„Europa kann die hohen Zölle der USA wettmachen“
Im Gespräch: Jürgen Michels
„Europa kann die hohen Zölle der USA wettmachen“
Der Chefvolkswirt der BayernLB empfiehlt der EU, aus eigener Kraft die Folgen der Zölle auszugleichen – Etwas optimistischer für deutsche Konjunktur
Von Joachim Herr, München
Jürgen Michels, der Chefvolkswirt der BayernLB, dämpft die Furcht vor hohen Importzöllen der USA. Der europäische Binnenmarkt wäre stark genug, um weniger Handel mit Amerika auszugleichen. Allerdings müsste die EU dafür einiges tun und nicht-tarifäre Hindernisse aus dem Weg schaffen.
Egal wie der Zollstreit mit den USA ausgeht: Jürgen Michels rechnet damit, dass Europas Wirtschaft künftig mit höheren Importzöllen der USA auskommen muss. „Und die Frage ist, ob es Nebenabkommen geben wird, die auch den Handel Europas mit China einschränken können“, warnt der Chefvolkswirt der Bayerischen Landesbank (BayernLB). „Für die europäische Wirtschaft wird Trumps Handelspolitik ein belastender Faktor bleiben.“
Doch für Europa gibt es aus seiner Sicht Chancen, um den Ausfall der USA als zuverlässigen Handelspartner und bisweilen als Konjunkturmotor auszugleichen. Zum einen könnte sich die EU stärker als bisher an Länder wenden, die die Zollpolitik der USA ebenfalls trifft: „Ich denke an Kanada, aber auch an asiatische Länder.“ Dort sollte sich Europa neu positionieren. Zum anderen und vor allem rät Michels, die eigene Stärke zu nutzen: „Europa muss den Binnenmarkt stärken und sich mehr auf dessen Wachstumschancen konzentrieren.“ Einen Schub könnten hier die Fiskalimpulse geben, allen voran die Investitionsprogramme Deutschlands für Infrastruktur und Rüstung.
Nicht-tarifäre Hemmnisse in der EU
Aber Michels verweist auf Hindernisse: „Im Binnenmarkt haben wir immer noch eine ganze Reihe von Einschränkungen.“ Er erwähnt eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF), wonach Restriktionen im innereuropäischen Handel einer durchschnittlichen Zollquote von 44% entsprächen. Solche nicht-tarifären Hemmnisse gibt es zum Beispiel für Agrarprodukte und Nahrungsmittel. Es geht unter anderem um Beschaffung, Nährwert und gesundheitsbezogene Angaben. Michels nennt ein Beispiel: „Ein in Deutschland produzierter Joghurt kann nicht einfach in Österreich oder Belgien verkauft werden, da es unterschiedliche Regeln für Produktinformationen gibt.“
Umgerechnet entsprechen solche Restriktionen aufgrund der Vielzahl nationaler Regelungen einer Zollbelastung von 44%. Für Dienstleistungen ergibt sich laut IWF sogar ein Äquivalent von 110%. Diese Zahl müsse man allerdings mit Vorsicht genießen, fügt Michels hinzu. „Zweifel habe ich zum Beispiel für das Beherbergungsgewerbe. Es ist schwierig, ein Hotelzimmer in München mit einem in Mailand zu vergleichen.“
„Immer noch zaghaft“
Zudem könnte die EU aus seiner Sicht mit Strukturreformen und Bürokratieabbau den Binnenmarkt stärken. Im Draghi-Bericht sei auch dies enthalten, nicht nur die Forderung nach Milliardeninvestitionen. Erste Ansätze gebe es. Doch Michels hält diese für nicht ausreichend: „Das ist immer noch zaghaft, was man auch am Begriff Bürokratievereinfachung erkennt anstelle Bürokratieabbau." Die Chance, mit mehr Binnenhandel erfolgreich zu sein, hätte die EU aus Sicht des Volkswirts: „Europa kann aus eigener Kraft die Folgen höherer Zölle wettmachen. Wahrscheinlich könnten wir sogar eine Überkompensierung erreichen, wenn die Hemmnisse schnell beseitigt würden.“
Trotz der Unsicherheit über die Handels- und Zollpolitik der USA sind die Ökonomen der BayernLB für das Wirtschaftswachstum in Deutschland etwas optimistischer: „Wir sehen jetzt eine leichte Beschleunigung“, berichtet Michels. Für das zweite Quartal rechnet er aufgrund des Themas Zölle aber nochmals mit einem Minus. Für das zweite Halbjahr erwartet er eine „gewisse Normalisierung im Außenhandel“. Und er erkennt Impulse im Inland. „Das eine ist, dass die ersten Gelder des massiven Konjunkturprogramms gerade freigeschaltet werden.“ In dieser Erwartung habe sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft schon verbessert. „Das dürfte dazu führen, dass die privatwirtschaftliche Seite ihre Zurückhaltung für Investitionen zumindest zum Teil ablegen wird.“
„Wir müssen wirklich investieren“
In Zahlen heißt das, Michels und sein Team sagen für die deutsche Wirtschaft nun ein Wachstum von 0,2% in diesem Jahr voraus. Bisher lautete die Prognose -0,1%. Für nächstes Jahr erwartet die BayernLB einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,4% – auch dank der Impulse des Investitionsprogramms. Allerdings müssten dafür Voraussetzungen erfüllt sein. „Wir müssen das Geld wirklich investieren“, fordert Michels, zweifelt aber etwas daran, da es eine Reihe von konsumtiven Elementen gebe. „Vor allem auf Landesebene können die Gelder in breiterem Maße verwendet werden, um so den sehr hohen Staatskonsum weiterlaufen zu lassen.“
Zum anderen müsse Deutschland auch in der Lage sein, das zu produzieren, was nachgefragt werde. „Die Zahlen schwanken, aber nach Berichten importiert die Bundeswehr wohl um die 70% des im Zeitenwendepaket vorgesehenen Volumens.“ Die deutsche Privatwirtschaft müsse deshalb neue Produktionsanlagen aufbauen, um einen höheren Anteil zu erzielen. Ein wichtiger Vorteil von investiven Ausgaben im Vergleich mit konsumtiven sind aus Michels' Sicht mögliche „technologische Spillovers“, also positive Auswirkungen auf andere Branchen. „Eine Drohnentechnik kann unter Umständen für autonomes Fahren oder andere Technologien für eine zivile Nutzung eingesetzt werden.“