Farce um Schnellbahntrasse HS2

Labour entdeckt die Langsamkeit

Die Hochgeschwindigkeitstrasse HS2 ist das Stuttgart 21 der Briten. Es dauert allerdings noch länger, bis sie fertig wird.

Labour entdeckt die Langsamkeit

Wiederentdeckung der Langsamkeit

Die Hochgeschwindigkeitstrasse HS2 ist das Stuttgart 21 der Briten. Es dauert allerdings noch länger, bis sie fertig wird.

von Andreas Hippin, London

Neue Regierung, neuer Ansatz. Der unter Labour für die Bahn zuständige Staatssekretär Peter Hendy hat eine überraschende Erklärung dafür gefunden, dass die Kosten für die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke HS2 (High Speed 2) völlig außer Kontrolle gerieten und die Fertigstellung noch ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen könnte. Es ist das Stuttgart 21 der Briten, ein Debakel wie der deutsche Hauptstadtflughafen, nur in ganz anderen Dimensionen.

Man müsse sich doch fragen, warum die Strecke für Züge mit einer Geschwindigkeit von mehr als 360 km/h geplant worden sei, sagte Hendy vor Abgeordneten. Hätten es 300 km/h nicht auch getan? Das ist die Geschwindigkeit, die auf HS1 erreicht wird, der Strecke vom Londoner Bahnhof St. Pancras International zum Kanaltunnel. Warum habe man sich für eine „außerordentlich schnelle“ Bahnverbindung entschieden, und nicht einfach nur für eine schnelle, fragte Hendy. Dieser „Fanatismus“ sei schwer nachzuvollziehen. Schließlich sei es ursprünglich darum gegangen, Kapazitätsprobleme zu beheben.

„Blaue Banane“

Die Wiederentdeckung der Langsamkeit dient natürlich dazu, die Schuld der Vorgängerregierung in die Schuhe zu schieben. Doch so einfach ist es nicht. HS2 ist ein Überbleibsel aus der Zeit, in der man glaubte, durch schnellere Bahnverbindungen eine größere wirtschaftliche Integration Europas bewerkstelligen zu können. Da gab es doch einmal die „blaue Banane“, einen vom französischen Geografen Roger Brunet erdachten Großraum, der die europäischen Wohlstandsregionen von der Irischen See bis zum Mittelmeer miteinander verbinden sollte.

Auf dem Kontinent wird an solchen Wahnvorstellungen immer noch gearbeitet. Die angekündigte Direktverbindung von Prag über Berlin nach Kopenhagen ist ein Beispiel dafür. Nun ist für die Briten die europäische Integration seit dem Brexit zwar kein ganz so großes Thema mehr. Doch Net Zero hat parteiübergreifend oberste Priorität. Und dafür wäre eine attraktive Bahn ein Aushängeschild. Langsam sollte sie natürlich nicht sein, wenn sie mit Auto und Flugzeug in den Wettbewerb treten will.

Außer Kontrolle

Zu den Fakten: Mit rund 20 Mrd. Pfund angesetzte Leistungen wurden zwar erst zur Hälfte erbracht, kosteten allerdings bereits 26 Mrd. Pfund, wie der „Guardian“ berichtet. Tunnel und Schneisen entlang der gut 160 km langen Strecke nach Birmingham sollten eigentlich so gut wie fertig sein. Tatsächlich sind es erst um die 60%. Eigentlich sollten schon im kommenden Jahr die erste HS2-Züge aus dem Londoner Bahnhof Euston abfahren.

Für Mark Wild, den CEO von HS2, liegen die Ursachen des Debakels im überstürzten Start des Projekts 2020 unter dem stets zu optimistischen Boris Johnson, für den schnelle Eisenbahnen einen ähnlichen Stellenwert hatten wie dekorative Brücken. Damals hätten noch keine Genehmigungen der lokalen Planungsbehörden vorgelegen. Die Unternehmen hätten die Risiken nicht richtig bepreisen können. Wild trat sein Amt erst im Dezember an und arbeitet an einem glaubwürdigen Zeitplan und Budget. Ob es auf Kosten der Geschwindigkeit gehen wird?

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