Geldpolitik

Inflationsausblick spaltet den EZB-Rat

Die US-Notenbank strebt auf eine raschere Zinswende zu und die Bank of England erhöht sogar schon ihren Leitzins. Für die EZB scheinen Zinserhöhungen aber weiter ferne Zukunftsmusik zu sein.

Inflationsausblick spaltet den EZB-Rat

ms Frankfurt

Die Europäische Zentralbank (EZB) geht für dieses und nächstes Jahr von einer deutlich höheren Inflation aus als bislang prognostiziert – zugleich erwartet sie aber weiterhin einen spürbaren Rückgang der Teuerung im Jahresverlauf 2022. Vor dem Hintergrund plant sie zwar einen Ausstieg aus den Corona-Krisenmaßnahmen, hält aber absehbar an einer ultralockeren Geldpolitik fest. Die Inflationsaussichten spalten jedoch den EZB-Rat, weswegen es auch einen Dissens über die angemessene Geldpolitik gibt, wie die Börsen-Zeitung aus Notenbankkreisen erfuhr.

Seit Jahresbeginn hat die Inflation im Euroraum kräftig und unerwartet stark zugenommen. Im November schnellte die Teuerung auf 4,9% – ein absoluter Rekord seit der Euro-Einführung im Jahr 1999. Dafür sind zwar vor allem Basis- und Sondereffekte in Zusammenhang mit der Coronakrise verantwortlich. Längst aber wächst die Sorge, dass dieser Trend länger anhält und sich verfestigt. Die EZB hat den Preisanstieg lange Zeit als primär vorübergehend betrachtet. Allerdings haben auch aus der Notenbank die mahnenden Stimmen zugenommen. Die US-Notenbank Fed und die Bank of England sehen die Inflation nun als dauerhafteres Problem und steuern gegen.

Erhöhte Inflationsprognose

Die EZB geht gemäß den am Donnerstag veröffentlichten Projektionen der Notenbankvolkswirte nun davon aus, dass die Inflation in diesem und im nächsten Jahr bei 2,6% und 3,2% und damit deutlich oberhalb des EZB-Ziels von 2% liegen wird. Im September waren die Ökonomen noch von nur 2,2% und 1,7% ausgegangen. Verantwortlich für die aktuell hohe Inflation seien vor allem die Energiepreise. Im Jahresverlauf 2022 erwartet der EZB-Rat aber einen „scharfen Rückgang“ der Teuerung, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag sagte. Für 2023 und 2024 sagen die EZB-Volkswirte nun jeweils 1,8% Teuerung voraus. Da liege unterhalb des Ziels, betonte Lagarde mehrfach. Die EZB unternimmt deshalb auch allenfalls zaghafte Schritte zum Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik.

Bei der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag gab es laut Notenbankkreisen über die Inflation aber eine lebhafte Diskussion. Einige Notenbanker wie die Zentralbankchefs aus Belgien und Deutschland, Pierre Wunsch und Jens Weidmann, argumentierten, dass die 1,8% die Teuerung unterzeichnen könnten. Das gelte etwa, wenn selbst genutztes Wohneigentum berücksichtigt werde. Das passiert bislang nicht, die EZB strebt das nach ihrer großen Strategieüberprüfung aber an. Schätzungen gehen davon aus, dass das die Teuerung aktuell um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte höher ausfallen ließe. Die Kritiker argumentierten zu­­dem, dass die Lohndynamik nicht komplett abgebildet sei – etwa die avisierte Mindestlohnerhöhung in Deutschland. Sie votierten daher für eine weniger expansive Geldpolitik.

Konkret beschloss der EZB-Rat am Donnerstag wie erwartet, das 1,85 Bill. Euro schwere Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP im März 2022 auslaufen zu lassen. Zudem erklärte er, „dass die Fortschritte bei der wirtschaftlichen Erholung und im Hinblick auf unser mittelfristiges Inflationsziel eine schrittweise Verringerung seiner Ankäufe von Vermögenswerten in den kommenden Quartalen zulassen“.

Zugleich beschloss er aber, dass fällige Tilgungsbeträge aus dem PEPP noch bis mindestens Ende 2024 reinvestiert werden sollen. Bislang war das nur bis mindestens Ende 2023 vorgesehen. Bei diesen Reinvestitionen will die EZB notfalls auch sehr flexibel kaufen – über Anlageklassen und Länder hinweg. So will die EZB gegebenenfalls auch künftig griechische Staatsanleihen erwerben, was unter dem parallelen Staatsanleihekaufprogramm PSPP als Teil des APP nicht möglich ist. Zudem soll PEPP reaktiviert werden, falls die Situation das erfordere.

APP wird aufgestockt

Darüber hinaus beschloss der EZB-Rat­ auch, zeitgleich mit dem Ende von PEPP das APP aufzustocken. Bislang erwirbt das Eurosystem im Zuge des APP Wertpapiere im Wert von rund 20 Mrd. Euro pro Monat. Im zweiten Quartal 2022 wird das Volumen nun auf 40 Mrd. Euro erhöht. Im dritten Quartal sollen es monatlich 30 Mrd. Euro sein. Ab Oktober sollen es dann wieder 20 Mrd. Euro sein. Ein Enddatum für APP gibt es nicht. Vielmehr will der EZB-Rat die APP-Käufe „so lange fortsetzen, wie dies für die Verstärkung der akkommodierenden Wirkung seiner Leitzinsen erforderlich ist“.

Weil die EZB erst nach dem Ende der Nettoanleihekäufe ihre Leitzinsen anheben will, wird damit auch eine Zinserhöhung auf die lange Bank geschoben. Lagarde sagte am Donnerstag zudem erneut, dass eine Zinserhöhung im Jahr 2022 „sehr unwahrscheinlich“ sei.

Die Kritiker der Beschlüsse um den scheidenden Bundesbankpräsidenten Weidmann lehnten vor allem die Festlegung ab, noch auf Jahre hinaus Anleihen zu kaufen. Für Unmut sorgten zudem die als zu weitreichend angesehenen Aussagen zur Flexibilität. „Unter Stressbedingungen wird Flexibilität innerhalb unseres Mandats auch in Zukunft ein Bestandteil der Geldpolitik bleiben, wann immer das Erreichen von Preisstabilität durch Gefahren für die geldpolitische Transmission bedroht ist“, erklärte der EZB-Rat. Die Sorge ist, dass das auf eine Kontrolle der Euro-Renditen durch die EZB hinauslaufen könne.

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