Geldpolitik

Nagel heizt EZB-Zinsdebatte an

Nach dem überraschenden Tonwechsel in der EZB in Sachen Inflation und Zinsen reißen die Spekulationen über den weiteren Kurs nicht ab. Der neue Bundesbankpräsident Joachim Nagel schürt nun Zinserhöhungsfantasien.

Nagel heizt EZB-Zinsdebatte an

ms Frankfurt

Angesichts der an­haltend hohen Inflation hält der neue Bundesbankpräsident Joachim Nagel eine Zinswende im Euroraum bereits in diesem Jahr für möglich. „Wenn sich das Bild bis März nicht ändern sollte, werde ich mich dafür aussprechen, die Geldpolitik zu normalisieren“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Der erste Schritt ist, die Nettoankäufe von Anleihen im Laufe des Jahres 2022 zu beenden. Dann könnten die Zinsen noch in diesem Jahr steigen“, fügte er hinzu. Nagel betonte, dass aus seiner Sicht eine zu späte Zinswende womöglich gefährlicher sei als eine frühzeitige.

Hohe Inflation macht Sorge

Mit seinen Aussagen befeuert Nagel die Debatte über eine raschere Zinswende in Euroland. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte nach der Zinssitzung vergangenen Donnerstag für viele überraschend einen besorgteren Ton in Sachen Inflation angeschlagen und nicht mehr ihre Aussage aus dem Dezember wiederholen wollen, dass eine Zinserhöhung im Jahr 2022 sehr unwahrscheinlich sei. Das hatte bereits zuvor aufgekommene Zinserhöhungsfantasien weiter beflügelt. Am Montag äußerte sie sich dann etwas zurückhaltender, was aber kaum etwas an den Spekulationen über eine raschere Zinserhöhung geändert hat.

Die Inflation im Euroraum hat im Dezember, aber noch mehr im Januar überrascht. Statt wie erwartet deutlich nachzulassen, kletterte sie zu Jahresbeginn sogar auf ein neues Rekordhoch von 5,1%. Damit schwindet die Wahrscheinlichkeit, dass sie – wie von der EZB lange er­­hofft und erwartet – in diesem Jahr rasch und deutlich sinkt. Im Gegenteil: EZB-Ratsmitglied Klaas Knot sagte vor wenigen Tagen, dass die Euro-Inflation über große Strecken des Jahres über 4% verharren könnte. Goldman Sachs sieht die Teuerung bis März sogar auf 6% steigen.

Bundesbankpräsident Nagel hatte bereits bei seiner Antrittsrede Anfang Januar vor der Gefahr einer länger hohen Inflation gewarnt und die EZB zu Wachsamkeit ermahnt (vgl. BZ vom 12. Januar). Diese Position untermauerte und verstärkte er nun in seinem ersten größeren Interview seit Amtsantritt. Er macht damit klar, dass er nicht groß von der Position seines Vorgängers Jens Weidmann abweicht, der auch aus Frust über die ultralockere EZB-Geldpolitik vorzeitig zurückgetreten war.

Explizit warnte Nagel auch davor, zu lange mit der geldpolitischen Normalisierung zu warten: „Nach meiner Einschätzung sind die ökonomischen Kosten deutlich höher, wenn wir zu spät handeln, als wenn wir frühzeitig handeln.“ Das zeigten auch Erfahrungen aus der Vergangenheit. „Später müssten wir nämlich kräftiger und in höherem Tempo die Zinsen anheben“, führte er aus. Die Finanzmärkte reagierten dann mit mehr Volatilität. „Wenn wir zu lange warten und dann massiver handeln müssen, können die Marktschwankungen stärker ausfallen.“

Nagel stellt sich damit auch gegen ein zentrales Argument jener Euro-Notenbanker, die für eine sehr vorsichtige Gangart plädieren. Sie argumentieren, dass eine zu frühe Zinswende schlimmer sei als eine zu späte Wende. Ähnlich wie Nagel jetzt hatte EZB-Ratsmitglied Klaas Knot zum Jahreswechsel im Interview der Börsen-Zeitung gewarnt, dass die EZB alles tun müsse, um nicht „hinter die Kurve zu fallen“, weil der Kurswechsel dann nur um so drastischer ausfallen müsse. Zu Wochenanfang hatte auch Knot mit einer ersten Zinserhöhung schon 2022 geliebäugelt.

Auf die Argumentation Nagels angesprochen, sagte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel am Mittwoch in einer Frage-und-Antwort-Runde auf Twitter: „Wir müssen beide Gefahren minimieren – zu spät zu handeln und zu frühzeitig zu handeln.“ Überzogene Inflationserwartungen könnten allerdings eine Zinswende erfordern. Eine ausgedehnte Phase mit hohen Energiepreisen könne dazu führen, dass Erwartungen an eine künftig höhere Inflation genährt würden. Sollte die EZB zu dem Urteil gelangen, dass die Teuerung auf mittlere Sicht über der Zielmarke von 2% verharren werde, würden die Instrumente je nach Bedarf angepasst, sagte Schnabel.

Dagegen versuchte Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau, die Zinserhöhungsspekulationen etwas zu dämpfen. „Ich denke, dass es in den letzten Tagen vielleicht sehr starke und zu starke Reaktionen gab“, sagte er am Dienstagabend. Seine Wortmeldungen werden oft besonders aufmerksam notiert, weil er häufig Mehrheitspositionen im Rat wiedergibt.

Am Montag hatte auch Lagarde bei ihrem Auftritt vor dem EU-Parlament versucht, Spekulationen auf eine rasche Straffung der EZB-Geldpolitik ähnlich wie in den USA zu zerstreuen. Die EZB werde bei der Normalisierung sehr graduell vorgehen, sagte Lagarde. Normalisierung der Geldpolitik dürfte vor allem das Ende der Sondermaßnahmen wie etwa der massiven Anleihekäufe be­deuten. Eine wirkliche Straffung der Geldpolitik mit absehbar deutlichen Zinserhöhungen halten viele EZB-Granden offenbar bislang noch nicht für nötig.

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