Finanzmärkte

„Für uns bleibt Value interessant“

Tilmann Galler, Stratege von J.P. Morgan Asset Management, ist für Aktien weiter zuversichtlich. Allerdings erwartet er ein unruhigeres zweites Halbjahr.

„Für uns bleibt Value interessant“

ck Frankfurt

Die zuletzt aufgekommene Verunsicherung an den Aktienmärkten ist für Tilmann Galler kein Grund, von seiner konstruktiven Einschätzung für Dividendentitel abzukehren. In den letzten Tagen sei es etwas unruhiger geworden, sagte der Global Market Strategist von J.P. Morgan Asset Management am Mittwoch im Rahmen einer Web-Konferenz. Dennoch sei dieses Jahr bislang insgesamt außergewöhnlich ruhig. Der bislang maximale Rücksetzer um 4% sei deutlich niedriger als der langfristige Median von 12%. Investoren müssten sich darauf einstellen, dass es im zweiten Halbjahr unruhigere Phasen geben werde. Sie sollten sich jedoch nicht den Optimismus nehmen lassen. „Es geht für die Märkte und die Konjunktur weiter nach oben, aber deutlich holpriger.“ Die letzten Wochen hätten vor Augen geführt, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei. Zwar gebe es bei den Impfungen Fortschritte, aber das Virus bleibe tückisch, so Galler unter Hinweis auf die Deltavariante. Jedoch zeigten die Daten keinen Anstieg der schweren Fälle an. Aber die Pandemie bleibe ein Risiko.

Am Höhepunkt

Das konjunkturelle Umfeld für 2021 und auch für 2022 sei nach wie vor sehr positiv. Die Privathaushalte verfügten über gewaltige Überschussersparnisse. Die aufgestaute Nachfrage werde die Gesamtnachfrage nach oben treiben. Hinzu kämen die Fiskalpolitik, die auch 2022 noch expansiv sein werde, so­wie weitere Programme wie die ge­planten US-Infrastrukturprogramme. Wenn der Konsens nicht falsch liege bzw. das Virus keinen Strich durch die Rechnung mache, werde die Weltwirtschaft in diesem und im nächsten Jahr um 6,7% und 4,4% wachsen. „Die Märkte haben aber damit zu kämpfen, dass wir gerade den Höhepunkt des Wachstums überschreiten“, so Galler. In China haben man das schon gesehen, und in den USA werde das jetzt sichtbar. Auch bei den enorm hohen Einkaufsmanagerindizes sei der Zenit schon gesehen worden. Jedoch sei dies ein Normalisierungsprozess.

Es komme zu einer Momentumverschiebung. Die USA wiesen derzeit die stärkste Dynamik aus, doch der Rückenwind werde sich im Verlauf des Quartals abschwächen. In Europa stünden die ersten Tranchen des EU-Aufbaufonds an, d. h. zur Wiedereröffnung komme ein weiterer fiskalischer Impuls hinzu. Das positive Momentum verschiebe sich etwas zuungunsten der USA nach Europa. Dadurch werde Europa für Investoren interessanter.

Außergewöhnlicher Zyklus

Galler betonte die Geschwindigkeit der konjunkturellen Entwicklung, die den aktuellen Zyklus von traditionellen Zyklen deutlich unterscheide. Es gebe Volkswirtschaften, die bereits auf dem Weg vom Früh- zum Mittzyklus seien. Das sei relevant für die Allokation. Die Märkte be­gännen wieder etwas konservativer zu werden, was die Favoriten be­treffe.

Außergewöhnlich sei auch der starke Anstieg der Inflation. Trotz der hohen Zahl in den USA werde die Lage aber nicht „überkochen“. Nicht nur die Zentralbanken, auch die Märkte erwarteten, dass der Inflationsanstieg vorübergehend sei und sich die Lage im Verlauf der nächsten Quartale beruhige. Allerdings sei dies auch eine der entscheidenden Fragen. Sie sei relevant für die Zentralbanken, die Marktführerschaft, die Aktienmärkte und die Duration bei Anleihen. Galler ist der Auffassung, dass preistreibende Effekte etwa im Energiebereich nachlassen werden. Allerdings müsse die Entwicklung in den USA beobachtet werden. Potenzielle Risiken für eine nachhaltig höhere Inflation sieht der Stratege am Arbeitsmarkt bzw. in einer Lohn-Preis-Spirale sowie am mit dem Arbeitsmarkt stark korrelierten Wohnungsmarkt.

Was die Geldpolitik betrifft, wird sich Galler zufolge nicht viel verändern. Die Zinsen würden trotz hoher Inflation bis auf weiteres niedrig bleiben und die Notenbanken ein Überschießen der Inflation tolerieren. Allerdings werde die Fed im Herbst, spätestens im Dezember beginnen, die Anleihekäufe zu reduzieren. Damit werde die Nachfrage nach Treasuries sinken. Das ist neben u. a. dem starken Wachstum und der hohen Inflation einer der Gründe, warum der Assetmanager davon ausgeht, dass die zuletzt gedrückten Renditen amerikanischer Staatsanleihen wieder anziehen werden.

Am Aktienmarkt gibt Galler Substanzwerten den Vorzug. „Für uns bleibt Value interessant.“ Allerdings seien die Bewertungen hoch. Der Weg für Aktien gehe weiter hoch, aber er werde steiniger. Das Gewinnwachstum bleibe hoch, vor allem in den zyklischeren Bereichen. Zudem sei die Bewertungsdifferenz zwischen Value und Growth nach wie vor groß. Für Value sprächen die Erholung und die erwarteten höheren Bondrenditen. Value sei mit steigenden Anleiherenditen positiv korreliert. Damit werde der Euroraum auf der Investmentseite interessanter, auch aufgrund der Impffortschritte. Für Japan sei wegen der geringeren Impfquoten noch Zurückhaltung angesagt. Das Land werde möglicherweise aber ab dem vierten Quartal interessant. Small Caps hätten die beste Zeit hinter sich. Es sei eine Zeit für eine Reallokation Richtung Large Caps. Auch wenn der Mittzyklus für Risikoassets spreche, könne es zu Rückschlägen kommen, so Galler, der dazu riet, defensivere Assets nicht außer Acht zu lassen. Interessant seien asiatische Investment-Grade-Anleihe, die neben Diversifikation einen höheren Kupon böten. Auch der High-Yield-Bereich sei attraktiv. Die Spreads seien zwar gesunken, aber es sei kein Anstieg der Ausfälle zu sehen. Ihr Vorteil sei, dass die Duration etwas kürzer sei.