Burkhard Balz

„Der digitale Euro ist ein Jahr­hundert­projekt“

Das Eurosystem prüft derzeit die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung. Bundesbankvorstand Burkhard Balz ist der Meinung, dass es für ein solches Projekt nur einen Versuch geben wird.

„Der digitale Euro ist ein Jahr­hundert­projekt“

Mark Schrörs und Detlef Fechtner.

Herr Balz, derzeit prüft das Eurosystem, ob es einen digitalen Euro einführen wird – mit ergebnisoffenem Ausgang. Ist es denn tatsächlich noch vorstellbar, dass am Ende dieser Überprüfung kein digitaler Euro stehen wird?

Ganz klare Antwort: Die Entscheidung über die Einführung eines digitalen Euro wurde im Eurosystem noch nicht getroffen. Wir haben erst vor sieben Wochen die Untersuchungsphase gestartet. Es gibt viele Themen, die wir uns anschauen müssen, bevor entschieden werden kann, ob wir einen digitalen Euro einführen.

Das sagen Sie, weil Sie es so sagen müssen?

Nein, das ist nicht bloß so dahingesagt. Es ist im Eurosystem wichtig, dass wir wirklich ergebnisoffen in eine solche Überprüfung starten.

Aber es gibt doch von außen hohe Erwartungen, dass der digitale Euro kommen wird?

Dass es eine hohe Erwartungshaltung gibt und dass wir politischen Druck spüren, ist allen Beteiligten klar. Und dass es viele neue Bezahlvarianten privater Anbieter gibt – und ich spreche ausdrücklich nicht von Währungen –, ist ebenfalls klar. Aber es gibt viele verschiedene Themen, die noch zu untersuchen sind – und da müssen wir jetzt unsere Hausaufgaben machen.

Was könnten Gründe sein, einen digitalen Euro nicht einzuführen?

Im Grunde genommen sind das zwei Themen. Zum einen: Ein digitaler Euro muss einen Mehrwert bringen. Nicht für uns Zentralbanken, sondern für die Bürgerinnen und Bürger im Euroraum und für die Unternehmen. Zum anderen müssen wir die möglichen Risiken eines digitalen Euro unter Kontrolle halten können. Das müssen wir in diesen zwei Jahren der Untersuchungsphase eingehend prüfen. Deshalb sind wir jetzt vorsichtig.

Nicht alle Notenbanker äußern sich so vorsichtig.

Ich stehe hinter dem Projekt. Ich finde es außerordentlich spannend. Für mich ist der digitale Euro ein Jahrhundertprojekt. Weil wir versuchen, mit unserem Zentralbankgeld, das heute für Privatpersonen und Unternehmen nur in der Form von Bargeld zugänglich ist, in eine digitale Welt zu gehen. Das ist ein komplexes Unterfangen, das nicht ohne Risiken ist.

Sie weisen auf Risiken hin. Spielen Sie auf die Gefahr an, dass ein digitaler Euro Banken verdrängen und intakte Strukturen im Markt destabilisieren könnte?

Wir sehen zwei große Risiken, eines davon haben Sie genannt. Wir wollen ausdrücklich an der zweistufigen Arbeitsteilung zwischen Zentralbanken und Geschäftsbanken festhalten.

Warum?

Geschäftsbanken sind diejenigen, die näher am Kunden sind. Und am Ende haben wir als Zentralbank kein Interesse daran, in eine direkte Beziehung zum Kunden – Bürgerinnen, Bürger, Unternehmen – zu treten. Für uns ist klar, wir wollen an diesem bewährten System nichts ändern: die Banken am Front-End beim Kunden und wir am Back-End als Systembetreiber und -eigner des digitalen Euro.

Was ist das zweite große Risiko?

Wir sind natürlich auch besorgt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Bankeinlagen übermäßig in digitale Euro umschichten könnten. Oder dass es in besonderen Stresssituationen sogar zu Bank-Runs kommen könnte.

Wieso?

Schauen wir auf eine aktuelle Stresssituation: In den ersten Wochen der Pandemie haben wir einen signifikanten Anstieg der Nachfrage nach Bargeld gesehen. Es herrschte Unsicherheit, niemand wusste, wie es weitergeht. Viele Menschen haben sich erst einmal mit Bargeld versorgt – Zentralbankgeld. Als dann klar wurde, dass die Versorgung sicher ist, die Supermärkte geöffnet bleiben und Kartenzahlungen weiterhin funktionieren, ist diese Entwicklung abgeflacht und die Nachfrage normalisierte sich rasch.

Was leiten Sie da­von für die Frage des digitalen Euro ab?

Wir möchten zum einen nicht, dass in normalen Situationen Sichteinlagen in zu großem Umfang von Geschäftsbankkonten abfließen und in digitale Euro umgeschichtet werden. Dies könnte die Refinanzierungsmöglichkeiten der Geschäftsbanken zu stark beeinträchtigen und negative Auswirkungen auf ihr Kreditangebot haben. Und zum anderen müssen wir uns für Extremsituationen hoher Unsicherheit rüsten: Wie können wir dann Bank-Runs vermeiden?

Könnte man das Risiko von Bank-Runs nicht durch Limits lösen?

Ja, das ist eine Option. Im Grunde haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder setzen Sie einen Schwellenwert, das heißt jeder darf einen bestimmten Betrag in digitalen Euro halten. EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta hat 3000 Euro als Summe ins Spiel gebracht. Es gibt auch andere Vorschläge mit niedrigeren Schwellenwerten. Der Ausgang dieser Debatte ist noch offen.

Was ist die zweite Option?

Eine andere Möglichkeit wäre die Einführung einer Gebühr bei Überschreitung einer noch zu definierenden Einlagenhöhe.

Sie präferieren aber Option eins, also einen Schwellenwert?

Ich bin da ergebnisoffen. Ich möchte die Untersuchung abwarten.

Lassen Sie uns über den Mehrwert reden. Bislang erkennen viele Bürger nicht, welchen Vorteil ihnen ein digitaler Euro bieten würde.

Das überrascht nicht, weil die konkrete Ausgestaltung eines digitalen Euro noch offen ist. Bisher haben wir auch noch keine wirklichen Kommunikationsaktivitäten gestartet. Zu­dem kennen manche Bürgerinnen und Bürger den Unterschied zwischen Bargeld und Giralgeld der Geschäftsbanken nicht. Am Ende bleibt dann die Frage, warum und wofür wir digitales Zentralbankgeld brauchen.

Und was ist Ihre Antwort: Wo liegt der Mehrwert von digitalem Zen­tralbankgeld?

Es wird immer mehr im Internet bezahlt. Und man kann im Internet nicht mit Bargeld bezahlen. Daher sollten wir als Zentralbank für die Menschen ein entsprechendes Produkt, also digitales Zentralbankgeld, anbieten. Zumal mittlerweile private Anbieter, gerade auch die nicht in Europa beheimateten Zahlungsanbieter, sehr stark geworden sind – beispielsweise Paypal.

Sollte der digitale Euro programmierbar sein?

Ein klares Ja! Digitales Geld sollte Elemente der Programmierbarkeit enthalten. Das fordern auch die Wirtschaft und die Bankenverbände. Denn die Integration in Smart Contracts sollte möglich sein. Ob das gleich zu Anfang umgesetzt werden kann, ist eine andere Frage.

Was kann man sich da vorstellen?

Beispielsweise weisen Vertreter der Industrie darauf hin, dass der Rechnungs- und Zahlprozess unmittelbar ausgelöst werden kann, wenn Waren geliefert werden und der Käufer die Lieferung annimmt. Aber auch hier müssen potenzielle Risiken beachtet werden.

Welche?

Weniger Kontrolle. Einmal ausgelöste Zahlungsvorgänge über Smart Contracts kann man technisch nicht wieder zurückholen. Als Zentralbank kümmern wir uns nur um die Abwicklung der Zahlungsseite eines Vorgangs. Die andere Seite des Ge­schäfts müssen die Vertragsparteien unter sich regeln. In einem digitalen Ökosystem mit Smart Contracts verschwimmen diese Grenzen.

Wenn sich das Eurosystem entscheidet, den digitalen Euro einzuführen, hat das Eurosystem dann nur einen Schuss – oder gibt es Möglichkeiten, nachzusteuern?

Das ist eine ganz entscheidende Frage. Ich bin der Meinung: Wir haben beim digitalen Euro grundsätzlich nur einen Versuch. Das heißt aber nicht, dass die erste Version eines digitalen Euro unverändert bleiben wird. Der Funktionsumfang könnte durchaus später noch erweitert werden.

Bestehen absehbar große technologische Sicherheitsrisiken?

Ich höre zwar, dass die Schaffung eines digitalen Euro zumindest technologisch kein Hexenwerk ist. Aber am Ende muss der digitale Euro in jedem Fall sicher und zuverlässig sein, damit das Vertrauen in unsere Währung gewahrt werden kann. Deshalb spielt Cybersicherheit eine sehr große Rolle. Ich halte es darüber hinaus für wichtig, dass der digitale Euro langfristig sowohl im Online-Modus als auch im Offline-Modus funktioniert. Denn es gibt auch heute noch viele Menschen, die nicht besonders digitalaffin sind.

Ihr Engagement für eine digitale Währung bedeutet aber kein Plädoyer für eine Abschaffung des Bargelds?

Nein. Wir wollen das Bargeld nicht abschaffen. Der digitale Euro ist kein Ersatz für das Bargeld. Bargeld wird so lange angeboten, wie die Bürgerinnen und Bürger es im Euroraum haben wollen.

Gibt es da unter Notenbankern auch andere Auffassungen?

Ich habe in der ganzen Diskussion über den digitalen Euro im Eurosystem noch keine Kollegin oder Kollegen erlebt, von denen etwas anderes behauptet wurde. Bargeld ist geprägte Freiheit, und es soll natürlich weiter existieren und genutzt werden können. Aber in einer immer digitaleren Welt wollen wir auch von Zen­­tralbankseite aus ein digitales Produkt anbieten können.

Andere Währungsräume sind bereits weiter fortgeschritten mit digitalen Währungen. Ist Europa zu spät?

Natürlich gibt es andere, die weiter sind. China hat Testregionen festgelegt. Auf den Bahamas ist digitales Zentralbankgeld schon Wirklichkeit. Nigeria hat eine eigene Digitalwährung vorgestellt. Russland plant für nächstes Jahr die Testphase eines digitalen Rubel. Trotzdem fühlen wir uns im Eurosystem nicht unwohl.

Warum?

Weil für uns wichtig ist, dass wir selbst bestimmen, wohin wir wollen, und dass wir uns auch die Zeit nehmen, die Risiken abzuklären. Für uns gilt Sorgfalt vor Schnelligkeit.

Gibt es einen First Mover Advantage?

Es gibt Vertreter der Privatwirtschaft, die das so sehen. Wir hingegen sind überzeugt, dass wir digitales Zentralbankgeld entwickeln müssen, das genau für den Euroraum passt. Andere – auch mit anderen Motivationen und Ausgangslagen – müssen für sich entscheiden.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung bei Stablecoins?

Da bewegt sich in der Tat sehr viel. Das Projekt Libra von Facebook war seinerzeit schon ein Weckruf für die Welt der Zentralbanken. Das hat Entwicklungen in den Zentralbanken beschleunigt.

Und wie ist Ihr Blick auf Kryptowährungen? El Salvador hat jetzt den Bitcoin als Zahlungsmittel zugelassen. Hat das Vorbildcharakter – zumindest für Schwellenländer?

In weniger stabilen Währungsräumen, dazu würde ich alles in allem auch Mittelamerika zählen, hat es schon immer Ausweichreaktionen auf andere Zahlungsmittel und andere Währungen gegeben. Neu ist, dass ein vollständig dollarisiertes Land wie El Salvador von staatlicher Seite einen viel volatileren Vermögenswert als Zahlungsmittel anerkennt. Ein Land mit einer ausgesprochen volatilen Währung mag dies als Alternative erwägen.

Zum Beispiel den Bitcoin als Zahlungsmittel zulassen?

Ich sehe den Bitcoin nicht als einen wirklichen Ausweg aus einer solchen schwierigen Situation. Wegen ihrer zumeist hohen Volatilität sind Kryptotoken keine stabilen Zahlungsmittel.

Wie bewertet die Bundesbank die ungemein starken Zuflüsse in Kryptowährungen? Bildet sich da gerade eine Blase?

Die Bundesbank ist sehr zurückhaltend, über Marktentwicklungen oder gar Blasen zu sprechen. Es ist aber sicherlich so, dass sich im Bereich der privaten Kryptotoken in den vergangenen Jahren viel getan hat. Es gibt mehr als 13000 private Kryptotoken weltweit. Wir beobachten diese Entwicklungen von Seiten der Zentralbank sehr genau.

Was halten Sie vom regulatorischen Rahmen?

Ich finde in diesem Zusammenhang sehr wichtig, dass die EU-Gesetzgeber kurz vor der Finalisierung der Markets-in-Crypto-Assets-Regulierung, also der MiCA-Regulierung, stehen. Diese Regulierung ist aus Sicht der Bundesbank außerordentlich bedeutsam. Wir müssen in Europa ein Level Playing Field zwischen traditionellen Angeboten und Kryptotoken beziehungsweise Stable­coins schaffen.

Kann es gelingen, über die digitalen Währungen zu einer Weltwährung zu gelangen?

Den Begriff Weltwährung würde ich nicht benutzen. Aber die Interoperabilität zwischen zukünftigem digitalen Zentralbankgeld verschiedener Währungsräume wäre natürlich erstrebenswert. Schon heute beschäftigen sich Arbeitsgruppen mit diesem Thema, etwa bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.

Lassen Sie uns noch über die Zahlungsverkehrsinitiative – die European Payment Initiative – sprechen. Da gab es jüngst Bewegung?

Die jüngste politische Willenserklärung von sieben Regierungen, die Initiative zu unterstützen, war bedeutsam. Es reicht nicht, wenn nur französische und deutsche Banken und Bankenverbände mitmachen. Sondern es gehören auch Institute aus den Benelux-Ländern, Spanien, Italien und Österreich dazu.

Wie geht es da jetzt weiter?

Bis Ende November müssen sich die Stakeholder entscheiden, ob sie sich kapitalmäßig an der Initiative beteiligen. Das gilt auch für die deutschen Stakeholder. Ich hoffe natürlich sehr auf ein positives Votum.

Und jenseits der Bundesgrenzen?

Die französischen Großbanken sind mit von der Partie, und ich hoffe, die großen spanischen Adressen auch. In Italien ist das Thema noch nicht geklärt, weil zuletzt große Investitionen in die dortigen Systeme getätigt wurden. Gerade deshalb fand ich das Statement der sieben Finanzminister so hilfreich.

Was ist nun dringlich?

Der Fokus muss sein, das EPI-System relativ schnell auf den Weg zu bringen und erste Zahlungen zu ermöglichen. Schließlich steigt auch der Druck der internationalen Kartensysteme: Mastercard hat angekündigt, das System Maestro bereits im Jahr 2023 abschalten zu wollen.

Sind Sie zuversichtlich?

Natürlich gibt es Stimmen, die skeptisch sind. Aber ich bin Optimist. Am Ende muss EPI gelingen. Denn für mich ist es die letzte Chance für den Markt, europaweit ein eigenes System zu etablieren. Auch wenn es am Anfang etwas holprig ist: Wir sprechen hier über ein großes europäisches Projekt, dessen Erfolg für den Zahlungsverkehr in Europa immens wichtig ist. Diesen strategischen Ansatz haben alle verstanden.

Das Interview führten

BZ+
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