Sopna Sury

Wasserstoff als nächster logischer Schritt

Als Wasserstoffvorständin ist Sopna Sury das Gesicht der Wasserstoffstrategie von RWE. Im Interview der Börsen-Zeitung verhehlt Sury nicht, welche Fragezeichen diese Strategie noch be­inhaltet.

Wasserstoff als nächster logischer Schritt

Daniel Wolf.

Frau Dr. Sury, Sie sind derzeit nach dem neuen CEO Markus Krebber die medial gefragteste Person bei RWE. Was ist so spannend am Wasserstoff als Energieträger?

Ich war bei Antritt meiner neuen Rolle selbst überrascht, welch große Aufmerksamkeit Wasserstoff mittlerweile medial wie politisch erfährt. Wir sind offenbar als Gesellschaft aufgewacht und verstehen, dass Wasserstoff der Schlüssel zur Energiewende ist. RWE zählt da zu den Pionieren. Konzernweit arbeiten 250 Kolleginnen und Kollegen an dem Thema und versuchen, in einem gerade erst entstehenden Lösungsraum, Modelle für eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft zu etablieren. Uns treibt die Leidenschaft, die Energiewende zu gestalten und etwas zu verändern.

Warum braucht RWE ein eigenes Wasserstoffressort?

RWE befindet sich als Konzern mit Kohleausstieg und strategischem Wachstum im Ökostrombereich ohnehin mitten in einer riesigen Transformation. Schon heute gehen 90 % unseres investierten Kapitals in die erneuerbaren Energien. Jetzt sind aber gerade diese volatil, somit ist Wasserstoff schlicht der nächste logische Schritt – aus Dekarbonisierungs-und Systemstabilitätsperspektive. Für das Thema Wasserstoff bündeln wir nun unser energiewirtschaftliches Know-how und all unsere Fähigkeiten entlang der Wertschöpfungskette in einem Ressort bei der RWE Generation. Für grünen Wasserstoff braucht es ja nicht nur den grünen Strom. Da geht es um das Verständnis für die möglichen Wasserstofftechnologien, um Regulatorik, die Entwicklung entsprechender kommerzieller Großprojekte, den Betrieb der Elektrolyseure und die Kooperation mit Kunden. Dem geben wir jetzt die Aufmerksamkeit eines eigenen Managements. In zehn Jahren wird dann wohl eher die Frage gestellt werden, warum nicht viel mehr Unternehmen dem Thema diesen Fokus eingeräumt haben.

Laut einer Studie der Wasserstoff-Initiative European Hydrogen Backbone (EHB) könnte sich die Nachfrage nach grünem Wasserstoff in der EU und Großbritannien bis 2050 auf 2 300 Terawattstunden (TWh) fast versiebenfachen – und dann ein Viertel des gesamten Energiebedarfs ausmachen. Ist das stemmbar?

Die Nachfrage ist da und sie wird definitiv zunehmen. Das zeigen alle Studien, wenngleich der genaue Wasserstoffbedarf und die Marktentwicklung noch kaum vorhersehbar sind. Und mit zunehmender Wasserstoffproduktion wird der Bedarf an erneuerbaren Energien erst recht exorbitant steigen. Die jetzigen Ausbauziele in Deutschland und Europa reflektieren aber noch nicht den grünen Strom, der benötigt wird, um alle geplanten Elektrolyseure für die Umwandlung in grünen Wasserstoff auch wirklich laufen zu lassen. Deutschland hat gerade für Offshore-Wind noch massives Potenzial, aber eben auch einen riesigen Nachholbedarf. Die Wirtschaft braucht mehr und vor allen Dingen schneller zusätzliche heimische Ökostromproduktion – und auch die wird noch nicht ausreichen. Langfristig werden nach heutigen Schätzungen rund 20 % des in Deutschland genutzten grünen Wasserstoffs auch hierzulande produziert, für ganz Europa sind die Zahlen entsprechend. Wir werden sicherlich mindestens zu 80 % auf Importe angewiesen sein.

Welche Auswirkungen hat das?

Deutschland importiert ja schon seit Jahren Energie. Und in vielen Ländern kann grüner Strom einfach viel günstiger produziert werden, weil dort mehr Wind weht oder die Sonne länger scheint, so wie beispielsweise im südlichen Europa. Aber auch Nordafrika und der Mittlere Osten bieten riesige potenzielle Flächen für Erneuerbare-Anlagen. Langfristig wird in solchen Märkten darum sicherlich verstärkt und günstiger Wasserstoff produziert werden als in Deutschland. In Australien sind wir bereits mit dem Projektentwickler H2U aktiv und beabsichtigen, den grünen Wasserstoffhandel mit Deutschland und Europa zu entwickeln. Aber die beste Form für den Transport des Energieträgers – beispielsweise über Derivate wie Ammoniak oder Methan – ist noch nicht definiert, und die Transportkosten sind sehr hoch. Insofern muss es gelingen, die Wasserstoffproduktion in Deutschland mit unserer heimischen Industrie anzuschieben. Wir können nicht noch zehn Jahre warten. Sonst wandern Unternehmen und damit Arbeitsplätze aus energieintensiven Branchen ab – das kann sich Deutschland keinesfalls leisten.

Können deutsche Firmen Wasserstoff denn kurzfristig aus dem europäischen Ausland beziehen?

Auch Europa bietet Möglichkeiten des Wasserstoffbezugs. Unter den Nachbarstaaten schauen wir insbesondere auf die Niederlande. Die bieten, genau wie Deutschland große Chancen für Offshore-Wind. In den Niederlanden existieren viele Erdgasleitungen, die perspektivisch nicht mehr gebraucht werden und relativ günstig für den Wasserstofftransport in Richtung Ruhrgebiet umgerüstet werden können. Dadurch ist auch der Hafen Rotterdam als möglicher Bezugspunkt für Gasimporte aus anderen Teilen der Welt interessant. Darüber hinaus bietet Südeuropa großes Ökostrom- und somit Wasserstoffpotenzial. In Spanien sind zum Beispiel schon einige Projekte angekündigt. Auch Frankreich ist aufgrund seiner guten Onshore-Windbedingungen interessant. Aber von hier würde der Wasserstoff per neuer Pipelines gen Norden kommen müssen. Das wären dann wieder riesige Infrastrukturvorhaben.

Nun sprechen wir ohnehin nur über möglichen Export, vor allem nach Deutschland, aber nicht über die Nachfrage und den Verkauf von Wasserstoff in den Märkten selbst. Wie ist da das Verhältnis?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt vom Transformationspfad jedes einzelnen Landes ab. Natürlich werden heimische Unternehmen ihre Prozesse überall dort auf Wasserstoff umstellen, wo der in großen Mengen produziert wird. In China und Indien entwickeln sich in massiver Geschwindigkeit Abnehmerindustrien. Aber die heutigen globalen Energieströme wird es grundsätzlich auch in Zukunft geben. Märkte wie Australien oder die USA werden längerfristig Nettoexporteure sein, andere – gerade hier in Europa – Nettoimporteure. Stand heute brauchen wir hier einfach Wasserstoff, und zwar besonders für die Industrie in Deutschland. Deutschland ist ja ohnehin Energieimporteur, also ist das kein neues Thema.

Gutes Stichwort. Bedeutet das, für das angesprochene Fünftel heimische Wasserstoffproduktion wird in Deutschland langfristig auch importierter neben heimischem Ökostrom genutzt?

Das wird davon abhängen, wie künftig die rechtlichen Rahmenbedingungen aussehen – sowohl für Grünstromimporte als auch für den dringend benötigten Zubau der Erneuerbaren in Deutschland. Es ist wichtig, dass wir in Deutschland und Europa keine Zeit verlieren und zusätzlich zu neuen Anlangen auch das vollständig verfügbare Potenzial bestehender Wind- und Solaranlagen nutzen. In jedem Fall gilt: Auch wenn Strom aus niederländischen Offshore- oder polnischen Onshore-Anlagen kommt, ist das grüner Strom. Die Herkunft muss nur transparent und die grüne Eigenschaft gesichert sein.

Kommen wir wieder konkret zu RWE: Welchen Fahrplan sieht Ihre Wasserstoff-Strategie Stand heute vor?

Wir wollen in jedem Fall eine führende Rolle spielen. Konkret sehen wir uns 2024 als einer der ersten Betreiber großskaliger Elektrolyse-Anlagen. Noch konkreter macht sich die Strategie an unseren rund 30 integrierten Projekten fest, die wir in verschiedenen Reifegeraden und mit ganz unterschiedlichen Partnern und Konsortien betreiben. Bei all diesen Großvorhaben geht es um integrierte Projekte und Anwendungsfälle – von der Produktion, die wir alleine oder gemeinsam mit Industriepartnern übernehmen, über den Transport bis zur Frage des Abnehmers. Das Gute ist: Jedes dieser Projekte für sich kann theoretisch auf mehrere Gigawatt Energieleistung skaliert werden.

Wo befinden sich diese Projekte?

Wir fokussieren uns auf Deutschland, die Niederlande und Großbritannien. Das sind die Märkte, wo der Gesetzgeber sehr aktiv ist und wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette über alle Zutaten selber verfügen oder diese vorfinden. Über die 30 großen Projekte hinaus gibt es in frühen Stadien Beobachtungen und Marktanalysen – auch in Ländern wie Australien. Und es kommen jeden Tag weitere Anfragen – aus dem asiatischen Raum, aus Lateinamerika oder Südeuropa.

Vier Projekte mit RWE-Beteiligung stehen in der engeren Auswahl für eine Bundesförderung im europäischen IPCEI-Rahmen.

Ja, und das freut uns sehr. Nominiert ist ein Projekt, das wir mit sieben Unternehmen der GET-H2-Initiative in Lingen vorantreiben. Außerdem die Vorhaben AquaSector und AquaDuctus aus der Projektfamilie AquaVentus sowie der HyTechHafen-Rostock. Dass wir bei der europäischen Förderung in die zweite Runde gekommen sind, ist ein ganz wichtiger Meilenstein. Wenn die Förderung kommt und die Regulatorik stimmt, gehen wir in Lingen 2024 mit den ersten 100 Megawatt online. 2026 wären wir bei 300 MW, und bis 2028 haben wir ein Ausbaupotenzial von 2 Gigawatt Elektrolyseurkapazität. Bei der Projektfamilie AquaVentus sprechen wir insgesamt über 10 GW bis 2035.

Welche Rolle spielt die Aussicht auf Förderung dabei – muss dieser Baustein mitgerechnet werden, damit sich die Projekte lohnen?

Auch wenn man strategisch an ein Projekt glaubt, muss es sich finanziell rechnen. Und da findet sich momentan kein einziges. Das gilt nicht nur für RWE, sondern das ist grundsätzlich dem geringen Reifegrad des Wasserstoffmarktes geschuldet. Wir stehen am Beginn einer komplett neuen Industrieentwicklung.

Woran hängen denn konkret noch die Kosten?

Gerade bei den Elektrolyseuren prognostizieren wir eine immense Kostendegression bis 2030. Auch bei grünem Strom ist „Musik“ drin. Mit der entsprechenden Skalierung werden auch die Stromentstehungskosten sinken. Die heute existierenden Projekte sind sehr klein, da reden wir über 10 oder 20 Megawatt. Weltweit gab es Ende 2019 erst 100 MW installierte Elektrolyseurkapazität. Angesichts aktueller Nachfrageprognosen kann man sich vorstellen, welcher Ausbau da erforderlich ist. Der wird entsprechende Kostendegressionen bewirken. Doch ohne Anschub wird es in der ersten Hochlaufphase nicht funktionieren. Wenn sich der Markt entwickelt hat, braucht es dann aber wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle.

Nicht nur bei RWE hat der Hochlauf begonnen. Aber wann wird genügend Wasserstoff vorhanden und bezahlbar sein?

Kurz nach 2030 sehen wir in den Prognosen, dass grüner Wasserstoff im Vergleich zum aus Erdgas hergestellten blauen Wasserstoff wettbewerbsfähig sein wird. So wie die Erneuerbaren zehn bis 15 Jahre gebraucht haben, um industriell skalierbar und preislich attraktiv zu sein, so werden wir es auch hier erleben. Bis dahin hängt die Bezahlbarkeit neben der erwähnten Anschubfinanzierung an politischen Entscheidungen zu einer möglichen Kompensation der Kostenlücke, die Abnehmern entsteht, wenn sie freiwillig auf grünen Wasserstoff umstellen.

Welche Bedeutung hat blauer oder grauer, also nicht ganz CO2-neutraler Wasserstoff für Sie?

Unser Fokus liegt auf grünem Wasserstoff. Das ist auch sinnvoll mit all unseren Erneuerbaren im Portfolio. Insgesamt wird es im Markt sicherlich noch eine ganze Weile zumindest blauen Wasserstoff geben, bei dem CO2 gespeichert wird. Es macht keinen Sinn, sich ideologisch darauf zu versteifen, dass in den kommenden zwei bis vier Jahren jedes genutzte Wasserstoffmolekül grün sein muss. Industriekunden müssen heute die Investitionsentscheidungen treffen und anfangen, ihre Produktionsprozesse umzustellen, damit wir 2030 ein Klimaziel erreichen können. Dafür werden entsprechende Wasserstoffvolumina und Planungssicherheit benötigt. Da ist also Druck auf dem Kessel.

Was wünschen Sie sich abgesehen von den besprochenen Förderthemen noch von der Bundesregierung?

Die deutsche Politik hat in den vergangenen 18 Monaten schon sehr viele und wichtige Impulse gesetzt. Grundsätzlich liegt die Aufgabe der Politik darin, vor allem Planungs- und Investitionssicherheit zu vermitteln. Das gilt für Wasserstoffanlagen und ebenso für Infrastrukturvorhaben wie Gas- und Stromtrassen der Netzbetreiber, mit denen wir zusammenarbeiten. Neben Themen wie ambitionierteren Ausbauzielen beim Ökostrom oder der Befreiung von der EEG-Umlage für Elektrolyseure geht es hier vor allem um die Genehmigungsverfahren. Wenn die Privatwirtschaft versteht, unter welchen regulatorischen Rahmenbedingungen sie agiert, dann hilft ihr das. Der gesetzliche Rahmen ist das A und O.

Die Volatilität der Erneuerbaren haben Sie eingangs selbst angesprochen. Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund Wasserstoff als Stromspeicher, und was tut RWE in diesem Bereich?

Wir bauen auch Batteriespeicher, aber die eignen sich noch nicht als Saisonalspeicher. Da reden wir über zwei bis vier Stunden Speicherdauer, je nach Dimensionierung. Mittels Wasserstoff können wir grünen Strom in Hochphasen auch langfristig speichern und ihn bei Bedarf wieder ins Netz speisen. Dabei lassen sich grundsätzlich auch heutige Salzkavernen-Gasspeicher nutzen.

Aber interessant wird das doch wohl erst, wenn der kurzfristige Wasserstoffbedarf irgendwann erfüllt ist.

Genau. Bei unseren Projekten wie Get H2 brauchen wir bis etwa 250 MW Elektrolyseleistung noch keine Speicherung. Erste Abnehmer wie in der Raffinerieindustrie können die erzeugten Mengen an grünem Wasserstoff flexibel aufnehmen. Die fangen Schwankungen gegebenenfalls mit Wasserstoff in anderen Farben auf. Spätestens ab 300 MW kann ein Speicher jedoch eine sinnvolle Komponente sein. Dann versorgen wir darüber auch Unternehmen, die rund um die Uhr konstante Mengen an grünem Wasserstoff benötigen. Output-Schwankungen können wir dann mit Hilfe unserer Speicher ausgleichen.

Für Ihre Projekte schmieden Sie Allianzen mit Industrie und Wissenschaft, aber auch anderen Energieunternehmen. Was macht das mit dem Wettbewerb im Energiebereich?

Es geht um gemeinschaftliche Vorgänge, kein Unternehmen gewinnt hier alleine. In der Regel ist nicht jeder an jedem Teil des Projekts beteiligt. Wir stellen den grünen Strom und kümmern uns um die Elektrolyse, andere übernehmen den Transport über Pipelines oder beteiligen sich als kommerzielle Abnehmer. Diese Wasserstoffcluster, diese Mikrokosmen sind essenziell und werden noch einige Jahre Bestand haben. Bei diesem Thema können wir als gesamte Wirtschaft etwas erreichen. Natürlich gibt es einen Wettbewerb zwischen einzelnen Projekten um Fördergelder. Wobei die Bundesregierung hier ja große Fortschritte gemacht hat und insgesamt über 9 Mrd. Euro in die Wasserstoffindustrie fließen sollen. Und nicht nur das Geld, auch der Bedarf ist da. Wir könnten noch 1 000 Projekte auflegen, und das würde immer noch nicht reichen.

Das Interview führte

BZ+
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