Finanzmarkt im Bundestag

Aktivere Rolle für den Staat in der Industriepolitik

Aufflammender Protektionismus und in der Corona-Pandemie unterbrochene Lieferketten haben der Industriepolitik einen neuen Stellenwert verschafft. Dem Staat wird von Parteien und Firmen eine aktivere Rolle zugebilligt.

Aktivere Rolle für den Staat in der Industriepolitik

Von Claus Döring, Frankfurt

Wenn 42% der Befragten der Auffassung sind, ein höheres Staatsengagement sichere Arbeitsplätze und deshalb sollten dafür die entsprechenden staatlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, dann würde mancher vermuten, diese Umfrage habe man unter Gewerkschaftsmitgliedern gemacht. Doch weit gefehlt: Geantwortet hatten 200 repräsentativ ausgewählte Unternehmen. Weitere 42% äußerten sich unentschieden, nur 16% waren gegen ein höheres staatliches Engagement zur Sicherung von Arbeitsplätzen, so Deutsche Bank Research im Deutschland-Monitor vom Juni 2021. Die Umfrage spiegelt einen Sinneswandel in Deutschland zum Thema Industriepolitik. Nur noch eine Minderheit von 40% der befragten Unternehmen befürchtet, dass staatliche Industriepolitik die Wirtschaftsstruktur konserviert und die Innovationsfähigkeit am Standort Deutschland bremst. Eine deutliche Einladung an die Politik. In ihren Wahlprogrammen haben die Parteien dies unterschiedlich beantwortet. Die Union nimmt die Einladung an, denn „gerade auch im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung setzen wir auf die Ordnung des Marktes durch den Staat“. Aus Sicht der Union soll ein starker Staat die Wirtschaft ordnen und die Regeln setzen, aber nicht selbst am Geschehen teilnehmen. Konkret wird die Union insofern, als sie die Einnahmen aus dem Emissionshandel in vollem Umfang an Bürger und Betriebe durch Stromverbilligung zurückgeben und als Erstes die EEG-Umlage abschaffen will.

Deutlich weniger Staat wünscht sich die FDP, die nach dem starken Engagement in der Pandemie eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien und eine „Beteiligungsbremse“ für den Staat fordert. Unnötige staatliche Beteiligungen sollten verkauft werden. Explizit erwähnt werden Post und Telekom. Ganz entschieden wenden sich die Liberalen gegen die politische Förderung von „nationalen Champions“. Solche Alleingänge innerhalb des EU-Binnenmarktes bremsten Innovationen und schadeten am Ende der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber amerikanischer und chinesischer Konkurrenz.

Die AfD gefällt sich in Floskeln wie „Soziale Marktwirtschaft statt sozialistischer Industriepolitik“ und behauptet, dass die Versuche direkten Staatseinflusses auf Unternehmen durch Vorgaben oder Subventionen regelmäßig in den wirtschaftlichen Niedergang führten. Wobei sie sich allerdings für den „Wiederaufbau eines nationalen pharmazeutisch-medizinischen Kompetenz-Clusters“ ausspricht und in der Entwicklung von Technologien und Geschäftsmodellen zur Weltraumnutzung Zukunftschancen sieht.

Hin- und hergerissen von marktwirtschaftlichen Einsprengseln, ordnungspolitischen Grundsätzen und staatlichem Dirigismus vor allem zur Erreichung des Staatsziels Klimaschutz zeigt sich die Agenda von Bündnis90/Die Grünen. Dass die Wirtschaft „klare Verhältnisse, verlässliche politische Rahmenbedingungen und Anreize“ braucht, würde jeder Ordnungspolitiker unterschreiben. Beim von den Grünen angestrebten Umbau zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft ist es dann doch der Staat, der nicht nur das Ziel, sondern auch den Weg dahin vorgibt. Beispiel Klimaneutralität: Ab 2030 wolle man nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen. Beispiel technologische Wettbewerbsfähigkeit: Die deutsche Solarindustrie soll gezielte Investitionshilfen erhalten. Beispiel internationale Arbeitsteilung: Die EU-Kapazität in der Halbleitertechnologie soll auf 20% des Weltmarktes ausgebaut werden.

Die SPD wackelt nicht lange herum zwischen Markt und Staat: „Staat und Verwaltung müssen zum Innovationstreiber werden und ihre Nachfragemacht einsetzen.“ Man brauche den Staat als strategischen Investor, als Ordnungs- und Gestaltungskraft. Von wettbewerbsfähigen Unternehmen ist im Wahlprogramm wenig die Rede, dafür aber von der wichtigen Rolle der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die zusammen mit den Förderbanken der Länder Mittel vom Kapitalmarkt in strategisch wichtige Zukunftsbranchen lenken soll. Die Staatsgläubigkeit der SPD gipfelt im Vorhaben, die KfW zu einer „modernen Innovations- und Investitionsagentur“ weiterzuentwickeln. Angekündigt wird ferner „eine nationale Strategie für die Förderung gemeinwohlorientierter Unternehmen und sozialer Innovationen“. Der Glaube der SPD an die Weisheit staatlicher Institutionen wird nur noch getoppt von den Linken, die einen ökologischen und sozialen Systemwechsel propagieren und die Macht der Großkonzerne und Banken brechen wollen.

Wer die Wahlprogramme übereinanderlegt, wird zur Industriepolitik Schnittmengen bei Union, FDP und Grünen ausmachen. Die CDU will ein umfangreiches Entfesselungspaket auf den Weg bringen, die FDP fordert einen Entfesselungspakt für die Wirtschaft. Die Grünen verkünden ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen, die CDU spricht vom Modernisierungsjahrzehnt für die Industrie.

Bisher erschienen:

Die Staatsfinanzen (23.7.)

Die Steuerpolitik (16.7.)

Der Innovationsstandort (9.7.)

Die Ausgangslage (2.7.)