Luka Mucic

SAP-Finanzchef: Nachhaltigkeit ist „License to operate“

Nachhaltigkeitsziele sind längst mehr als „Nice to have“, sagt SAP-CFO Luka Mucic. Wer seine Strategie nicht danach ausrichte, drohe hohe Opportunitätskosten tragen zu müssen. Krisen könnten daran allenfalls temporär etwas ändern.

SAP-Finanzchef: Nachhaltigkeit ist „License to operate“

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

Ruhm, Glamour, Klimaschutz? Bei vielen Musikstars wird der Jetset-Lifestyle längst nicht mehr offensiv ausgestellt. Denn nachhaltig ist der natürlich nicht. Allerdings gilt das nicht nur für die CO2-Bilanz der Stars selbst, die mit ihrem Tross im Rahmen ihrer Tourneen rund um den Globus jetten. Auch die Fans, die oft eine weite Anreise zu den Tour-Events in Kauf nehmen, sorgen für eine miserable Umweltbilanz. Eine Lösung des Problems, die allerdings auch die Konzerterfahrung zerstört, wäre die Umstellung auf rein virtuelle Veranstaltungen. Einen anderen Weg zu mehr Nachhaltigkeit hat Coldplay gewählt, dabei aber auch auf Technologie gesetzt. In der App zur „Music of the Spheres World Tour“ können sich Fans ausrechnen lassen, was für sie der klimafreundlichste Weg der Anreise ist. Wer sich zu einer klimafreundlichen Option entschließt, erhält Rabattcodes auf Merchandise im Online-Shop der Band. So lässt sich zugleich der CO2-Fußabdruck senken und das Geschäft ankurbeln. „Nachhaltigkeit bietet eine enorme Chance, effizienter zu werden – und das nicht nur in den bestehenden Geschäftsmodellen, sondern auch durch das Erschließen neuer Potenziale über neue Geschäftsmodelle“, sagt SAP-Finanzvorstand Luka Mucic im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. SAP war auch Partner der Wahl von Coldplay.

Anfangs „Nice to have“

Das Unternehmen befasst sich tatsächlich mehr als ein Jahrzehnt mit dem Thema Nachhaltigkeit. „Als wir 2009 ins Thema Nachhaltigkeit gestartet sind, war das bei vielen Unternehmen noch ein Nice-to-have“, erinnert sich Mucic. „Da wurde vor allem etwas gemacht, um die eigene Marke ins rechte Licht zu rücken. In den vergangenen zehn Jahren ist das Thema dann immer mehr zur ‚License to operate‘ geworden – auch weil die Stakeholder dies einfordern. Und jetzt kommen wir in eine dritte Phase, in der es eben auch eine enorme geschäftliche Chance bietet.“

Eine Studie von Accenture sei vor Jahren schon zu dem Schluss gekommen, dass allein das Thema Kreislaufwirtschaft und die dafür nötige Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle bis 2030 ein Potenzial von 4,5 Bill. Dollar bieten könne. „So exorbitante Zahlen sollte man immer mit Vorsicht genießen“, schränkt Mucic zwar ein. Dennoch: Wer das Thema Nachhaltigkeit jetzt nicht aufgreife, werde über die Zeit hohe Opportunitätskosten tragen müssen. Der SAP-Finanzvorstand verweist auf eine Studie von Swiss Re, der zufolge die Kosten des Klimawandels sich bis 2050 auf 18 % des globalen Bruttoinlandsprodukts summieren können. „Die Kosten, in die nachhaltige Transformation zu investieren und die Klimakrise wirksam zu bekämpfen, werden etwa auf ein Drittel davon geschätzt. Das lohnt sich also.“

Druck der Investorenseite

Druck gebe es auch von der Investorenseite. Als SAP 2012 erstmals einen integrierten Geschäftsbericht vorgelegt habe, „hatten sich 6 % unserer Investoren nach ESG-Kriterien ausgerichtet. Mittlerweile liegt der Anteil jenseits von 40 %.“ Das Thema habe darüber hinaus auch bei Debt-Investoren längst eine hohe Bedeutung aufgrund der Vorgaben der Taxonomie. Hinzu kämen die Mitarbeiter. Im Kampf um die Nachwuchskräfte spiele Nachhaltigkeit eine große Rolle. 94 % der SAP-Mitarbeiter empfinden das Thema laut jüngster Umfrage als wichtig.

Entsprechend will SAP von Insellösungen weg und den Bedarf von End-to-End-Angeboten ausweiten. Die Walldorfer haben auf der Portfolio- und der Software-Entwicklungsseite eine dezidierte Einheit etabliert, die sich um die Integration der Nachhaltigkeitsangebote kümmert. „Deshalb ist die Einheit jetzt auch unter der Leitung unseres Strategiechefs Sebastian Steinhäuser und damit direkt bei Christian Klein angesiedelt. Das bildet eben auch die Evolution des Themas bei uns ab“, so Mucic. Der CFO verlässt den Konzern im Frühjahr. Sein von Airbus einfliegender Nachfolger Dominik Asam wird damit nicht mehr der primär Verantwortliche für Nachhaltigkeitsthemen sein.

Die veränderte Weltlage stellt die grundlegende strategische Ausrichtung laut Mucic indes nicht in Frage. „Schocks wie Corona oder der Ukraine-Krieg haben kurzfristig schon immer den Effekt, dass sich Unternehmen zunächst um die unmittelbaren Herausforderungen kümmern.“ Das habe sich aber unterschiedlich ausgewirkt. Die Kreislaufwirtschaft sei hoch im Kurs geblieben. „Einfach weil es hier auch um Ressourceneffizienz geht.“ Als Beispiel nannte er die Zementindustrie. Mucic hat als Aufsichtsratsmitglied von Heidelberg Materials (Heidelberg Cement AG) besten Einblick in die Branche. „Die Produktion von Zement ist extrem CO2-intensiv und ‚Carbon Capture and Storage‘ eine valide sowie skalierfähige Möglichkeit, die CO2-Bilanz der Branche zu reduzieren, jedoch durchaus politisch umstritten.“ Möglich sei aber auch die Einsparung von CO2-Emissionen durch die Wiederverwertung von recyceltem Beton. „Entsprechend versuchen einige der größeren Zementhersteller, sich zu diversifizieren und Recycling-Unternehmen zu übernehmen. Damit können sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Den Materialbedarf reduzieren und zugleich auf ihr Nachhaltigkeitskonto einzuzahlen, indem Emissionen reduziert werden.“ Beim CO2-Thema sei der Fokus derzeit aber natürlich verschoben. Die Frage für energieintensive Unternehmen laute, wo sie genug Energie zu halbwegs bezahlbaren Kosten bekommen.

Für viele Unternehmen gehe es aktuell ohnehin eher darum, überhaupt erst einmal ihre Potenziale visibel zu machen. Die Emissionen seien in der Vergangenheit nicht immer über die gesamte Prozesskette erfasst worden, „so dass auch über Chancen und Risiken keine Klarheit herrschte“, erklärt Mucic.

SAP konzentriert sich in der Nachhaltigkeitsstrategie auf vier Bereiche: „Erstens geht es uns darum, den CO2-Fußabdruck für Unternehmen messbar zu machen. Das sei besonders im produzierenden Gewerbe mit einer entsprechend breiten Lieferkette komplex, während es für Dienstleister oft weniger relevant ist. „Ein Automobilhersteller muss im Prinzip fünf Glieder in seiner Lieferkette zurückgehen, um überhaupt zu verstehen, wie viel CO2 ein produziertes Auto am Ende sozusagen im Bauch hat.“

Der soziale Bereich sei SAPs zweites Thema. Bei der Lieferkettensorgfaltspflicht brauche es massentaugliche, skalierbare Prozesse, um eine Compliance sicherzustellen. Dies sei im Prinzip nur digital abbildbar. Ein drittes Thema sind gleiche Rechte am Arbeitsplatz. Das vierte Thema, „bei dem wir uns in der Pflicht sehen“, ist es, Financial Reporting und die Taxonomie zusammenzuführen. Da ändere sich zwar noch viel auf fast wöchentlicher Basis – das Interesse sei hier aber auch heute schon in vielen Branchen stark.

Divergierende Standards

Mucic traut dem internationalen ESG-Standardsetzer ISSB zwar zu, dass es zu einer weitergehenden Konvergenz der Standards kommen wird. „Aber wenn man sich die Pläne der SEC zu Reporting-Standards für CO2 ansieht, dann weichen die noch stark von den europäischen Vorstellungen ab.“ Die SEC richte den Blick eher auf die Auswirkungen auf das Unternehmen als auf die Auswirkungen des Unternehmens. „Auch hier kann man also davon ausgehen, dass es künftig Berichtsstandards gibt, die nicht sehr gut aufeinander abgestimmt sein werden.“ Gerade für den Mittelstand gehe es daher auch darum, dass die Standardsetzer pragmatische Ansätze wählen. „Deshalb engagieren wir uns ja in der Value Balancing Alliance, damit wir auf einer wissenschaftlich fundierten, aber eben auch wirtschaftlich darstellbaren Basis vergleichbare Reporting-Standards etablieren.“

Wohin es für den SAP-CFO nach seiner Zeit bei den Walldorfern geht, lässt er offen. „Es gibt nur zwei Optionen für mich: Ich bleibe in der Softwarebranche oder ich bleibe nicht in der Softwarebranche. Fest stehe, „dass ich irgendwo operativ in einem Unternehmen tätig sein werde. Und das Thema Nachhaltigkeit wird mich da sicher auch weiter beschäftigen.“ Wie bei Coldplay eben. Ein guter Song kommt in jeder Arena an.

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