Ulrich Hermann, Arndt Geiwitz, August von Joest

New Space zieht Investoren ins All

Der weltweit rund 390 Mrd. Euro schwere Markt für Raumfahrt steht vor einem Boom. Auch in Europa wächst die Zahl innovativer New-Space-Unternehmen, die Finanzierung benötigen. Einstein Industries Ventures hofft daher mit einem neuen Fonds auf das genau richtige Timing.

New Space zieht Investoren ins All

Von Heidi Rohde, Frankfurt

2020 war nicht nur das Jahr, in dem die Corona-Pandemie einer in Deutschland und anderen europäischen Ländern verhalten entwickelten Digitalisierung einen Schub verlieh. Es war auch das Jahr, indem europaweit Investitionen in junge Unternehmen mit Technologien für das sogenannte New Space anschwollen. Die Investoren gehen davon aus, dass die neue Raumfahrt „der Schlüssel für digitale Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0 und zahllose Big-Data-Anwendungen“ sein wird, wie Ulrich Hermann, Managing Partner bei Einstein Industries Ventures, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung betont. Denn „für die nächste Generation praktisch aller Industriezweige“ sei ein „Betriebssystem im Weltall“ Voraussetzung. Die Notwendigkeit ergibt sich aus seiner Sicht aus den „ungeheuren Datenmengen“, die für die genannten Zukunftstechnologien gebraucht würden. „Ein wirklich autonom fahrendes Auto wäre mit Servern überladen und hätte keinen Platz für den Fahrer, wenn alle Daten und die nötigen Rechnerkapazitäten im Fahrzeug untergebracht werden müssten“, erklärt der Manager beispielhaft.

30 Mrd. Euro in 5 Jahren

Seit 2000 sind bereits 40 Mrd. Euro in den New-Space-Sektor in Europa geflossen, davon 80 % in den letzten fünf Jahren. Aber mehr werde benötigt, um sicherzustellen, dass die zunehmend datenbasierte und vernetzte Industrie- und Informationsgesellschaft in Europa über die „kritischen Infrastrukturen und Dienste“ selbstbestimmt verfügen könne. New-Space-Unternehmen in der EU leiden aus Sicht von Einstein Industries Ventures allerdings noch immer an Mittelknappheit „trotz technischer Exzellenz“.

Ein Schub ist also fällig, glauben die Gründer des in München ansässigen Wagniskapitalfonds. Zu diesen zählen neben Herrmann der Vorstandschef von OHB, Marco Fuchs, Hans Steininger, Chef von MT Aerospace, Arndt Geiwitz, Partner von Schneider Geiwitz sowie Christoph Keese, geschäftsführender Gesellschafter der Axel Springer HY GmbH. Das Team hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam „mit einem Konsortium aus privaten Kapitalgebern aus der Industrie“ in einem neuen Fonds in New Space zu investieren.

August von Joest unterstützt das Fundraising als Chairman des Advisory Boards und geht davon aus, dass für den Fonds, der insgesamt auf ein Volumen von 300 Mill. Euro zielt, in diesem Jahr sicher schon 50 bis 60 Mill. Euro zugesagt werden. „Den Final Close haben wir für Ende 2023 angesetzt“, betont der erfahrene Private-Equity-Manager, der unter anderem 13 Jahre für Odewald & Cie tätig war. „Wir streben Losgrößen zwischen 10 und 30 Mill. Euro an, so dass kein Investor mehr als 15 % am Fonds insgesamt hat“, erläutert von Joest im Gespräch. Neben klassischen Investoren wie Pensionsfonds oder Staatsfonds hat er auch Family Offices mit Investmentfokus auf Klima- und Umweltschutztechnologien im Visier. Denn dazu könnten New-Space-Unternehmen, die Services im Bereich der „Erdbeobachtung“ anbieten, entscheidend beitragen. Wichtig ist allen Beteiligten indes, auch große Corporates für den Fonds zu gewinnen.

Diese sind hierzulande bei Investitionen in der Start-up-Szene noch relativ zurückhaltend unterwegs, wie auch viele M&A-Experten berichten. So dominierte im vergangenen Jahr bei den Deals im Technologiesektor Private Equity das Geschehen. Viele auch große Player, die auf prall gefüllten Kassen sitzen, haben sich vor allem den reiferen Unternehmen der Start-up-Szene zugewandt, weil sie dort sehr gute Geschäftsmöglichkeiten sehen. Corporates traten dagegen kaum als Käufer auf, was auch M&A-Berater mitunter verwundert. Denn angesichts des hohen Transformationsdrucks in Leitindustrien wie der Automobil- und Zulieferbranche oder im Maschinenbau hätten viele Unternehmen durchaus Bedarf an zusätzlichem Know-how und neuen Technologien, die junge Firmen beisteuern können. Einem direkten Engagement stehen jedoch oft Hindernisse im Weg.

Konzerne sind in „Struktur und Kultur“ meilenweit entfernt von der schnelllebigen Entwicklung der Start-ups, erläutert Geiwitz im Gespräch. Deshalb seien Bedenken im Hinblick auf eine Integration und bestmögliche Weiterentwicklung bei einem potenziellen Zukauf verständlich. Außerdem fehlt vielfach auch noch die Wahrnehmung, welche Anforderungen der technologische Wandel stellt und wie die Unternehmen diese überhaupt erfüllen können.

Der von Einstein Industries Ventures geplante Fonds ist daher eine Möglichkeit für große Unternehmen, frühzeitig an der Entwicklung von Start-ups, die für das eigene Geschäft in Zukunft Bedeutung haben können, zu partizipieren. Von Joest geht davon aus, dass dies auch die eine oder andere Adresse überzeugen wird.

Wie in anderen Bereichen bleibt Europa auch bei New Space in der privaten Risikofinanzierung bisher hinter anderen Ländern wie den USA oder China zurück. In den USA floss 2020 schon 67 % des gesamten Wagniskapitals in den New-Space-Sektor, in Europa dominieren noch öffentliche Geldgeber. Jedoch zeichnet sich ein allmählicher Wandel ab. Ein Indikator dafür war im ersten Coronajahr ein signifikant angeschwollenes Vo­lumen in den Top-5-Deals in Europa, bei denen junge Firmen des New Space frische Mittel einwarben.

Deutsche Firma vorn dabei

Die fünf Unternehmen, – darunter mit Isar Aerospace und Mynaric zwei deutsche – standen mit einer Mittelaufnahme von 324 Mill. Euro für 65 % der Investitionen in den Sektor in Europa, mehr als das Vierfache des Vorjahres. Dies geht aus dem Space Venture Europe Report hervor. Im vergangenen Jahr erfuhr der Bereich wieder einen leichten Knick: 44 % des Gesamtvolumens an Wagniskapital für New Space ging an die Top 5, insgesamt 270 Mill. Euro. Isar Aerospace war erneut dabei in einer Finanzierungsrunde über 54 Mill. Euro unter deutscher Führung von HV Capital und der Porsche SE.

Von Joest ist überzeugt, dass „jetzt genau der richtige Fonds zum richtigen Zeitpunkt kommt.“ Der Markt für Raumfahrt, der heute global auf rund 390 Mrd. Dollar beziffert wird, stehe vor einem Boom und dürfte sich in den kommenden 15 Jahren verdreifachen. Dass die Risikobereitschaft deutscher und europäischer Investoren historisch tendenziell niedriger ist, soll bei der Auswahl der Beteiligungen berücksichtigt werden. „Wir wollen in Unternehmen mit marktreifen Produkten und bestehenden Management-Strukturen investieren“, so der Manager. Auf dem Radar des Einstein-Teams, das bereits eine umfassende Datenbank von New-Space-Unternehmen in Europa aufgebaut hat, stehen unter anderem die französischen Unternehmen Kinéis und Astreos, beide Anbieter von Satellitentechnik, sowie die britische Orbital Witness und LiveEO aus Deutschland, ein 2017 gegründetes Start-up, das Erdbeobachtung in Echtzeit betreibt.

Dei Gründer von Einstein Industries Ventures betrachten den Zeitpunkt für den Fonds auch deshalb als günstig, weil aus ihrer Sicht auch ein Wachstum der Infrastruktur bevorsteht: Während seit Bestehen der Raumfahrt rund 11000 Satelliten ins All befördert wurden, dürften in den nächsten Jahren mehr als 100000 hinzukommen. Denn diese „Upstream-Ware“ werde immer billiger, sagt Hermann. „unveredelte, unintelligente Geospatialdaten“ dürften „wenn nicht kostenlos, mindestens zu einem Bruchteil der heutigen Preise zur Verfügung stehen“. Interessant sei daher das Geschäft mit veredelten Daten im sogenannten Downstream. „Uns interessieren die Daten, die von Satelliten zur Erde kommen“. Hier geht es also um Software und Services, die für eine Vielzahl von Anwendungen quer durch fast alle „Basisaktivitäten“ von Nutzen sein können: Land- und Forstwirtschaft, Infrastruktur, Logistik können überwacht und analysiert werden, mit neuen Möglichkeiten für Produktionsautomatisierung, Internet der Dinge, autonome Verkehre, Klima und Nachhaltigkeit.

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