Yuan

China steht vor einem schwierigen Balanceakt

China steht vor der Aufgabe, Kreditrisiken im Immobiliensektor zu reduzieren, ohne das Wachstum zu gefährden. Nun könnten Stimuli aus Peking verhindern, dass der Yuan unter Druck gerät.

China steht vor einem schwierigen Balanceakt

Von Stefan Grünwald*)

China ist das Land, das wirtschaftlich am schnellsten und stärksten aus der Covid-19-Pandemie herausgefunden hat. Während man in den USA und Europa Anfang 2021 noch auf (mehr) Impfstoff wartete und sich das öffentliche Leben im Lockdown auf ein Minimum beschränkte, wurde in China bereits in der zweiten Jahreshälfte 2020 auf Hochtouren produziert. Verglichen mit anderen globalen Ökonomien herrschte in China Normalzustand. Das hat die Zinserwartungen beflügelt und der chinesischen Währung, dem Yuan, zu einer starken Aufwertung gegenüber dem Dollar verholfen – unterstützt durch starke Kapitalzuflüsse aufgrund der Aufnahme chinesischer Lokalanleihen in globale Indizes.

Doch bereits 2021 fand dieser Aufwärtstrend wieder ein Ende. Zum einen, weil die Zentralbank klar zu erkennen gab, dass ihr ein Wert unter 6,50 bzw. 6,40 gegen den Dollar im globalen Kontext zu stark ist. Und zum anderen, weil sich seither auch die ökonomischen Rahmenbedingungen für China geändert haben. Die westlichen Ökonomien haben mit zunehmender Verfügbarkeit von Impfstoffen wieder Fahrt aufgenommen, und insbesondere die USA sind – zwar nicht in absoluten Zahlen, aber in Hinblick auf die Dynamik – 2021 stärker gewachsen als China. Das hat dazu geführt, dass sich das Zinsdifferential zum Dollar wieder angepasst hat.

Erwartung enttäuscht

Diese Entwicklung wurde aber auch dadurch begünstigt, dass China damit begonnen hat, verschiedene strukturelle – vor allem regulatorische – Themen anzugehen, was ein Abbremsen der Konjunktur in spürbarem Ausmaß zur Folge hatte. Ganz offensichtlich hatten die Akteure erwartet, dass die Privatwirtschaft, insbesondere die Privatinvestitionen und der Konsum, den Wachstumszyklus weiter vorantreiben würde. Doch diese Erwartung hat sich für China diesmal nicht erfüllt. Während die Zinsen für US-Staatsanleihen – mit wenigen punktuellen Verwerfungen – stiegen, hat sich die Verzinsung chinesischer Staatsanleihen im Laufe von 2021, speziell am langen Ende, zusehends verschlechtert, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Attraktivität der Währung und die Kapitalflüsse ins Land. So hat der Yuan übers Jahr gesehen gegen den Dollar nicht mehr aufgewertet.

China musste zur Kenntnis nehmen, dass sich das Konsumverhalten der Chinesinnen und Chinesen mit der Pandemie verändert hatte: Im Dienstleistungsbereich wurde deutlich weniger konsumiert, wobei vor allem auf Restaurantbesuche und Urlaube verzichtet wurde. In der ersten Jahreshälfte generierte die chinesische Wirtschaft ihr Wachstum vor allem noch aus der Produktion von Konsumgütern, doch im Sommer 2021 fand der Produktionszyklus sein Ende: Chinesische Produkte wurden global weniger nachgefragt, weil inzwischen die Lockdowns anderer Märkte beendet wurden und nun wieder vermehrt lokale Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden. Der Lageraufbau von Fertigprodukten in der chinesischen Industrie dämpfte das Produktionswachstum zuletzt zusätzlich.

Der dritte Dämpfer für Chinas Wirtschaftsentwicklung 2021 sind die regulatorischen Beschränkungen im Immobiliensektor, mit denen die Regierung den Preissteigerungen und den Verschuldungsexzessen einiger Immobilienentwickler (Stichwort China Ever­grande) entgegenwirken will. Der Immobilienmarkt steuert in China 25% zum Wirtschaftswachstum bei. Die Regulierer müssen daher einen Balanceakt schaffen, der einerseits nicht zu viel Wachstum kostet, der aber trotzdem das Ungleichgewicht in der Branche reduziert.

Aufteilung im Gang

Um diese Exzesse zu verhindern und Kreditrisiken zu reduzieren, dürfen Banken maximal nur noch 42,5% ihrer Kredite (pro Bankbilanz) an die Immobilienentwickler vergeben. Diese wiederum müssen seit 2020 drei Verschuldungskennzahlen vorlegen bzw. einhalten. 80% der Immobilienentwickler schaffen das, 20% – unter ihnen Evergrande – nicht. Der Balanceakt besteht nun darin, die maroden Entwickler aus dem System herauszubringen und ihre Projekte von den gesunden, gut aufgestellten weiterführen zu lassen, damit es zu keinem Flächenbrand kommt. Im Fall von Evergrande deuten Finanzierungsströme der Zentralbank darauf hin, dass die Aufteilung der Projekte bereits im Gange ist. Sie hat kurzfristig wieder Marktfinanzierungen zur Verfügung gestellt.

Der Immobilienmarkt ist in China auch deshalb von sehr großer Bedeutung, weil chinesische Haushalte aufgrund mangelnder anderer Modelle sehr stark über Immobilien vorsorgen. Wohnungen müssen daher einerseits leistbar bleiben, andererseits ist es auch wichtig, dass es zu keinem Preisverfall und einem zu starken Verkaufsdruck auch zur Bilanzbereinigung der Immobilienentwickler kommt.

Diese Maßnahmen der Regierung haben den gesamten Immobiliensektor unter Druck gebracht und die Konjunkturprognosen nach unten gedrückt. Von der Erwartung, dass Chinas Wirtschaft im laufenden Jahr um 10% wachsen könnte, hat man sich schon verabschiedet. Aktuell gehen Analysten von rund 8,2% Wachstum aus.

Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, stimuliert China die Wirtschaft mit kreditfinanzierten Infrastrukturprojekten. Lokalregierungen haben bereits damit begonnen, im Rahmen erlaubter Quoten Schulden aufnehmen. Die positiven Effekte aus diesen Maßnahmen zur Stimulation werden erstmals wohl im vierten Quartal 2021 und darüber hinaus im ersten Quartal 2022 sichtbar werden. Der Kreditzyklus, der seit Anfang des Jahres 2021 negativ ist, sollte sich nun bald drehen.

Aufgrund dieser zu erwartenden Dynamik gehen wir davon aus, dass die Währung trotz der gesunkenen Zinsen und des zusammenlaufenden Zinsdifferentials zum Dollar nicht unter Druck geraten wird. Auch wenn Evergrande ganz sicher nicht mit Lehman zu vergleichen ist, da sich die Auswirkungen viel klarer abgrenzen lassen, zeigt es doch die strukturellen Schwächen Chinas. Das Land wird sich damit abfinden müssen, künftig weniger stark zu wachsen – in zwei, drei Jahren vielleicht nur mehr 4%. Denn die unregulierten Wachstumstreiber der vergangenen Dekaden (Energiesektor, Immobiliensektor, Technologiesektor etc.) verlieren mit der Regulierung einen Teil ihrer Schlagkraft. Wir sind allerdings überzeugt, dass China der notwendige Balanceakt zur wirtschaftlichen Stabilisierung ge­lingen wird.

*) Stefan Grünwald ist Fondsmanager im Team „CEE & Global Emerging Markets“ bei Raiffeisen Capital Management.