Staatsfinanzen

Demografie schlägt Defizit als Deutschlands größtes Fiskalproblem

Die kreditfinanzierten Sondervermögen treiben den Schuldenstand nach oben. Trotzdem behält Deutschland seine Top-Bonität – auch, weil es um die Finanzen in anderen Ländern noch schlechter bestellt ist. Doch die Demografie könnte alles schnell destabilisieren.

Demografie schlägt Defizit als Deutschlands größtes Fiskalproblem

Demografie schlägt Defizit als größtes Fiskalproblem

Deutschlands Bonität trotz mehr Schulden stabil bei Triple-A

lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist zu Ende, in ganz Europa legen seit geraumer Zeit die Defizite und Schuldenstände wieder zu. Das Problem: Damit wird der Finanzspielraum immer enger, was in der Regel zu noch höheren Defiziten führt. Und die Schuldenspirale dreht sich dann immer schneller: die Bonität verschlechtert sich, weil an der fiskalischen Tragfähigkeit gezweifelt wird, die Zinsen steigen und damit auch der im Budget unterzubringende Schuldendienst. Dieses vor Augen werden schon heute die Rufe nach Aufnahme gemeinsamer Schulden in der EU immer lauter. Und der Druck auf die EZB nimmt zu, durch niedrigere Zinsen und Anleihekäufen die Haushalte der hoch verschuldeten Länder zu entlasten.

Deutschland steht hier trotz Sondervermögen für Investitionen und einem höheren Rüstungsetat noch vergleichsweise solide da. Die europäische Ratingagentur Scope geht davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren bis zu 850 Mrd. Euro am Kreditmarkt aufgenommen werden. Vor diesem Hintergrund rechnet sie mit Anstieg des deutschen Schuldenstandes bis 2030 auf etwa 74% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im vergangenen Jahr hatte dieser Wert noch bei 62,5% gelegen. Das Haushaltsdefizit, erwartet Scope, dürfte mittelfristig bei 4% der Wirtschaftsleistung liegen.

Konsolidierungsdruck nimmt zu

Trotz des erwarteten Anstiegs der Defizite und der Schuldenquote verfügt Deutschland weiterhin über einzigartige Kreditstärken, darunter eine wohlhabende, große und diversifizierte Wirtschaft, ein solides finanzpolitisches Fundament und eine lange Tradition der Haushaltsdisziplin sowie eine äußerst wettbewerbsfähige Außenwirtschaft, betont Scope-Analyst Julian Zimmermann. Deutschlands Bonität liegt bei Scope bei Triple-A/stabil. Aber natürlich werde „der Druck zur Konsolidierung des Kernhaushalts des Bundes mit der Zeit zunehmen“.

Scope verweist hier vor allem auf die wachsende Ausgaben für Zinsen und soziale Sicherheit samt Renten und Gesundheit. Das werde die fiskalische Flexibilität dramatisch verringern. Der Anteil frei verfügbarer Mittel im Bundeshaushalt werde Scope zufolge von zuletzt 24% auf nur noch 3% bis 2035 sinken. Um Handlungsspielraum zu wahren, seien Strukturreformen unumgänglich – vor allem bei den Renten und am Arbeitsmarkt.

Scope sieht aber auch Lichtblicke: Die von der Bundesregierung vorgesehenen Investitionen von 500 Mrd. Euro in die Infrastruktur könne das Wachstumspotenzial Deutschlands auf 1% steigern. Aktuell liege es nur bei 0,7%.

Europäische Problemländer

Andere europäische Länder sehen sich hier aber noch viel größeren Problemen gegenüber. Die Volkswirte der Commerzbank haben die Zinslastquote, also die Zinszahlungen des Staates in Prozent des BIP, für die kommenden 10 Jahre auf der Basis der Ausgaben- und Defizitpläne prognostiziert. In Deutschland nimmt sie danach um knapp eineinhalb Prozentpunkte zu, in Spanien allerdings um mehr als zwei, für Italien um zweieinhalb und für Frankreich sogar um mehr als drei Prozentpunkte.

Schlimmer aber schlägt allgemein die demografische Entwicklung durch: Dadurch schrumpft das Arbeitsangebot in Deutschland, Italien und Spanien – nur Frankreich kommt hier etwas glimpflicher davon. Und ein wegen eines schrumpfenden Arbeitsangebots schwächeres Wachstum erschwert es den Ländern obendrein, warnt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen, „aus ihren Staatsschulden herauszuwachsen“. Zudem wird für den Staat die Finanzlast immer größer, weil er gezwungen sein dürfte, den absehbaren Anstieg der Beitragssätze in den Sozialversicherungen finanziell zu dämpfen.


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