Leerverkäufer

Hedgefonds wetten gezielt gegen Börsenwerte

Leerverkäufer wetten gegen deutsche Börsenwerte. Die drohende Rezession infolge des Ukraine-Krieges lockt Shortseller wie Hedgefonds an. Die betroffenen Unternehmen reagieren überwiegend gelassen.

Hedgefonds wetten gezielt gegen Börsenwerte

Von Stefan Kroneck, München

Leerverkäufer sind mittlerweile eine feste Größe bei börsennotierten deutschen Unternehmen. Diese professionellen Spekulanten werden vor allem dann aktiv, wenn die Wirtschaft sich in einer Krise befindet und wenn einzelne Emittenten Schwächen zeigen. Der spektakulärste Fall in jüngster Vergangenheit war Wirecard. Vor seinem Zusammenbruch im Frühsommer 2020 nach aufgedeckten Bilanzmanipulationen in Milliardenhöhe lockte der Zahlungsabwickler zahlreiche Leerverkäufer an, die sich gegen den damaligen Dax-Aufsteiger in Position brachten. Das war aber ein Ausnahmefall.

Tendenziell haben diese Adressen, zumeist Hedgefonds britischer und US-amerikanischer Provenienz, seit Ausbruch der Corona-Pandemie vor zweieinhalb Jahren ihre Aktivitäten auch in Deutschland ausgeweitet. Dabei sind Wellen zu beobachten: Die Shortseller fahren ihre Positionen hoch, dann wieder runter, danach wieder hoch usw. Derzeit zieht vermutlich die drohende Rezession infolge des Ukraine-Krieges und der galoppierenden Inflation diese Spezies unter den Spekulanten an.

Nach einer Auswertung der Börsen-Zeitung von veröffentlichten Angaben im Bundesanzeiger über Netto-Leerverkaufspositionen wetten diese Gesellschaften aktuell gegen eine Bandbreite von Unternehmen aus unterschiedlichen Wirtschaftszweigen. Dazu gehören unter anderem die Branchen Transportwesen, Reiseverkehr, Textilien, Software, Konsumgüter, Biotechnologie, Elektrotechnik, Anlagenbau und Finanzen (vgl. Grafik). Bei zehn Unternehmen hält eine Gruppe von Leerverkäufern mit ihren Positionen zusammen derzeit jeweils über 2 % des Grundkapitals. Diese liegen in einer Spanne von 2,11% (Deutsche Pfandbriefbank) bis zu 5,71 % (Varta) der ausstehenden Aktien.

In den Unternehmen sieht man diese Entwicklung generell nach außen gelassen. Trotz teils branchenspezifischer Probleme und Herausforderungen in einzelnen Fällen ist für die meisten das Engagement von Hedgefonds zu einem Normalzustand geworden – und das vor allem in Zeiten, die aktuell von einer hohen Volatilität an den Wertpapiermärkten geprägt sind. Diese Engagements seien Bestandteil einer Portfoliostrategie der Spekulanten, heißt es fast unisono.

Sonderfall Varta

„Als börsengelistetes Unternehmen haben wir keinen direkten Einfluss darauf, wer Aktien von Hugo Boss kauft und zu welchem Zweck. Leerverkäufe sind ein durchaus etabliertes Finanzinstrument am Kapitalmarkt und in einem volatilen Marktumfeld grundsätzlich nichts Ungewöhnliches“, erklärte ein Sprecher des Modeunternehmens mit Sitz in Metzingen (Baden-Württemberg). Hugo Boss zufolge liegt der Anteil an Leerverkäufen „aktuell bei etwa 5 %.“ Das sei kein Wert, der beunruhige. Nach Berechnungen der Börsen-Zeitung halten aktuell vier Hedgefonds exakt 4,45 % der Aktien als Leerverkaufspositionen. Dabei handelt es sich um Citadel Advisors Europe in London, Citadel Advisors LLC in Chicago, SIH Partners und Viking Global Investors (beide mit Sitz in Wilmington, US-Bundesstaat Delaware). „Wir sehen die erfolgreiche Umsetzung unserer (…) Strategie und die sich daraus ergebenden operativen und finanziellen Verbesserungen als wichtigste Grundlage, die Aktienkursentwicklung nachhaltig zu stützen und damit den Anteil an Leerverkäufen weiter zu reduzieren“, so Hugo Boss. Das MDax-Mitglied erhöhte zuletzt seine Jahresprognose. Der britische Einzelhändler und Modesporthersteller Frasers hält mittlerweile 4,3 % des Grundkapitals und hat zusätzlich Zugriff auf 28,5 % über Finanzinstrumente.

Beim Batteriehersteller Varta beträgt der Anteil von Leerverkäufern am gesamten Grundkapital dem Vernehmen nach insgesamt 9,3 %. Das ist ungewöhnlich hoch, wenn man bedenkt, dass das nahezu ein Fünftel des Streubesitzes ausmacht. Die Differenz zum von dieser Zeitung ermittelten Wert (5,71%) liegt womöglich daran, dass ein Block von Investoren unterhalb der von der Finanzaufsicht vorgegebenen Meldeschwelle agiert. In Deutschland beträgt diese 0,50 %.

Das Unternehmen mit Sitz in Ellwangen (ebenfalls Baden-Württemberg) befindet sich zur Hälfte im Eigentum des Schweizer Industriekonglomerats Montana Tech Components. Varta vergraulte zuletzt Anleger mit kassierten Jahresprognosen und schwachen Quartalszahlen. Das ebenfalls im MDax gelistete Unternehmen hatte asiatische Wettbewerber wegen Patentrechtsverletzungen verklagt. Diese Themen dürften Shortseller anlocken. Dazu gehören unter anderem die in London ansässigen Adressen Naya Capital Management, Rye Bay Capital und Marble Bar Asset Management sowie SIH Partners aus den USA.

Lage bei Lufthansa entspannt

Derweil hat sich die Lage bei der Deutschen Lufthansa in Bezug auf Hedgefonds entspannt. Seit dem Höhepunkt der Krise der Airline Mitte 2020 aufgrund der Corona-Lockdowns reduzierte sich der Anteil von Leerverkaufspositionen deutlich. Nach Berechnungen der Börsen-Zeitung wetten gegen den MDax-Konzern aktuell unter anderem die britischen Spekulanten Kintbury Capital, Marshall Wace und AHL Partners sowie Viking Global Investors aus den USA. Das Quartett kommt zusammen auf Netto-Leerverkaufspositionen von 2,93 % der außenstehenden Aktien. Vor über zwei Jahren waren diese Short-Investments bei der Lufthansa viel umfangreicher. Seinerzeit war von mehr als 16 % die Rede gewesen (vgl. BZ vom 12.1.2021). Das Rettungspaket des Bundes mit Steuergeldern für das Unternehmen trug wesentlich dazu bei, das Geschäftsmodell zu stabilisieren. Leerverkäufer zogen sich danach großteils sukzessive zurück, nachdem diese aufgrund der schwierigen finanziellen Lage des Unternehmens infolge des Corona-Schocks vor über zwei Jahren auf fallende Aktienkurse gesetzt hatten.

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