Verschuldungsgefahren

China-Aktien auf wackligerem Boden

Die hochgesteckten Erwartungen für den Aktienjahrgang 2021 in China werden immer weiter zurückgeschraubt. Das im Februar erreichte Allzeithoch beim CSI 300 ist in weite Ferne gerückt. Die Aussichten für einen neuerlichen Aufschwung sind nicht sonderlich gut.

China-Aktien auf wackligerem Boden

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Die Aktienanleger in China haben es wochenlang recht behaglich gehabt. Man konnte sich darauf verlassen, dass der mächtige Staatsapparat im Vorfeld des am 1. Juli bombastisch ge­feierten 100. Geburtstags der Kommunistischen Partei nichts an­brennen lassen würde, um auch an den Märkten für eine feierliche Stimmung zu sorgen. Nun allerdings, da die Party zu Ende ist, fehlt den Märkten in Schanghai und Shenzhen ein implizites Sicherheitsventil. Am Tage nach der Feier erlitt der Leitindex CSI 300 den kräftigsten Tagesverlust seitens einer Baissephase im März und korrigierte um 2,7% nach unten.

Es dürfte sich zwar nur um ein kurzes reinigendes Gewitter gehandelt haben, am Montag tendierte der CSI nämlich brav seitwärts, dennoch werden die Anleger dafür sensibilisiert, dass die hochgesteckten Erwartungen für ein glänzendes Aktienjahr 2021 revidiert werden müssen. Gegenwärtig hält sich der CSI 300 bei zuletzt 5086 Punkten eher mühsam über der psychologisch wichtigen Marke von 5000 Zählern, die nach einer schweren Delle im März mehrfach nach unten durchbrochen worden war.

Gedrückte Stimmung

Von der Euphorie zu Jahresanfang ist nur noch wenig zu spüren. Zur Februarmitte war der CSI 300 auf ein Allzeithoch bei 5931 Punkten hochgejagt und schien auf bestem Wege, 6000 Zähler zu erreichen. Die dann anschließende heftige Korrektur zu Frühjahrsbeginn hat den Index jedoch um 15% einbrechen lassen, und aus einer kleinen Rally in den ersten Mai-Wochen ist letztlich nicht viel geworden.

Gegenwärtig gibt es wenige Aussichten, aus dem Seitwärtstrend auszubrechen, zumal wieder anziehende US-Renditen in Verbindung mit einem wieder schwächeren Yuan und einem moderateren Anstieg der Unternehmensgewinne auf dem Sentiment lasten. Auch bei positiv gestimmten Analysten gelten 5500 Punkte beim CSI zu Jahresende als das höchste der Gefühle. Nicht nur gibt es erste Anzeichen dafür, dass die Konjunktur nach strammer Erholung von der Coronakrise etwas an Dynamik einbüßen wird, auch scheint die Zentralbank mit Blick auf Finanzstabilitätsrisiken einem weiteren monetären Lockerungskurs eine Absage zu erteilen. In Verbindung mit einer zu erwartenden Abschwächung des Yuan zum Dollar dürften auch ausländische Investoren beim Griff nach zyklischen chinesischen Aktienwerten zurückhaltender agieren.

Gute Abstützung

Freilich bieten Chinas Konjunkturperspektiven eine gute fundamentale Abstützung. Das Land steht in Sachen Bekämpfung der Corona-Pandemie im weltweiten Vergleich glänzend da und hat einen vom Industriesektor und der Exportwirtschaft geleiteten Erholungskurs hingelegt, der für 2021 ein Wachstum von gut 8% in Aussicht stellt. Allerdings läuft die Konjunktur noch immer etwas ungleichgewichtig, weil der private Konsum noch immer nicht richtig in die Gänge gekommen ist. Auch im Dienstleistungsgewerbe gestaltet sich der Erholungsprozess schwieriger als erwartet.

Der rapide Aufschwung im Industriesektor hat sich in Verbindung mit der globalen Rohstoffpreishausse zu einer gewaltigen Erzeugerpreishausse verdichtet, die Kopfzerbrechen bereitet. Chinas Regulatoren warten mit einer regelrechten Kampagne auf, um der Rohstoffhausse Herr zu werden und Spekulationsaktivitäten an heimischen Terminmärkten einzudämmen. Sie befürchten, dass stark ansteigende Materialkosten im verarbeitenden Gewerbe den postpandemischen Erholungsprozess beeinträchtigen. Spätestens nachdem Chinas Produzentenpreisindex im Mai eine Steigerung von fast 10% hingelegt hatte, läuten hier die Alarmglocken.

Die Rohstoffhausse hat stark auf die Sektorperformance im Leitindex CSI 300 abgefärbt. Naturgemäß haben die Sektoren Energie und Materialien am stärksten profitiert und kommen auf eine ansehnliche Jahresperformance von 13 bis 14%. Auch Pharma- und Medizintechnikwerte stehen passend zur Coronasituation weiter hoch im Kurs. Konsumwerte sind dagegen in schwereres Fahrwasser geraten, nicht nur wegen der noch flauen Dynamik im Einzelhandel, sondern auch wegen Kostenerhöhungen im Zuge der Erzeugerpreisinflation. Auch Finanzwerten ist zuletzt wieder die Luft ausgegangen, weil sich ein moderateres Kreditvergabetempo abzeichnet, während hohe Risikovorsorgeanstrengungen zur Abfederung von notleidenden Krediten das Ertragswachstum bremsen.

Zwar muss die Zentralbank derzeit nicht befürchten, dass der Erzeugerpreisschub auf den Verbraucherpreisindex abfärbt, anders als westliche Länder ist China gegenwärtig keinem latenten Inflationsproblem ausgesetzt, das die Zentralbank an einer expansiven Geldpolitik hindern würde. Allerdings hegt man ernste Befürchtungen, dass der zur Überwindung der Coronaproblematik angeregte Kreditvergabeschwapp Verschuldungsgefahren erneut an­heizt. Entsprechend sieht man die People’s Bank of China (PBOC) in Sachen Liquiditätszufuhr an den Geldmärkten eher geizen. Chinesische Marktteilnehmer betonen, dass der Währungshüter insgesamt mehr Konjunkturvertrauen äußert und dementsprechend auch weniger Bedarf für eine explizit akkommodierende Geldpolitik sehen dürfte. So rechnen die Analysten damit, dass die PBOC im weiteren Jahresverlauf eine weitgehend neutrale Geldpolitik fahren wird. Die auf monetäre Impulse stark fixierten chinesischen Anleger können damit kaum erwarten, dass ihnen die heimische Geldpolitik in die Hände spielt.