Peter Oppenheimer

„Wir erwarten vier Zinserhöhungen“

Peter Oppenheimer, globaler Aktienstratege von Goldman Sachs, erwartet für 2022 vier Zinserhöhungen der Fed. Das makroökonomische Umfeld ist nach seiner Einschätzung positiv für Aktien.

„Wir erwarten vier Zinserhöhungen“

Christopher Kalbhenn.

Herr Oppenheimer, wir sehen eine deutliche Veränderung der globalen Geldpolitik. Wie sehen Ihre Erwartungen aus?

Seit ihrem September-Treffen begann die Fed, aktiver über eine Reduzierung ihrer Anleihekäufe beziehungsweise eine restriktivere Linie zu sprechen. Mittlerweile ist die Richtung klarer geworden. Die Fed hat die Beschreibung der hohen Inflation als vorübergehend gestrichen und spricht nun davon, dass sie höher, anhaltender und stärker verbreitet ist als zuvor angenommen. Ferner hat sie höhere Leitzinsen und einen früheren Beginn des Tapering signalisiert. Wir erwarten vier Zinserhöhungen in diesem Jahr, und zwar in den Monaten März, Juni, September und Dezember, und glauben, dass die Notenbank ab Juli beginnen wird, auch ihre Bilanz zu reduzieren. Das ist eine signifikante Verschiebung. Noch im Sommer 2021 war der Markt davon ausgegangen, dass es 2022 keine Leitzinserhöhung geben würde. Nach unserer Einschätzung wird es bis Ende 2025 zehn Zinserhöhungen geben, so dass die Fed Funds Rate dann bei 2,75% liegen wird. Das ist zwar immer noch niedrig, aber spürbar höher als vom Markt derzeit erwartet.

Was erwarten Sie von der Europäischen Zentralbank?

Die EZB wird 2022 und auch 2023 voraussichtlich keine Zinserhöhung beschließen. Eine Erhöhung vor 2024 ist unwahrscheinlich. Wir erwarten, dass die Inflation in Europa wieder zurückgehen wird, so dass Zinserhöhungen auch weniger dringlich sind. Allgemein sehen wir seitens der globalen Zentralbanken eine Abkehr von den außergewöhnlichen Stützungsmaßnahmen und den sehr niedrigen Zinsen.

Wie werden sich die Anleiheverzinsungen entwickeln?

Die langen Zinsen sind in Antizipation höherer Leitzinsen etwas gestiegen. Wir denken, dass sie nicht deutlich weiter steigen werden. Die zehnjährige Bundrendite erwarten wir Ende 2022 bei 0,30%, die entsprechende Treasury-Rendite bei 2%.

Was bedeutet das veränderte geldpolitische Umfeld für die Aktienmärkte?

Die Aktienmärkte haben bislang moderat reagiert. Tatsächlich sind sie gestiegen, seit die Zentralbanken im September begonnen haben, auf die hohe Inflation zu reagieren. Wir bewegen uns weg von einem Umfeld, in dem Deflation als Risiko galt. Jetzt gilt Inflation als Risiko. Das derzeitige makroökonomische Umfeld stützt die Aktienmärkte, weil es von einem besseren ökonomischen Wachstum gekennzeichnet ist. Zudem können die Unternehmen die höheren Kosten weiterreichen und ihre Profitabilität steigern. Allerdings gibt es stärker werdende Unterschiede. Stark wachsende Unternehmen speziell der Technologiebranche sind unter Druck geraten beziehungsweise haben abgewertet. Profiteure höherer Inflation und Zinsen wie Bank- und Energieaktien haben dagegen outperformt. Das ist ein ganz anderes Muster als dasjenige, das wir nach der Finanzkrise gesehen haben.

Werden Value-Aktien Growth-Werte schlagen?

Es wird keine klare Trennung zwischen Value und Growth geben, sondern ein eher gemischtes Performance-Muster. So war es auch 2021. Technologie zählte zu den besten Sektoren, aber auch Banken und Energie. Zuletzt gab es aber Unterschiede etwa innerhalb des Technologiesektors. Stark wachsende unprofitable Unternehmen haben sich deutlich unterdurchschnittlich entwickelt, profitable Unternehmen dagegen überdurchschnittlich. Wir sehen Unterschiede zwischen und auch innerhalb von Sektoren.

Gehen von dem hohen Gewicht der großen US-Werte mit Marktkapitalisierungen von mehr als 1 Bill. Dollar Risiken aus?

In den USA hat der Erfolg einer kleinen Anzahl immer größer werdender Unternehmen dazu geführt, dass der S&P500 konzentrierter geworden ist. Die fünf größten Unternehmen des Index waren eine große Stütze des US-Marktes. Es ist offensichtlich, dass es sich auf den Index auswirken würde, wenn sie sich abschwächen sollten. Daher denken wir, dass Investoren stärker diversifizieren sollten, auch geografisch. Es gibt bessere Gelegenheiten jenseits der sehr großen Werte, nicht nur in den USA. Damit haben wir auch ein besseres Umfeld für aktives Management im Gegensatz zum passiven Investment. Passive Ansätze folgen den Indizes, auch wenn diese wegen der großen Werte schwächeln, aktive Manager können outperformen, wenn sie entscheiden, weniger in den ganz großen Aktien zu halten.

Wie beurteilen Sie das ökonomische Umfeld?

Die Weltwirtschaft ist immer noch recht stark. Sie erholt sich weiterhin von der Rezession des Jahres 2020. Nach der Schrumpfung um 3% weltweit und um 6,5% im Euroraum gab es 2021 global ein Wachstum von 6% und in Europa von 5%. 2022 erwarten wir mit dem Rückenwind der Impfungen und politischer Unterstützung ein globales Wachstum von etwas mehr als 4%. Die Erholung von der Pandemie setzt sich fort, es gibt eine erhebliche aufgestaute Nachfrage der Verbraucher. Europa sollte in diesem Jahr stärker wachsen als die USA und im gleichen Maße wie China, was ungewöhnlich ist. Damit hat die Region relativ gesehen bessere Verhältnisse.

Welche Anlagethemen halten Sie für vielversprechend?

Es gibt zwei sehr interessante Bereiche. Zum einen befinden wir uns immer noch im Prozess der digitalen Revolution, die diese Mega Caps hervorgebracht hat. Die Technologie wird in der Industrie immer bedeutender. Es wird nun weniger relevant, ob ein Unternehmen Technologie herstellt oder vielmehr, etwa in der Healthcare-Branche, zunehmend die neuen Technologien verwendet. Der zweite Bereich ist die Dekarbonisierung. Auch dies ist eine bedeutende Transformation. Sie wird enorm hohe Investitionen in die entsprechende Infrastruktur erfordern, in den Aufbau von Anlagen für erneuerbare Energien, in die Produktion, die Bereitstellung und die Verteilung alternativer Energien. Die dafür benötigten Investitionen werden auf zwischen 5 und 6 Bill. Dollar pro Jahr geschätzt. Unternehmen, die von den großen Transformationen profitieren, sind Innovatoren mit neuen Technologien, Disruptoren, die Technologie nutzen und Marktanteile gewinnen, Unternehmen, die soziale und ökonomische Veränderungen ermöglichen und vorantreiben, und Firmen, die ihre Geschäftsmodelle umstellen, um relevanter und wettbewerbsfähiger zu werden.

Ist China ein attraktives Anlageland?

Das chinesische Wachstum wird sich verlangsamen, zum Teil durch mehrere lokale Lockdowns. Aber das Land hat Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik und hat vor kurzem damit begonnen, die Zinssätze zu senken. Unsere Strategen sind recht zuversichtlich. Nach seiner Underperformance ist die Bewertung des Aktienmarkts günstig. Die von der Regierung angestrebte Umverteilung des Wohlstands mit den entsprechenden Auflagen für Unternehmen scheint weitgehend eingepreist zu sein.

Die Rohstoffmärkte haben stark zugelegt. Gibt es da noch Spielraum?

Wir sind für die Rohstoffpreise zuversichtlich. Unsere Analysten erwarten, dass die Ölpreise in diesem Jahr auf 90 Dollar und 2023 auf 105 Dollar steigen werden. Auch bei den Metallpreisen sehen wir Aufwärtspotenzial. Der Energieumbau wird für starke Nachfrage sorgen.

Das Interview führte

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