Assetmanager preisen britische Aktien
Assetmanager preisen britische Aktien
Eine mögliche Neubewertung am Markt, Gewinnwachstum der Unternehmen und hohe Ausschüttungen machen Appetit
Von Andreas Hippin, London
Von Strategen der Investmentbanken werden sie schon lange angepriesen: Britische Aktien sind niedrig bewertet, die Dividendenrenditen sind hoch. Der defensive Branchenmix bietet Schutz vor Marktvolatilität. Nun kommen Assetmanager auf den Geschmack.
Der Markt könnte sich vom Image des hässlichen Entleins befreien.
Britische Aktien haben zwar im ersten Halbjahr Boden gut gemacht. Doch gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Gewinnerwartungen für das kommende Jahr ist der FTSE All-Share nur etwa halb so teuer wie der S&P 500. Sell-side-Strategen raten schon lange zum Einstieg.
Neben der niedrigen Bewertung bietet der Markt eine im internationalen Vergleich hohe Dividendenrendite. Was Aktienrückkäufe angeht, sind britische Gesellschaften weltweit führend. Die geringe Gewichtung von Techwerten bietet Schutz vor den Spillover-Effekten der Kursschwankungen der „Magnificent Seven“. Mittlerweile äußern sich auch immer mehr Assetmanager positiv über Dividendentitel aus dem Vereinigten Königreich.
„Einer unserer Lieblingsmärkte“
„Großbritannien ist einer unserer Lieblingsmärkte“, sagt Fabiana Fedeli, CIO Equities, Multi Asset & Sustainability bei M&G Investments. „Wir finden dort so viele interessante und wettbewerbsfähige Unternehmen zu sehr guten Bewertungen.“ Es sei ein Markt, in dem man eine große Differenzierung zwischen Firmen, die sich besser schlagen, und solchen, die nicht so gut laufen, sehen könne. „Für uns ist es ein unglaublich interessanter Markt.“
„Wir sehen so großes Interesse an britischen Aktien wie seit vielen Jahren nicht mehr“, sagt Martin Walker, Co-Head of UK & European Equities bei Invesco. Es komme aus Amerika, Europa und Asien, aber auch vom britischen Markt. Die Anleger wüssten vermehrt zu schätzen, dass es in Großbritannien viele Unternehmen gebe, die in hohem Maße Cash erwirtschafteten und deren Bewertungen unter denen ihrer globalen Wettbewerber lägen. In Dollar berechnet habe die Rendite des FTSE All-Share im ersten Halbjahr um 11% über der des S&P 500 gelegen.
Kleinanleger skeptisch
Britische Kleinanleger sind dagegen weiterhin skeptisch. Den jüngsten Daten der Fondslobby Investment Association (IA) zufolge zogen sie im Mai weitere 248 Mill. Pfund aus heimischen Aktienfonds ab. Das waren zwar geringere Abflüsse als in den beiden vorangegangenen Monaten. Doch ihre Daumen zeigen für britische Aktien weiter nach unten.
„Innerhalb von Großbritannien gibt es zwei verschiedene Wirklichkeiten“, sagt Fedeli. Einerseits gebe es große Firmen, die international seien, an der Börse notiert und sehr wettbewerbsfähig. Andererseits gebe es die einheimische Wirtschaft, die immer noch schwach sei. „Und man kann an den jüngsten Daten sehen, dass sie schwach bleibt“, sagt Fedeli.
Turnaround-Story lockt
Risikobereiten Anlegern gibt das die Möglichkeit, von einer Turnaround-Story zu profitieren. In den Monaten April und Mai schrumpfte die Wirtschaft zwar etwas. Doch im ersten Quartal legte Großbritannien unter den G7-Staaten das stärkste Wachstum hin. Die Bank of England senkte im Mai das vierte Mal seit dem Sommer vergangenen Jahres die Zinsen. Die Inflation bewegt sich weit unter dem im Oktober 2022 erreichten Spitzenwert. Eine mögliche Neubewertung britischer Aktien, Gewinnwachstum und Ausschüttungen locken Vermögensverwalter an.
Miranda Seath, Director Market Insight & Funds Sectors bei der IA, verwies zudem auf die Anstrengungen der Labour-Regierung, im Zuge ihrer Wachstumsstrategie britische institutionelle Investoren zu höheren Allokationen an die heimischen Kapitalmärkte und Private Assets zu bewegen. Sollte Schatzkanzlerin Rachel Reeves mit Blick auf die angespannte Haushaltslage im Herbst jedoch zu weiteren Steuererhöhungen gezwungen sein, würde sich das negativ auf Geschäftsklima und Verbrauchervertrauen auswirken. „Der Weg voran bleibt holprig, nicht nur in Großbritannien“, sagt Seath.
Unbeliebter Markt
Ohne Risiko keine Rendite. „Das Vereinigte Königreich hat sich von einem der unbeliebtesten Märkte der Welt zu einer der attraktivsten Chancen weltweit entwickelt“, sagt Tom Peberdy, Managing Director UK Client Group beim Vermögensverwalter Ninety One. „Den Investoren wird der Unterschied zwischen Stimmung und Fundamentaldaten bewusst. Diejenigen, die sich durch den Lärm nicht beirren lassen, dürften wesentlich profitieren.“ Sein Kollege Ben Needham ergänzt: „Und wir sind nicht die einzigen, die die wachsende Anziehungskraft erkennen.“ Der Portfoliomanager rechnet vor: „Im vergangenen Jahr gab es Übernahmeangebote für fünf FTSE-100-Gesellschaften und 19 FTSE-250-Unternehmen. Die meisten hatten Erfolg.“ Das Volumen der Deals habe im Schnitt bei 1,07 Mrd. Pfund gelegen, fast das Dreifache des Vorjahreswerts. Das zeuge von der Werthaltigkeit des britischen Markts.
Defensives Exposure
Zu den Unternehmen, die es dem Assetmanager besonders angetan haben, gehören der Broker AJ Bell, die Pubkette JD Wetherspoon und die Fluggesellschaft Jet2. Trotz der Belastung der Branche durch die Pandemie habe es die Airline geschafft, ihren Marktanteil auszubauen und stärker aus der Krise hervorzugehen.
„Die Stabilität einiger der großen Unternehmen des Landes – seien es Konsumgüterhersteller, Pharmafirmen oder Einzelhändler – bietet Anlegern ein defensives Exposure zu attraktiven Bewertungen“, sagt Alessandro Dicorrado, ebenfalls Portfoliomanager bei Ninety One. Normalerweise müsse man für so ein Renditeprofil eine Prämie berappen.
Brexit-Dividende
Und noch etwas spricht für britische Aktien: Anders als die Staaten der EU hat Großbritannien mit den Vereinigten Staaten bereits eine Einigung in wichtigen Handelsfragen erzielt – ein Vorteil, den der Brexit ermöglicht hat. Sollten die am Wochenende von US-Präsident Donald Trump angedrohten Zölle tatsächlich in Kraft treten, sollten sich britische Aktien aus Sicht von Jonathan Klement, Stratege bei Panmure Liberum, besser entwickeln als Dividendentitel aus anderen europäischen Ländern. Die Ungewissheit beim Thema Handel wäre für britische Unternehmen weitaus geringer.
Blieben die Zölle länger in Kraft, gebe es für europäische Unternehmen eine Möglichkeit zur Arbitrage: die Umleitung ihrer Exporte in die USA über Großbritannien. Das könnte in den kommenden drei bis fünf Jahren hohe Investitionen im Vereinigten Königreich nach sich ziehen.