Sorge vor Deflation und Wirtschaftsabschwung

Eskalierter Handelskonflikt versetzt Schweizer Wirtschaft in Aufruhr

Die Schweiz ist mit den höchsten US-Zöllen aller Industrieländer konfrontiert. Das setzt nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Notenbank unter Druck. Die Rückkehr von Negativzinsen ist möglich.

Eskalierter Handelskonflikt versetzt Schweizer Wirtschaft in Aufruhr

Eskalierter Handelskonflikt versetzt Schweiz in Aufruhr

Erste Firmen planen Änderungen in der Produktion – Sorge vor Deflation und Negativzinsen – Schwierige Zollverhandlungen

mpi Frankfurt

Ausgerechnet die Schweiz, die sich traditionell aus allen Konflikten heraushält, befindet sich im Zentrum des von den USA entfachten Handelskrieges. „Die derzeitigen 39% sind ein Schock und eine große Belastung für die Schweizer Wirtschaft“, sagt Karsten Junius, Chefvolkswirt der Privatbank J. Safra Sarasin mit Sitz in Basel. Kein Industrieland der Welt sieht sich mit höheren Zöllen konfrontiert, nachdem es der Regierung in Bern bislang nicht gelungen ist, ein Abkommen mit den USA zu schließen.

Für die Schweiz sind die hohen Zölle besonders schlechte Nachrichten. Denn die Vereinigten Staaten sind der größte Handelspartner des Landes. Fast ein Fünftel der Exporte im vergangenen Jahr gingen in die größte Volkswirtschaft der Welt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist zudem der Anteil der US-Ausfuhren noch höher als beim ehemaligen Exportweltmeister Deutschland. Vor allem für Uhrenhersteller, die Lebensmittelbranche, die Metall- und Elektroindustrie sowie die Pharmabranche sind die USA ein wichtiger Absatzmarkt.

Pharma im Fokus

Letztere steht für 60% der Schweizer Exporte in die USA. Bislang sind Pharmaprodukte jedoch von den Zöllen befreit. Unter anderem aus diesem Grund rechnet Daniel Hartmann, Chefökonom des Schweizer Vermögensverwalters Bantleon, damit, dass die Zölle keine Rezession bei den Eidgenossen auslösen dürften, sondern das Wirtschaftswachstum nur abbremsen.

Ob es jedoch dabei bleibt, dass die Pharmaunternehmen zollfrei handeln dürfen, ist völlig offen. Schließlich droht US-Präsident Donald Trump mit astronomischen Zollsätzen von bis zu 250%, die in den nächsten Jahren gelten könnten. Die Pharmariesen Novartis und Roche reagieren offenbar bereits auf diese Drohkulisse. Wie die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ), berichtet, planen beide Firmen Milliardeninvestitionen in den USA, um ihre dortigen Produktionen auszubauen. Laut der Zeitung will Novartis die wichtigsten Medikamente für den US-Markt künftig vollständig vor Ort produzieren. Da Zölle auf Pharmaprodukte die Medikamentenkosten in den USA erhöhen würden, rechnet Hartmann nicht mit baldigen Zöllen. „Trump dürfte Pharmazölle bis nach den Mid-Term-Wahlen in den USA im kommenden Jahr hinauszögern.“

Disinflationäre Effekte durch die Zölle

Sollte es beim Basiszollsatz für die Schweiz von 39% zu keinen Erleichterungen kommen, kann sich Junius vorstellen, dass gerade Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie ebenfalls Produktionsstätten verlagern. Der Ökonom geht jedoch eher davon aus, dass die Firmen in die EU abwandern und von dort in die USA zu geringeren Zollsätzen exportieren.

Unstrittig ist unter Ökonomen, dass die Zölle die wirtschaftliche Aktivität der Schweiz und die Inflation reduzieren. Dabei kämpft die Schweizerische Nationalbank (SNB) ohnehin schon mit einer Deflationsgefahr. Der Verbraucherpreisindex lag bereits kurzzeitig im negativen Bereich. Aktuell liegt die Inflation bei 0,2%. Das Inflationsziel der SNB liegt bei 0 bis 2%.

Sorge vor Negativzinsen

Um ein Abrutschen in eine längere Phase sinkender Preise zu verhindern, könnte die SNB gezwungen sein, den Leitzins in diesem Jahr nochmal zu senken. Damit wären Negativzinsen zurück, da der Leitzins aktuell bei 0% liegt. Weder Junius noch Hartmann erwarten, dass die SNB diesen Schritt bei ihrer nächsten Sitzung im September gehen wird. „Die SNB hat bei ihrer letzten Zinssitzung unglücklich kommuniziert und sich so die Hände für September quasi selbst gebunden“, sagt Junius.

Er verweist dabei auf eine Pressekonferenz des Notenbankchefs Martin Schlegel. Dort thematisierte der Währungshüter mögliche Finanzrisiken, die durch die Rückkehr von Negativzinsen entstehen könnten. Eine weitere Zinssenkung dürfte daher wohl das letzte Mittel der Wahl sein. Junius erwartet deshalb, dass die SNB abwarten wird und falls nötig, erst im Dezember die Zinsen senkt – dann aber gleich um 50 Basispunkte. „Das Risiko einer Zinssenkung um 50 Basispunkte wird am Finanzmarkt derzeit unterschätzt“, meint er.

Schützenhilfe der EZB

Hartmann beziffert die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zu Negativzinsen in der Schweiz auf etwa 30%. Da der Ökonom von keiner Rezession durch die Zölle ausgeht und die Verbraucherpreise zuletzt leicht höher waren als erwartet, hält er das Deflationsrisiko derzeit für begrenzt. Wichtig für den Inflationsausblick ist zudem der Wechselkurs des Franken gegenüber Euro und Dollar. Die Zinspause der EZB hilft der SNB, da dadurch der Franken gegenüber dem Euro für Anleger nicht attraktiver wird. Die EZB steuert im September auf eine Verlängerung der Zinspause zu. Die Hürden für eine Lockerung sind laut Bundesbankpräsident Joachim Nagel hoch. „Die Leitzinsen sind aktuell auf einem sehr guten Niveau“, sagte er am Dienstag zu Journalisten.

Auf die nach wie vor laufenden Zollverhandlungen blickt Hartmann pessimistisch. „Möglicherweise will Trump an der Schweiz ein Exempel statuieren wegen ihres hohen Leistungsüberschusses mit den USA und der vergleichsweise geringen Bedeutung der Schweiz für die Weltwirtschaft.“ Zudem habe die Schweiz den USA wenig anzubieten.

Zähe Zollverhandlungen

Junius sieht einen möglichen Hebel dagegen im Pharmabereich. Trump habe ein Interesse an günstigeren Medizinprodukten. „Um die Unternehmen zu günstigeren Exportpreisen in die USA zu bewegen, könnte die Regierung in Bern höhere Medikamentenpreise in der Schweiz zulassen“, sagt er. „Dies wäre das geringe Übel als ein Szenario ohne Abkommen, was der Schweizer Wirtschaft großflächig schaden würde. Bloße Zusagen für Investitionen in den USA dürften für einen Deal nicht mehr reichen.“

Die Schweiz versucht derweil mit möglichen Bestellungen von US-Produkten ihr Glück. Verteidigungsminister Martin Pfister stellte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in Aussicht, dass die Eidgenossen mehr Rüstungsgüter von US-Firmen ordern könnten. US-Finanzminister Scott Bessent erklärte derweil, dass die Gespräche mit allen Staaten, die noch kein Abkommen haben, spätestens im Oktober ihr Ende finden sollen.