Kampf gegen Inflation

Euro-Hüter ringen um Zinskurs

Die EZB hat angesichts der rekordhohen Inflation ihre Leitzinsen erneut kräftig angehoben. Der weitere Kurs ist aber im EZB-Rat umstritten. Das zeigen auch neue Aussagen. Derweil nehmen die Inflationssorgen weiter zu.

Euro-Hüter ringen um Zinskurs

ms Frankfurt

Nur einen Tag nach der erneuten XL-Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist am Freitag bereits eine offene Diskussion unter Euro-Notenbankern über den weiteren Zinskurs entbrannt. Die Aussagen belegen dabei, dass die Meinungen im EZB-Rat über die Höhe eines möglichen Zinsschritts beim nächsten Treffen Mitte Dezember aktuell ebenso auseinan­der­ge­hen wie die Meinungen darüber, wie weit die Zinsen überhaupt noch steigen sollen. Neue Daten schürten derweil die Sorge vor einer länger hohen Inflation. So kletterte die Teuerung in Deutschland im Oktober unerwartet deutlich auf 11,6% (HVPI).

Konjunkturrisiken steigen

Angesichts der rekordhohen Inflation im Euroraum von zuletzt 9,9% im September hatte der EZB-Rat am Donnerstag seine Leitzinsen bereits erneut um 75 Basispunkte angehoben. Seit Juli sind die Zinsen damit um insgesamt 200 Basispunkte erhöht worden – so aggressiv wie nie seit Einführung des Euro im Jahr 1999. Zugleich wächst aber die Gefahr einer Rezession im Euroraum, auch wenn die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal noch einmal überraschend zulegte (siehe Text unten auf dieser Seite).

Der EZB-Rat hatte am Donnerstag zwar weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt, sich darüber hinaus aber nicht in die Karten schauen lassen. Dem Vernehmen nach waren sich die Notenbanker nicht einig über das Ausmaß der weiteren Zinserhöhung. Bloomberg berichtete, dass einige der Euro-Hüter bereits am Donnerstag für eine Anhebung nur um 50 Punkte plädiert hatten. Angesichts der stärkeren Betonung der Konjunkturrisiken durch den EZB-Rat erwarten nun viele Beobachter, dass im Dezember maximal eine Anhebung um 50 Basispunkte an­steht und die Zinserhöhungen bereits im Frühjahr des nächsten Jahres enden könnten.

Wie ein „rasender Zug“

Am Freitag nun sagte Frankreichs Zentralbankchef François Villeroy de Galhau, dass die nächsten Zinserhöhungen der EZB nicht notwendigerweise weitere Riesenschritte sein müssten. Bei den Erhöhungen werde die EZB flexibel sein, sagte er in einem auf dem Finanzportal Boursorama veröffentlichten Webcast. „Wir sind nicht auf das abonniert, was man Jumbo-Erhöhungen nennt.“ Villeroy de Galhau wird tendenziell dem Lager der „Tauben“ zugerechnet, die eher für eine lockerere Geldpolitik eintreten. Seine Aussagen finden oft großes Gehör, weil er häufig künftige Entscheidungen vorzeichnet.

Dagegen sagte Litauens Zentralbankchef Gediminas Simkus am Freitag, dass die EZB im Dezember die Zinssätze erneut „erheblich“ anheben müsse, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer technischen Rezession groß sei. „Die Inflationstendenzen verstärken sich, die Kernindikatoren befinden sich in einem Aufwärtstrend. Deshalb ist es wichtig, entschlossen zu handeln“, sagte Simkus. Noch einen Schritt weiter ging der slowakische Notenbankchefs Peter Kazimir. Er machte klar, dass aus seiner Sicht die EZB die Leitzinsen noch mehrmals und insgesamt so stark anheben müsse, dass diese die Wirtschaft aktiv bremsten. „Wir werden den neutralen Zins durchqueren – egal wo er derzeit gesehen wird – wie ein rasender Zug.“

Neues Rekordniveau

Neue Inflationsdaten aus Deutschland schürten am Freitag Sorgen, dass sich die hohe Teuerung noch weiter hartnäckig hält. Die Teuerung übertraf erneut alle Erwartungen und kletterte in EU-harmonisierter Rechnung (HVPI) von zuvor 10,9% auf 11,6%. In nationaler Rechnung (VPI) legte sie von 10,0% auf 10,4% zu. Das ist der höchste Stand seit 1951. Beobachter hatten dagegen nur einen Anstieg auf 10,1% erwartet.

Besonders stark verteuerte sich im Oktober erneut Energie – als Folge des Ukraine-Kriegs: Sie kostete durchschnittlich 43,0% mehr als im Oktober 2021. Nahrungsmittel kosteten 20,3% mehr. Für die nächsten Monate scheinen sogar noch höhere Raten denkbar, zumal der Preisdruck immer mehr an Breite gewinnt. Laut einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des Ifo-Instituts plant jedes zweite Unternehmen, höhere Kosten an die Verbraucher weiterzugeben. „Die Inflationswelle ist noch nicht gebrochen“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Am Montag veröffentlicht Eurostat eine erste Inflationsschätzung für den Euroraum. Denkbar scheint, dass sie dann auch die Marke von 10% knackt, nachdem sie im September ganz knapp darunter geblieben war. Professionelle Beobachter erwarten, dass die Teuerung noch lange über dem 2-Prozent-Ziel der EZB bleibt. Laut dem am Freitag veröffentlichten Survey of Professional Forecasters sehen sie die Teuerung in den Jahren 2022, 2023 und 2024 bei 8,3%, 5,8% und 2,4%. Für 2023 und 2024 sind das 2,2 beziehungsweise 0,3 Prozentpunkte mehr als zuvor.