China wendet sich vom Westen ab
China wendet sich vom Westen ab
Peking reduziert seine wirtschaftlichen Abhängigkeiten – Die Eurozone macht weniger Fortschritte
mpi Frankfurt
Der chinesischen Wirtschaft ist es gelungen, deutlich weniger abhängig vom Westen zu werden. Dennoch würden Lieferkettenstörungen weiterhin zu großen konjunkturellen Schäden für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt führen. Rund 100 kritische Abhängigkeiten stellen Autoren einer EZB-Studie für China fest. Eine ähnliche Anzahl machen sie für die Eurozone aus. Für die USA kommen sie auf 120 kritische Abhängigkeiten.
Insgesamt ist die Anzahl damit gering. So machen sie etwa nur 0,07% der Vorleistungen in China aus. „Die Auswirkungen einer plötzlichen Versorgungsunterbrechung sind jedoch unverhältnismäßig groß“, halten die Studienautoren fest. Laut ihrer Modellrechnung könnte eine Lieferkettenstörung die Endnachfrage in China um 1,4% senken. 1995 seien es sogar noch 2,1% gewesen. Dies unterstreicht, dass es China mit seiner Industriepolitik gelungen ist, die Abhängigkeit von ausländischen Vorleistungen zu reduzieren.
Ausnahme Industriechemikalien
China hat laut der Untersuchung seine Abhängigkeit von vollentwickelten Volkswirtschaften reduziert, nicht zuletzt dadurch, dass es viele Hightech-Produkte, etwa im Maschinenbau, nun selbst produziert. Dagegen ist die Abhängigkeit von Schwellenländern wie Indonesien, Thailand oder auch Russland wegen des größeren Rohstoffbedarfs gestiegen. „China ist es gelungen, fast alle seine risikoreichen kritischen Abhängigkeiten vom Euroraum und den Vereinigten Staaten zu beseitigen – mit Ausnahme einiger wichtiger Industriechemikalien“, heißt es in der Studie.
Umgekehrt ist die Abhängigkeit der USA und der Eurozone von chinesischen Waren seit 2000 gestiegen. „Die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten und der Eurozone von China hat sich am stärksten in den Bereichen Elektronik und Chemie erhöht, was Chinas wachsende Rolle als globaler Produktionsstandort widerspiegelt.“
Richtungswechsel in der Handelspolitik
Die Studienautoren halten dennoch fest, dass auch im Westen die Bemühungen größer werden, Lieferketten zu diversifizieren. Umfragen unter Industrieunternehmen der Eurozone aus dem Jahr 2023 zeigen, dass etwa die Hälfte der Firmen bereits Schritte unternommen hat, um Abhängigkeiten von chinesischen Lieferungen zu reduzieren – oder die Umsetzung solcher Maßnahmen bis Ende 2024 geplant hatte.
Auch die Industrieländerorganisation OECD stellt einen Richtungswechsel in der Handelspolitik fest. In den vergangenen 15 Jahren sei bei vielen Staaten die Effizienz bei den Lieferketten ein wenig in den Hintergrund getreten. Stattdessen werde Lieferkettensicherheit und Resilienz gegenüber Störungen wichtiger.
Warnung vor Decoupling
Trotz der wirtschaftlichen Schäden von Lieferkettenstörungen und der steigenden geopolitischen Spannungen warnen die Autoren der EZB-Studie von einem konsequenten Decoupling. Damit ist eine Entflechtung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Staaten mit einem angespannten politischen Verhältnis gemeint. Denn „die makroökonomischen Kosten einer vollständigen Entkopplung der
geopolitischen Blöcke würde wahrscheinlich die Kosten übersteigen, die mit kritischen Abhängigkeiten verbunden sind“. Komplett beseitigen ließen sich diese Abhängigkeiten aufgrund der global vernetzen Wirtschaft zudem selbst bei einer Entkoppelung der geopolitischen Blöcke nicht.
Die wirtschaftlichen Schäden eines solchen Schrittes sind nach Modellrechnungen dagegen enorm. So würde die globale Wirtschaftsleistung wegen Ineffizienzen langfristig um bis zu 12% sinken.
Auch die vorübergehenden Effekte auf die Inflation sind groß. Den Berechnungen zufolge könnte sie vorerst um vier Prozentpunkte steigen. Mit der Zeit dürften sich dann die inflationsdämpfenden Effekte der geringeren wirtschaftlichen Aktivität stärker bemerkbar machen.