Credit Suisse

Die Stressszenarien werden Realität

Der oberste Schweizer Bankenaufseher, Finma-Direktor Urban Angehrn, zeigt sich besorgt angesichts aufziehender Gefahren für die Finanzstabilität. Den Kursverfall der Schweizer Großbank Credit Suisse deutet er als Symptom für ein tiefer liegendes Problem.

Die Stressszenarien werden Realität

Von Daniel Zulauf, Zürich

Der Oktober hat sich in der Geschichte immer wieder als besonders gefährlicher Monat für die Finanzmärkte erwiesen. Vielleicht schwang beim Finma-Direktor Urban Angehrn auch das Bewusstsein um dieses eigenartige saisonale Muster mit, als er am Donnerstag auf Einladung des Europa-Instituts der Universität Zürich seine Sicht auf die aktuellen Brennpunkte in der Aufsichtstätigkeit darlegte.

Wenig erbaulich

Der Vortrag des obersten Schweizer Bankenaufsehers dürfte bei dem recht zahlreich erschienenen Publikum einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben – allerdings keinen erbauenden. Angehrn zeigte auf, wie der Ukraine-Krieg mit seinen „wirtschaftlich unabsehbaren Folgen“ für die Energiepreise mit den weltweit scheinbar unvermittelt hochgeschnellten Inflationsraten zusammenfällt und für einen heftigen Anstieg des globalen Zinsniveaus sorgt.

An den gemäß Angehrn teilweise immer noch hoch bewerteten Aktienmärkten und Immobilienmärkten sind schon seit Jahresbeginn erhebliche Preiskorrekturen zu beobachten. Und sie haben sich in den vergangenen vier Wochen markant beschleunigt. Mitverantwortlich dafür ist die teilweise hohe Verschuldung von Unternehmen und Hausbesitzern. Sie lässt in Verbindung mit dem zunehmend rezessiven Umfeld das Risiko von Kreditverlusten steigen.

Angehrns Ausführungen kommen den Stressszenarien auffallend nahe, welche die Schweizerische Nationalbank im Juni in ihrem jährlichen Finanzstabilitätsbericht dargelegt hatte. Die Szenarien bilden auch die Grundlage für die Stresstests, anhand derer die Nationalbank die Widerstandskraft der Banken untersucht. Kaum zufällig hatte am Donnerstag auch der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) auf „eine Reihe schwerwiegender Risiken für die Finanzstabilität“ hingewiesen, die gleichzeitig eintreten und sich gegenseitig beeinflussen und verstärken könnten. Es handelte sich um die erste allgemeine Warnung des EZB-Gremiums seit seiner Gründung im Jahr 2010. Angehrn verwies in seinem Referat auf die hohe Zahl negativer Wirtschaftsnachrichten, die nicht zuletzt für die Banken eine höhere Unsicherheit und somit auch höhere Risiken bedeuten könnten. Natürlich nahm der Finma-Chef keine Namen von konkreten Instituten in den Mund.

Doch kaum jemand im Saal dürfte gezweifelt haben, dass er mit seinen Ausführungen auch die Credit Suisse im Sinn hatte. In deren Aktien kommt das dünne Nervenkostüm der Investoren seit einiger Zeit besonders deutlich zum Ausdruck. Vage Gerüchte über eine mögliche Kapitalerhöhung haben die Papiere seit Mitte September rund ein Viertel ihres Wertes gekostet, und die Kurse schwanken über wenige Tage hinweg in Bandbreiten zwischen −4 und+4 %. Was durch den medialen Fokus auf die von vielen Gerüchten umrankte Credit Suisse bisweilen etwas vergessen geht, ist freilich die Tatsache, dass auch die UBS-Aktien seit Mitte September starke Kurseinbußen (−10 %) unter großen Schwankungsbandbreiten hinnehmen mussten. Ähnlich ergeht es übrigens gerade fast allen Banken in Europa, wie der Einbruch des europäischen Bankaktienindex seit dem 12. September um rund 10 % belegt.

Die aktuellen Probleme hätten im Herbst 2007, also noch ein Jahr vor dem Lehman-Kollaps an der Wall Street, zu großen Turbulenzen und Pleiten geführt, betonte Angehrn. Dass es nunmehr bis jetzt keine Opfer bei den Finanzinstituten und keine „unkontrollierten Marktaustritte“ gegeben habe, schreibt der Bankenaufseher der Wirkung der Kapitalpuffer zu, die seit den dunklen Tagen der Finanzkrise massiv aufgestockt wurden.

Schutz vor Bankenpleiten

Entschlossen angegangen sind die Regulatoren seit jenen Zeiten auch die Vorkehrungen, die im Fall einer Bankenpleite nötig sind, um eine Gefährdung des ganzen Finanzsystems zu verhindern. Rund 13 Jahre nach Beginn der legislatorischen Vorarbeiten, die in einer gesetzlichen Regelung des Too-big-to-Fail-Problems mündeten, ist die Schweiz dem Ziel nun sehr nahe, sagte Angehrn. Zum guten Glück, ist man geneigt anzufügen. Denn in dem außerordentlichen Umfeld seien Entwicklungen, die einem von den Stabilitätswächtern definierten Stressszenario ähneln, wahrscheinlich geworden, stellte der Bankenaufseher nüchtern fest.

Die Krisenresistenz des Bankensektors und die Stabilität der Finanzmärkte erscheinen derzeit umso wichtiger, als auch dem Fiskus als potenzieller Retter in der Not immer engere Grenzen gesetzt werden. Während die Ratingagentur Moody’s die Zusatzausgaben des deutschen Haushaltes von 200 Mrd. Euro für die „Gaspreispremse“ noch für „verkraftbar“ hält, sehen die Kreditanalysten in Ländern wie Italien, Tschechien, Slowakei und zuletzt auch Großbritannien schon deutlich größere Risiken. Auch das Ausgabeverhalten der Schweiz könnte dereinst unter die Lupe der Kreditanalysten kommen.

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