LeitartikelLabour in der Krise

Reeves' Schrecken ohne Ende

Rachel Reeves weinte im Unterhaus nicht ohne Grund: Labour ist erst seit einem Jahr an der Regierung. Bis zur nächsten Wahl drohen irreparable Schäden.

Reeves' Schrecken ohne Ende

Labour in der Krise

Schrecken ohne Ende

von Andreas Hippin

Labour ist erst seit einem Jahr an der Regierung. Bis zur nächsten Wahl drohen dem Land irreversible Schäden.

Wer nach den Tränen der britischen Schatzkanzlerin Rachel Reeves im Unterhaus auf ein Ende mit Schrecken gehofft hatte, wurde enttäuscht. Sie trat nicht zurück, obwohl sich keine Mehrheit für die von ihr geplanten sozialen Kürzungen fand. Auch dass sich Premierminister Keir Starmer zunächst nicht voll und ganz hinter sie stellen wollte, perlte an ihr ab. Am Tag darauf trat sie ihm mit einem strahlenden Lächeln entgegen.

Selten stellte ein Politiker einen neuen Plan für das marode öffentliche Gesundheitssystem NHS mit so viel demonstrativ guter Laune vor wie der britische Olaf Scholz an diesem Tag. Starmer hatte Reeves als Überraschungsgast einbestellt, um so etwas Normalität zu simulieren. Doch ist die Lage alles andere als normal. Die fiskalischen Regeln, an denen sich Reeves messen lassen wollte, wird sie nicht einhalten können. Denn die Parteilinke wird jeden Versuch vereiteln, den während der Pandemie immer weiter aufgeblähten Wohlfahrtsapparat zu stutzen.

Bedauernswerte Staatsfinanzen

Labour ist erst seit einem Jahr an der Regierung. Gewählt wird erst wieder in vier Jahren Bis dahin müssen sich die Briten sich auf Schrecken ohne Ende einstellen. Es drohen irreversible Schäden. Eigentlich wollte die Partei nach dem von den konservativen Vorgängern veranstalteten Chaos politisch und fiskalisch für Stabilität sorgen. Dann kam „Freebiegate“, der Skandal um die von führenden Labour-Politikern angenommenen Geschenke großer Parteispender. Sinnvolle Kürzungen wie die Streichung des Heizkostenzuschusses für wohlhabende Pensionäre wurden zurück genommen. Für den National Health Service (NHS), ein Fass ohne Boden, drehte Reeves dagegen den Geldhahn auf, ohne Bedingungen an Qualität und Umfang der zu erbringenden Leistungen zu stellen.

Die Staatsfinanzen sind in einem bedauernswerten Zustand. Im Gegensatz zu anderen großen Volkswirtschaften drückte Großbritannien nach Pandemie und kriegsbedingtem Energiepreisschock nicht auf die Schuldenbremse. Kein Wunder, dass die unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility (OBR) Alarm schlagen. Das Land stehe „beunruhigenden“ Risiken gegenüber und befinde sich in einer „vergleichsweise verwundbaren Position“, warnten sie diese Woche.

Schwächeres Wachstum, höhere Ausgaben

Weniger Wachstum und höhere Ausgaben dürften dazu führen, dass sich ein schwarzes Loch im Haushalt auftut. Die Hoffnung, dass sinkende Zinsen die Kosten für den Schuldendienst mindern würden, erfüllte sich nicht. Die Geldpolitiker der Bank of England fürchten immer noch eine Rückkehr der Inflation. Großbritannien bleibt auf absehbare Zeit ein „High-Yielder“ unter den europäischen Staaten. Wenn Reeves im Herbst ihren nächsten Haushalt vorstellt, dürfte sie um weitere Steuererhöhungen nicht herumkommen.

Der ehemalige Parteichef Neil Kinnock brachte nun eine Vermögenssteuer ins Gespräch. Bei der Parteilinken findet die Idee großen Anklang. Gut ein Dutzend Labour-Unterhausabgeordnete haben bereits einen Brief dazu an Reeves unterschrieben, unter dem auch die Namen von Politikern kleinerer Parteien stehen. Vermögen ab 10 Mill. Pfund sollen nach ihrem Willen mit einer Steuer von 2% pro Jahr belegt werden. Der ehemalige Regierungschef von Wales, Mark Drakeford, schloss sich an.

„Moralischer Imperativ“

Er sprach von einem „moralischen Imperativ“, Kindergeld nicht nur für die ersten zwei Kinder einer Familie zu zahlen. Noch ist nicht klar, ob die Regierung dem Druck der Linken zuerst in dieser Frage nachgeben wird oder im Streit um Leistungen für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Dass sie nachgeben wird, daran gibt es kaum Zweifel.

Die Schwäche der Labour-Führung weckt neue Begehrlichkeiten: Die British Medical Association kündigte einen fünftägigen Streik der NHS-Assistenzärzte ab dem 25. Juli an. Sie fordern 29% mehr Geld. Das Land ist auf dem Weg zurück in die 1970er-Jahre, in denen erbittert geführte Arbeitskämpfe den Alltag der Menschen beeinträchtigten.

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