrichtung des Finanzbereichs notwendig. Unsere Finanzstrategie wurde angepasst, das Team Building wurde intensiviert, und die Prozesse wurden neu aufgestellt. Unser Ziel war der digitale Board­room – eine Cloud-basierte Plattform, die alle Datenerkenntnisse aus dem gesamten Unternehmen integriert. Auf dessen Basis haben wir zum Beispiel Prozessharmonisierung, Systemharmonisierung und Automatisierung, den Ausbau der Transparenz und die faktenbasierte Steuerung vorangebracht.

In Zahlen: Wo stand Schenker, als Sie Ihr Amt als CFO antraten, und wo steht Schenker heute?

Ich bin seit Juli 2016 Finanzvorstand von Schenker. 2016 machte das Unternehmen rund 15 Mrd. Euro Umsatz, im vergangenen Jahr waren es 23,4 Mrd. Euro und im ersten Halbjahr dieses Jahres 14,2 Mrd. Euro. Das operative Ergebnis (Ebit) lag 2016 unter 400 Mill. Euro und 2021 bei 1,25 Mrd. Euro; das Ebit hat sich in dieser Zeit also mehr als verdreifacht. Nach den ersten sechs Monaten 2022 hatten wir operativ bereits 1,2 Mrd. Euro verdient; also fast so viel wie im Gesamtjahr 2021. Sie können davon ausgehen, dass Schenker 2022 das sechste Rekordergebnis in Folge erzielen wird.

Sie werden im Februar nächsten Jahres 60 Jahre alt. Das ist recht früh, um in Ruhestand zu gehen.

Es wird kein klassischer Ruhestand werden. Ich sehe meine berufliche Zukunft aber nicht mehr im opera­tiven Geschäft, sondern mehr in ­Aufsichtsräten und Beiräten sowie bei der Begleitung junger Unternehmen. Außerdem scheint es mir der richtige Zeitpunkt zu sein, nach sechs Jahren als CFO von Schenker und dem sechsten Rekordergebnis in Folge, aus dem Unternehmen auszuscheiden.

Das Interview führte