„Trump sieht die EU beim Handel derzeit als Hauptkonkurrent“
Im Interview: Michael Holstein
„Trump sieht die EU derzeit als Hauptkonkurrent“
Chefökonom der DZ Bank hält Null-Zoll-Lösung für unrealistisch – Kein Bedarf für weitere Zinssenkung – Deutschland dürfte im laufenden Quartal schrumpfen
Der Chefvolkswirt der DZ Bank, Michael Holstein, teilt nicht die Sorge der EZB, dass die Inflation mittelfristig zu niedrig ausfallen könnte. Dementsprechend hält er keine weiteren Zinssenkungen der Notenbank für nötig. Im Handelskonflikt mit den USA erwartet er sehr schwierige Verhandlungen für die EU.
Das Interview führte Martin Pirkl.
Herr Holstein, eine Erkenntnis des Treffens von Friedrich Merz und Donald Trump ist, dass der US-Präsident menschlich offenbar gut klarkommt mit dem Bundeskanzler. Sind Sie jetzt optimistischer, dass es im Zollkonflikt zu einer Lösung kommen wird?
Es ist ein gutes Zeichen, wenn die beiden miteinander auskommen, aber man sollte das nicht überbewerten. Die Zuständigkeit in den Verhandlungen liegt bei der EU, nicht beim Bundeskanzler. Aber natürlich ist es wichtig, einen guten Draht ins Weiße Haus zu haben. Da kann Merz offenbar helfen. Dennoch fürchte ich, dass die Verhandlungen sehr schwer werden.
Weshalb?
Für mich verdichten sich die Anzeichen, dass Trump die EU beim Handel derzeit als Hauptkonkurrenten sieht, nicht China. Wiederholt hat er gesagt, dass die EU nur gegründet wurde, um die USA über den Tisch zu ziehen. Der chinesische Präsident Xi Jinping imponiert Trump. Er sieht in ihm einen starken Staatschef. Jüngst hat sich Trump wohlwollend gegenüber XI geäußert. Die EU nimmt er dagegen etwas weniger ernst.
Ein Vorschlag der EU sieht einen gegenseitigen, vollständigen Verzicht auf Zölle vor. Halten Sie das für realistisch?
Zölle sind für Trump ein wichtiges Konzept. Er will mit den Einnahmen daraus seine Steuerreform finanzieren, Investitionen in die USA umlenken und das Handelsbilanzdefizit beseitigen. Mal dahingestellt, ob er das damit erreichen kann, scheint mir ein Verzicht auf Zölle vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich. Die Zölle dürften am Ende höher sein als zu Beginn seiner Amtszeit. Er sieht das Thema aber immerhin realistischer als noch im April. Die Marktreaktionen und Äußerungen von US-Unternehmen haben ihm gezeigt, dass er bei den Zöllen nicht zu weit gehen sollte.
Ich bin nicht besorgt über eine mittelfristig zu niedrige Inflation.
Michael Holstein, Chefökonom der DZ Bank
Auch wenn es irgendwann zu einer Zolleinigung kommt, bleibt die Frage, ob diese bestehen bleibt. Trump ist für seinen erratischen Kurs bekannt. Müssen die Unternehmen und Verbraucher dauerhaft mit der Unsicherheit der vergangenen Monate leben?
Ja, das müssen sie wohl. Für die Verbraucher im Euroraum sollte das allerdings nicht die ganz große Rolle spielen. Die Zölle könnten inflationär auf einzelne Produkte wirken, aber vermutlich nicht flächendeckend. Für die Unternehmen sind die Zölle und die Unsicherheit dagegen viel relevanter. Dies erschwert Investitionen wegen der geringen Planbarkeit.
EZB-Präsidentin Lagarde hat auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid verraten, dass der Rat intensiv über Lieferkettenstörungen diskutiert hat. Droht hier ein Inflationsschub?
Die Lieferkettenstörungen während und nach der Pandemie hatten einen Inflationsschub ausgelöst. Die jetzige Situation ist damit allerdings nur bedingt vergleichbar. Zölle sind keine physischen Schranken. Die Exportbeschränkungen für einzelne Rohstoffe, die im Zuge des Handelskonflikts beschlossen wurden, können zwar zu Lieferkettenstörungen führen. Das sieht man bereits bei seltenen Erden. Ein flächendeckender Inflationsschub ist aber eher unwahrscheinlich.

Die EZB scheint besorgt, dass der Zollkonflikt dazu führen könnte, dass China billige Waren nach Europa statt in die Vereinigten Staaten exportiert. In der Folge könnte die Inflation niedriger ausfallen als gewünscht. Ist die Sorge berechtigt?
Ich bin nicht besorgt über eine mittelfristig zu niedrige Inflation. Zum einen dürfte der Handelskonflikt nicht so deflationär wirken, wie es die EZB annimmt. Zum anderen gibt es strukturelle Faktoren wie den demografischen Wandel oder steigende Fiskalausgaben, die den Inflationsdruck erhöhen. Ich gehe daher davon aus, dass die Inflation 2026 und in den Folgejahren über 2% liegen wird.
Braucht es dann aus Ihrer Sicht überhaupt noch eine weitere Lockerung der Geldpolitik in diesem Jahr?
Kurzfristig sehe ich keinen Bedarf mehr an weiteren Zinssenkungen. Wenn ich mir die Projektionen der EZB anschaue, dann sprechen diese auch nicht zwingend für eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Schließlich sieht sich die Notenbank mittelfristig auf Kurs beim Inflationsziel.
Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die EZB in diesem Jahr nicht weiter lockert.
Michael Holstein, Chefökonom der DZ Bank
Lagarde hat am Donnerstag recht eindeutig signalisiert, dass die EZB im Juli eine Zinspause einlegen dürfte. Hat Sie das überrascht?
Wir sind schon vor dem Zinsentscheid davon ausgegangen, dass die EZB im Juli pausiert und im Herbst dann wohl eine finale Zinssenkung in Höhe von 25 Basispunkten beschließt. Dennoch war ich in der Tat überrascht, wie deutlich Lagarde diese Zinspause signalisiert hat. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die EZB in diesem Jahr nicht weiter lockert.
Ist dieses starke Signal dem geschuldet, dass das Euro-BIP im ersten Quartal mit 0,6% doppelt so stark zugelegt hat wie erwartet – und damit die Projektion des Wirtschaftswachstums nicht gesenkt wurde?
Die Wachstumszahlen der Eurozone sind ein Problem. Sie werden durch die irischen Zahlen stark verzerrt, sodass sie eigentlich keine Aussagekraft mehr über den konjunkturellen Zustand der Eurozone haben. Die extreme Revision Irlands liegt an einem sprunghaften Anstieg der Pharmaexporte in die USA. Das sagt nichts über den Zustand des Euroraums aus. Die Revision des BIP-Wachstums für den gesamten Währungsraum lag fast ausschließlich an diesem Effekt.
Wir gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal wieder schrumpft.
Michael Holstein, Chefökonom der DZ Bank
Die irischen Statistiker revidieren ihre Zahlen oft deutlich. Sie arbeiten daher an einer Verbesserung der statistischen Methoden, kommen aber offenbar nicht wirklich voran. Woran liegt das?
Das kann ich nicht beantworten. Aber so lange die irischen Zahlen so ein Störfaktor sind, würde ich mir wünschen, dass Eurostat Zahlen für die Eurozone ohne Berücksichtigung Irlands veröffentlicht.
Wie beurteilen Sie denn die konjunkturelle Lage der Eurozone?
Wir arbeiten gerade an neuen Prognosen. Mutmaßlich werden wir für das laufende Jahr aber von etwas weniger Wachstum ausgehen als die EZB mit ihren 0,9%.
Und wie sieht es mit Deutschland aus? Ist die Talsohle durchschritten?
Noch nicht ganz. Die deutsche Wirtschaft ist auch für uns im ersten Quartal überraschend stark gewachsen. Das lag aber an Vorzieheffekten wegen des Handelskonflikts. Diese entfallen im laufenden Quartal, weswegen wir davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft von April bis Juni wieder schrumpft. Dann sollte es aber langsam bergauf gehen. Auch wegen der höheren Ausgaben für Infrastruktur und Militär. Den größten Wachstumseffekt dieser fiskalischen Impulse sehen wir aber wohl erst 2027.