Matthias Heiden, Software AG

„Wir müssen noch beständiger werden“ 

Die Software AG musste kürzlich die Prognose für den Geschäftsbereich Digital Business senken, die Kunden zögern bei Abschlüssen. CFO Matthias Heiden setzt für mehr Vertriebspower auf das erweiterte Vorstandsteam und den neuen Großinvestor Silver Lake.

„Wir müssen noch beständiger werden“ 

Herr Heiden, der Bereich Digital Business gilt als Wachstumshoffnung der Software AG, doch die Prognose bei den Auftragseingängen mussten Sie zuletzt von 15 bis 25% Wachstum auf 12 bis 18% senken. Woran hängt es?

Wir konnten zwar die Prognose in allen anderen Punkten bestätigen, aber der Auftragseingang im Digital Business blieb unter unseren Erwartungen. Ein Faktor ist das Verhalten von Entscheidungsträgern. Diesen Punkt beobachten übrigens auch einige unserer Wettbewerber. Manager haben derzeit den Tisch voll mit drängenden Fragestellungen. Das Thema IT wird dadurch nicht weniger wichtig, wir sehen keinen Rückgang in der Nachfrage. Aber Entscheidungen verzögern sich, und das ist auch verständlich: Kunden priorisieren etwa Lieferkettenprobleme oder Herausforderungen in der Energieversorgung.

Neben dem Kundenverhalten gibt es doch auch interne Faktoren.

Ja. Um es ganz klar zu sagen: Wir können mit der Vertriebsleistung im zweiten Quartal nicht zufrieden sein. Das, was zugesichert war, ist nicht gekommen. Was man der Situation positiv abgewinnen kann: Wir haben die Kunden nicht an Wettbewerber verloren. Die Zahl der Kundenkontakte ist gleichbleibend hoch. IT und Datenverfügbarkeit sind relevant für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und bleiben auf der Agenda einer Führungskraft. Aber wir müssen kritisch hinterfragen, für welchen Zeitpunkt wir Abschlüsse einkalkulieren können.

Die volatile Gesamtsituation hält weiter an. Was erwarten Sie für die nächsten Quartale? 

Zumindest werden wir nicht alle Verschiebungen­ im laufenden Geschäftsjahr noch verbuchen können, daher auch die Prognosesenkung in diesem Bereich. Grundsätzlich ist bei uns das dritte Quartal oft ein Übergangsquartal, das vierte ist in der Regel das abschlussstärkste. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir

erkannt haben, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen. Da setzen wir nun an.

Wie sieht das konkret aus?

Der nach außen hin sichtbarste Ausdruck dafür ist unsere neue Aufstellung im Vorstand: Wir haben Joshua Husk als Chief Revenue Officer und Benno Quade als Chief Operating Officer neu an Bord. Beide gehen sehr dynamisch an ihre Aufgaben heran und bringen noch einmal einen anderen Blick auf die Aufgaben mit.

Der Vorstand war erst 2019 auf vier Personen abgeschmolzen, künftig sind Sie wieder zu sechst. Warum das Hin und Her?

Zum Thema Vorstandsbesetzung müssen Sie den Aufsichtsrat fragen. Aus operativer Sicht kann ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit dem Vertrieb genauso eng war, bevor die Leitung ein Vorstandsressort wurde. Der Umbau zeigt aber noch einmal ganz klar: Der Vertrieb soll in Sachen Effektivität und Effizienz vorangetrieben werden – als CFO beteilige ich mich gerne an beiden Punkten.

Sie haben seit Ende des Jahres 2021 den Tech-Investor Silver Lake als Großinvestor an Bord, der über eine Wandelanleihe mit fünf Jahren Laufzeit im Volumen von 344 Mill. Euro eingestiegen ist. Die Summe entspricht rund 10% des Grundkapitals. Wie stark zeigt sich Silver Lakes Handschrift schon?

Christian Lucas, der Co-Head EMEA von Silver Lake, hat inzwischen den Aufsichtsratsvorsitz inne. Entsprechend ist Silver Lake natürlich in Personalentscheidungen und in strategische Fragestellungen partnerschaftlich involviert. Dabei sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass der Investor uns Themen von außen vorgibt. Das erlebe ich keinesfalls so.

Sondern?

Es ist ein sehr fruchtbarer Austausch. Die Dialoge mit Silver Lake laufen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Silver Lake stellt herausfordernde Fragen, aber es sind die richtigen Fragen. Dann arbeiten wir gemeinsam an Antworten. Das ist manchmal auch anstrengend, aber auf eine sehr konstruktive Art und Weise.

Sowohl Ihr Vorstandsvertrag als auch der von CEO Sanjay Brahmawar läuft derzeit bis 2023. Das ist auch das letzte Jahr des Transformationsprogramms Helix. Hängt Ihr Schicksal am Erfolg von Helix?

Auch diese Personalentscheidung trifft natürlich der Aufsichtsrat. Ich glaube aber nicht, dass mein Schicksal­ an Helix hängt. Wenn dem so wäre, würde mir auch nicht bange. Wir haben dank Helix große Fortschritte­ bei der Umstellung auf ein Subskriptionsmodell gemacht und das für 2023 ausgerufene Ziel von 85 bis 90% wiederkehrender Erlöse am Produktumsatz bereits erreicht. Unser gesamtes Produktportfolio ist jetzt voll cloudfähig. Und der Produktumsatz wächst seit dem zweiten Quartal 2021 kontinuierlich. Das hilft uns auch dabei, Schwankungen im Auftragseingang wie zuletzt im zweiten Quartal besser abzufedern.

Wieso schlagen sich diese Fortschritte dann bislang nicht im Aktienkurs nieder?

Da deckt sich meine Wahrnehmung als CFO mit der Perspektive des Kapitalmarkts: Um die Aktie zu beflügeln, müssen wir konstanter unsere Leistung bringen. Ich höre von Investoren viel Anerkennung für den Stand der Transformation, aber eben auch die Forderung nach mehr Kontinuität. Wir haben 2021 im dritten Quartal einen Rückschlag erlebt und nun wieder im zweiten Quartal dieses Jahres. Da müssen wir noch beständiger werden.

Das Helix-Programm war zu­nächst bis 2023 angesetzt. Wie geht es danach weiter? 

Helix geht gefühlt zwar auf die finale Etappe, aber es war von Anfang an klar, dass die Transformation nicht an einem bestimmten Datum abgeschlossen sein würde. Deshalb wird es definitiv ein Anschlussprogramm als Teil einer neuen Mittelfristplanung geben.

Können Sie schon absehen, welche Schwerpunkte das haben wird? 

Ich denke, dass wir die begonnene Reise auf dem eingeschlagenen Weg fortsetzen können, die Richtung stimmt. Mir macht es Mut, dass auch unsere Belegschaft mit hoher Motivation dabei ist und die Transformation unterstützt. Das ist bei einem so dynamischen und anstrengenden Prozess nicht selbstverständlich.

Wie haben Sie diesen erlebt? Kann Transformation Spaß machen?

Für mich ist es eine extrem spannende persönliche Erfahrung. Die Rolle des CFO ist in einer Transformation sehr strategisch geprägt und bietet sehr viele Möglichkeiten, Wertbeiträge zu leisten. Man ist die unabhängige Stimme am Managementtisch: Es geht um Daten und Fakten sowie das Aufzeigen von wirtschaftlichen Implikationen. Man muss die Zahlen zum Sprechen bringen.

Eine Zielsetzung von Helix war es, den attraktiven US-Markt stärker in Angriff zu nehmen. Zuletzt stagnierte die Dynamik: Nordamerika steuerte im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatz von 245 Mill. Euro bei, im Vorjahr waren es 244 Mill. Euro. Was könnte neuen Schwung bringen?

Nordamerika ist definitiv ein Fokusmarkt für uns, der großes Potenzial bietet. Mein neuer Vorstandskollege Joshua Husk ist US-Amerikaner und kann sicherlich gute Impulse setzen. Außerdem profitieren wir hier auch von der Partnerschaft mit Silver Lake. Wenn der Name fällt, dann gehen auch mal Türen auf, die bis dato verschlossen waren.

Auch das Aktionariat ist stärker international geprägt: Ende Juni 2022 kamen 40% der Aktionäre aus den USA.

Die Internationalisierung der Aktionärsstruktur war ein großes Ziel, und es freut mich, diese Fortschritte zu sehen. Wir werden insbesondere in Großbritannien und in den USA, wo viele etablierte, große Tech-Investoren ansässig sind, deutlich stärker wahrgenommen als noch vor wenigen Jahren. Diese Investoren haben die Software AG aus Darmstadt jetzt als Investmentmöglichkeit auf dem Radar.

Sie haben gerade 524 Mill. Euro für die Übernahme von Streamsets gezahlt, einem US-Anbieter für Datenintegrationslösungen. Der organische Gesamtumsatz der Software AG lag im ersten Halbjahr bei 426 Mill. Euro, mit zweieinhalb Monaten Streamsets eingerechnet waren es knapp 433 Mill. Euro. Wie passen die Zahlen zusammen?

Eines möchte ich ganz klar sagen: Wir haben Freude an Streamsets und liegen auf dem Kurs, den wir mit unserem Aufsichtsrat abgestimmt haben. Die Umsatzentwicklung ist im Plan. Wachstumsunternehmen im Software-Bereich sind nicht immer profitabel, insbesondere wenn man in einem frühen Stadium einsteigt. Das Ergebnis bei Streamsets wird sich von Jahr zu Jahr verbessern. Außerdem können wir künftig unsere Angebote gemeinsam bei Kunden verankern.

Stehen weitere Zukäufe auf der Agenda?

Derzeit steht die Integration im Fokus, aber dann kann noch mehr kommen. M&A war von Beginn an ein Fokusthema für die zweite Hälfte des Helix-Programms. Wir haben keinen Druck, aber wir sind von den organisatorischen Voraussetzungen her vorbereitet und screenen permanent den Markt. Dabei hilft es uns, dass wir strategisch Klarheit darüber haben, was wir suchen und was wir uns von Zukäufen auch in finanzieller Hinsicht mittelfristig erwarten. Uns interessieren insbesondere Themen wie hybride Integration, intelligente Automatisierung, IoT.

Das klingt im Schwerpunkt nach möglichen Neuzugängen für den Bereich Digital Business.

Der Bereich soll definitiv wachsen, da sind Zukäufe eine Möglichkeit. Wir müssen durch M&A keine grundlegende transformatorische Veränderung der Software AG anstoßen. Die Ausweitung unseres Angebots in dem Markt, den wir aktuell schon adressieren, bietet genügend Potenzial, um sowohl organisch im Bestand als auch durch anorganische Erweiterungen in angrenzende Kompetenzfelder zu wachsen.

Und welche finanziellen Ziele soll das neu erworbene Unternehmen Streamsets erfüllen?

Wir erwarten im dritten Jahr der Konzernzugehörigkeit eine schwarze Null. Spätestens im fünften Jahr der Zugehörigkeit zur Software AG soll ein neuer Unternehmensteil dann das Niveau der Gruppenmarge erreicht haben. Und bevor Sie fragen: Aus heutiger Sicht bin ich zuversichtlich, dass das gelingen wird.

Wie sieht es denn mit dem finanziellen Spielraum der Software AG für weitere Zukäufe aus? 

Das Verhältnis von Net Debt zu Ebitda liegt derzeit bei 1,5 bis 1,6. Mit einem Leverage in dieser Größenordnung fühle ich mich wohl. Perspektivisch strebe ich ein Verhältnis von Net Debt zu Ebitda von 2,0 bis 2,3 an. Vorübergehende Spitzen sind auch mal möglich, sofern diese dann zügig wieder geglättet werden.

Sie haben zum Halbjahr auch die Ergebnisse der Risikoeinschätzungen für wesentliche Bereiche veröffentlicht. Dort wurde beispielsweise das Risiko bei Produktentwicklung und Produktinnovation sowie beim Vertrieb von grün auf gelb gestuft. Wie reagieren Sie auf diese Veränderungen?

Wir veröffentlichen diese Ergebnisse zweimal im Jahr, weil es einerseits wichtige Informationen für die Investoren sind und andererseits einen integralen Bestandteil unserer Managementprozesse darstellt. Unser Gesamtrisikostatus hat sich nicht verändert, aber in einzelnen Bereichen gab es Verschiebungen. Diese Erkenntnisse fließen intern in unsere Gespräche für die Budget- und Mittelfristplanung ein. Bei Feldern, die kritischer gesehen werden, muss man sich fragen, ob es beispielsweise ein strukturelles Thema gibt und wie man auf die Risiken reagieren kann. Das kann bedeuten, dass ein Bereich mehr Management Attention bekommt, manches erfordert womöglich auch mehr Budget. Ich finde es sehr hilfreich, sich die Risikofaktoren im Vorfeld des Budgetzyklus zu vergegenwärtigen.

Das Interview führte Sabine Reifenberger.

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