IM INTERVIEW: HENNING GEBHARDT

Trend zur KGaA ein Rückschritt

Berenberg-Manager kritisiert "Deutschland AG" bei Aufsichtsrat und bricht eine Lanze für die Autoindustrie und Perlen im Softwaresektor

Trend zur KGaA ein Rückschritt

– Herr Gebhardt, in der laufenden HV-Saison demonstrieren deutsche Unternehmen erneut ihre Stärke: die Gewinne sprudeln, 20 von 30 Dax-Unternehmen markieren mit ihrer Dividendenzahlung neue Rekorde. Ist diese Dividendenstärke für Sie ein maßgebliches Investmentkriterium?Die Dividendensumme ist zunächst einmal ein sehr wichtiges Signal, nämlich dass die Unternehmen in der Lage sind, überhaupt Gewinn auszuschütten. Das symbolisiert gewissermaßen Stärke. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Unternehmen die Dividende über die Jahre auch steigern können. Die Rekordausschüttung für 2017 zeigt, dass dies ein sehr gutes Geschäftsjahr war. Die Dividendensteigerung impliziert dabei meist auch das Signal, dass die Unternehmen sich zutrauen, dies auch zu wiederholen. Für den Anleger, auch gerade für den Privatanleger, ist dies ein wichtiges Kriterium. In Zeiten schwankender Kurse ist die Ausschüttung für die Rendite der Anlage ein stabilisierender Faktor.- Was sind für Sie weitere ausschlaggebende Kriterien, um in eine Aktie zu investieren?Ganz entscheidend ist die Bilanzqualität eines Unternehmens. Hinzu kommt Gewinnwachstum über die Zeit und vor allem auch die Stabilität des Geschäftsmodells. Die Dividende ist ja gewissermaßen das Ergebnis dieser Grundlagen. So wichtig sie ist, dürfte sie im Angesicht steigender Zinsen als Investmentkriterium allmählich an Gewicht verlieren. Die Attraktivität von dividendenstarken Aktien misst sich naturgemäß im Vergleich zu verzinslichen Papieren. In den USA steigen die Zinsen, das hat natürlich Auswirkungen auf die Aktien. Daher bevorzugen wir eher Aktien mit strukturellem Wachstum.- Rechnen Sie auch für Europa bald mit spürbar steigenden Zinsen?Nein, wir erwarten nicht, dass die Zinsen in Europa bald deutlich steigen. Deshalb gehen wir davon aus, dass der Renditevorteil von Dividendentiteln gegenüber Zinstiteln, sowohl was Staatsanleihen als auch Corporates betrifft, erhalten bleibt. Die Dividende ist also wirklich “der bessere Zins”, auch weil die Unternehmen im Durchschnitt nicht hoch bewertet sind.- Welche Bedeutung messen Sie Governance-Themen bei? Im Lichte aktueller Entwicklungen bei der Deutschen Bank oder bei VW ist ja die Rolle des Aufsichtsrats, seine Kompetenz und Aufgabenstellung, die Vielzahl von Mandaten in der Diskussion. Wie beurteilen Sie den Zustand der Corporate Governance in Deutschland?Die Governance-Strukturen bei deutschen Unternehmen sind sehr wichtig für uns. Allerdings gab es in den letzten Jahren leider auch einige Entwicklungen, die ich als Rückschritt sehen würde. Da ist zum einen der Trend zur KGaA, weil den Investoren damit ein Teil ihrer Mitbestimmungsrechte genommen wird. Überdies kann man den Eindruck gewinnen, dass die “Deutschland AG” bei den Aufsichtsräten nach wie vor etabliert ist. Es sind häufig dieselben Namen, die auftauchen, noch immer gibt es viele Multi-Aufsichtsräte.- Hier ist also Handlungsbedarf?Es ist unstrittig, dass sich die Arbeit der Aufsichtsräte in den vergangenen Jahren erheblich verbessert hat, aber die Anforderungen sind auch enorm gestiegen. Der Vorsitz des Prüfungsausschusses oder Vorsitz im Aufsichtsrat eines Dax-Konzerns ist eigentlich ein Vollzeitjob. Dem sollte durchaus auch in der Bezahlung Rechnung getragen werden. Jedenfalls ist es aus meiner Sicht heute nicht darstellbar und zu verantworten, dass jemand zehn Aufsichtsratsmandate wahrnimmt.- Wie beurteilen Sie als Investor Unternehmen, bei denen der Staat als substanzieller Anteilseigner mitmischt?Das ist für uns kein Ausschlusskriterium, aber wir hinterfragen das kritisch. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob ein solches Unternehmen die Leistungsfähigkeit hat, die erreichbar wäre, oder ob es aufgrund der Aktionärsstruktur Hemmnisse gibt. Man kann da aber verschiedene Beispiele beobachten. Wenn Sie die Deutsche Post anschauen, dann hat hier ein Unternehmen mit staatlicher Beteiligung in den letzten Jahren einen sehr guten Job gemacht.- Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Vergütungsstrukturen?Ich gehe davon aus, dass das Thema in der diesjährigen HV-Saison eine große Rolle spielen wird. Wir haben einige Unternehmen wie beispielsweise Adidas, die sich sehr viel Mühe gegeben haben, um eine Vergütungsstruktur zu etablieren, die tatsächlich den langfristigen Unternehmenserfolg und damit den Erfolg für die Aktionäre mit der Bezahlung des Vorstands verknüpft. Das Unternehmen hat hier sicherlich Vorbildcharakter. Solche Strukturen brauchen wir mehr. Ich glaube, dass die Diskussion jetzt richtig Fahrt aufnimmt und mehr Transparenz für die Investoren geschaffen wird.- Sie sprachen von der Stabilität der Geschäftsmodelle. In welchen Branchen sind die Unternehmen aus Ihrer Sicht gut aufgestellt, welche stehen im Hinblick auf ihre Geschäftsmodelle vor Herausforderungen?Einige Sektoren stehen unzweifelhaft vor großen Herausforderungen. Das gilt mit Blick auf die europäische Ebene etwa für Unternehmen aus dem Nahrungs- und Genussmittel-Sektor, die historisch als sehr dividendenstark wahrgenommen werden. Dasselbe gilt für Einzelhändler und Warenhäuser, die mit dem disruptiven Einfluss von Internet-Angeboten zu kämpfen haben. Auf der anderen Seite sind Firmen im Öl- und Rohstoffsektor inzwischen besser aufgestellt, nachdem viele von ihnen durch eine Restrukturierung gegangen sind.- Wie beurteilen Sie die Lage des Automobilsektors?Das ist eine sehr interessante Branche, die besonders auch bei der Dividendenrendite heraussticht, etwa BMW mit mehr als 4 %. In der Wahrnehmung der Märkte dominieren seit längerem die Risiken, sei es durch den Niedergang des Diesels, E-Mobilität und Zukunftsthemen wie autonomes Fahren. Man befürchtet hohe Investitionserfordernisse, die die Marge belasten. Allerdings ist diese Belastung bisher nicht erkennbar, obwohl die Anleger der Branche schon das dritte Jahr infolge mit Skepsis begegnen.- Wie beurteilen Sie die Abhängigkeit nahezu der gesamten Branche von China?Es ist ein ganzer Strauß von Faktoren, der die Kurse der Automobilaktien belastet, der Konjunkturzyklus in China oder auch in den USA ist auch einer davon. Wenn man allerdings einerseits die anhaltende Skepsis der Märkte und vieler Analysten sieht und andererseits betrachtet, wie gut sich die Unternehmen schlagen, könnte man dies auch als Kontraindikator sehen und als Investmentchance. Allerdings bleiben die Langfristthemen auf der Agenda und die Branche muss beweisen, dass damit umgehen kann.- Eine andere Leitbranche hierzulande ist der Maschinenbau, der gerade auf der gerade zu Ende gegangenen Hannover Messe bemüht war zu zeigen, dass die Unternehmen die Chancen und Herausforderungen von Industrie 4.0 erkannt haben. Wie sehen Sie das?Ich glaube, dass die notwendigen Veränderungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Industrie 4.0, dem Internet der Dinge, vor allem für deutsche Software-Unternehmen sehr gute Chancen bieten, da sie die Produkte haben, die die Industrie nun braucht. Es wird immer beklagt, dass wir in Deutschland keine Softwareindustrie haben, keine bedeutenden Player – jenseits von SAP – aber das stimmt so nicht. Wir haben eine Reihe interessanter kleinerer Firmen an der Börse, die gut positioniert sind, wie zum Beispiel Bechtle, Cancom, Adesso . . .- Aber der Maschinenbau selbst steht ja zunächst vor der Aufgabe, sich für Industrie 4.0 fit zu machen und zu investieren. Ist diese klassische Leitbranche aus Ihrer Sicht da gut aufgestellt oder für Anleger mit Vorsicht zu genießen?Ein großer Teil von Maschinenbaufirmen hierzulande ist eng mit der Automobilindustrie verzahnt und teilt insofern deren Entwicklung. Es kommt grundsätzlich darauf, ob es sich um Unternehmen handelt, die in der Automatisierungstechnik tätig sind, oder um solche im klassischen Industriebereich, wo auch die Investments vielleicht nachlassen. Das muss man schon differenzieren.- Sie haben die Softwareindustrie angesprochen. In Deutschland war – auch gerade bei IPOs – oft eine große Zurückhaltung des Publikums bei Technologie beziehungsweise auch Telekom- und Medienwerten (TMT) zu beobachten. Was sind die Ursachen?Wir sind eigentlich gerne bei IPOs an Bord, die sich in der Roadshow-Phase etwas schwieriger gestalten. Dies führt meist dazu, dass die angepeilte Bewertungsspanne nicht ausgereizt wird, und das ist dann vorteilhaft für die anschließende Performance. Spannend ist aber die Entwicklung des IPO-Marktes, der in Deutschland generell als schwierig gilt, keineswegs nur im TMT-Bereich. Ich denke, da tut sich was. Wir haben eine ganze Reihe von Börsengängen gesehen. Interessant ist dabei die Breite der Geschäfte. Es gab Jahre, da gingen zum Beispiel sehr viele Immobilienunternehmen an die Börse. Jetzt erstreckt sich das Angebot über ein breites Branchenfeld. Hinzu kommt: wir haben Spin-offs, wir haben Exits von Private Equity, wir haben Wachstumsfinanzierungen. Das ist eine sehr gesunde Entwicklung. Aber natürlich brauchen wir die Teilnahme internationaler Investoren, in Deutschland haben wir nicht genug.- Haben wir die richtigen regulatorischen Rahmenbedingungen, um Unternehmen den Weg an die Börse zu ebnen?Der Weg zur Börse wirkt für viele Unternehmen, auch aufgrund regulatorischer Anforderungen, abschreckend und sehr teuer. Es dominiert der Eindruck, die Börsennotiz ist nur ein Kostenfaktor ohne positiven Gegenwert. Da ist die Politik gefragt, die Attraktivität des Kapitalmarkts und der Aktie zu erhöhen.- War die Schaffung von Scale aus Ihrer Sicht ein guter Schritt?Es war sicher ein guter Schritt, aber das Segment richtet sich an kleine Unternehmen, eher an eine Nische, und hilft im Gesamtkontext nur wenig weiter. Unbestreitbar ist die steuerliche Benachteiligung von Aktieninvestments. Die ist einfach vorhanden und sollte adressiert werden.- Zum Sektor gehört auch die Telekom. In die T-Aktie sind Sie nicht investiert, warum nicht?Der Sektor hat sich als Ganzes im vergangenen Jahr nicht gut entwickelt. Es gibt eine Reihe von Herausforderungen für alle Unternehmen, wie etwa den Ausbau neuer Infrastruktur, den Mobilfunk der fünften Generation, das alles kostet Geld. Außerdem kommt in Europa insgesamt die Konsolidierung der Branche nur wenig voran. Da gibt es vor allem politische Hindernisse, meist geht es um Wettbewerbsfragen. Ob das dem Ausbau von Technologie hilft, ist die andere Frage. – Das trifft die Telekom nicht allein.Sagen wir es einmal so: Wenn Sie sich den Gesamtmarkt anschauen, gibt es Unternehmen, die sich einfach besser entwickeln und in meinen Augen mehr richtig machen.—-Das Interview führte Heidi Rohde.