Deutsche Wirtschaft

ZEW-Index kann Konjunktur­pessi­mismus nicht vertreiben

Börsenprofis machen sich weiter Sorgen um die deutsche Konjunktur, auch wenn das ZEW-Barometer unerwartet leicht zugelegt hat. Die Aussicht auf die Gaspreisbremse dürfte gewirkt haben, doch die Belastungsfaktoren bleiben.

ZEW-Index kann Konjunktur­pessi­mismus nicht vertreiben

ba Frankfurt

Die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland sind im Oktober zwar leicht gestiegen, an der pessimistischen Grundstimmung der deutschen Finanzmarktexperten hat sich allerdings nichts verändert. Die Belastungsfaktoren, allen voran die hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie der Materialmangel, sind geblieben, wenn auch die Aussicht auf eine Preisbremse bei Strom und Gas für einen Lichtblick sorgt. Der deutschen Wirtschaft stehen ebenso wie der europäischen harte Monate bevor.

Die vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ermittelten Konjunkturerwartungen für die deutsche Wirtschaft sind im Oktober um 2,7 auf −59,2 Punkte gestiegen. Ökonomen hatten mit einem achten Rückgang in Folge und zwar auf −66,5 Zähler gerechnet. Dies hatte auch der Sentix-Konjunkturindex angedeutet: Das monatlich am frühesten veröffentlichte Stimmungsbarometer hatte der hiesigen Wirtschaft einen „katastrophalen Zustand“ bescheinigt, wobei der Blick auf den Euroraum ebenfalls rabenschwarz ausfiel. Damit steht zu erwarten, dass auch der Ifo-Index, der kommende Woche veröffentlicht wird, kein versöhnlicheres Bild zeigen wird.

„Insgesamt hat sich der wirtschaftliche Ausblick somit erneut verschlechtert“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach das Ergebnis der monatlichen Umfrage unter 176 Analysten und institutionellen Anlegern. Die Wahrscheinlichkeit für einen Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) im Laufe der nächsten sechs Monate sei erheblich angestiegen. Ökonomen werten den kräftigen Rückgang der Lagekomponente um 11,7 auf −72,2 Zähler als Beleg, dass die erwartete Rezession bereits begonnen hat. Die Bundesregierung erwartet für kommendes Jahr ein Schrumpfen der Wirtschaft um 0,4%, während es im laufenden Jahr noch zu einem Plus von 1,4% reichen dürfte.

Mildes Wetter hilft

Neben dem Gaspreisdeckel dürfte für Zuversicht gesorgt haben, dass die Gaspreise zuletzt merklich gefallen sind und die Gasspeicher mit mehr als 95% beinahe vollständig gefüllt, erklärte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Helfen würden auch die gegenwärtig milden Temperaturen, die dem europäischen und dem amerikanischen Wetterlangfristmodell zufolge an­halten dürften – sie deuten einen zu warmen Winter an. „Käme dies so, werden Gasrationierungen unwahrscheinlicher, was wiederum der Industrie die größten Ängste nehmen würde“, sagte Gitzel.

Allerdings spiegelt sich im jüngsten Preisrückgang „in erster Linie die rückläufige Nachfrage insbesondere aus der Industrie wider“, mahnte Jörg Angelé, Senior Economist bei Bantleon. Viele energieintensive Unternehmen hätten ihre Produktion infolge der explodierenden Energiekosten eingeschränkt oder sogar stillgelegt. Seit Jahresbeginn wurde der Output bereits um gut 9,0% zurückgefahren. Da der von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Deckel für die Gas- und Strompreise nicht zu rückläufigen Preisen führen wird, erwartet Angelé, dass Privathaushalte sowie kleinere und mittlere Betriebe im kommenden Jahr trotz der staatlichen Eingriffe für Gas und Strom 30% bis 40% mehr bezahlen müssen als im laufenden Jahr.

Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, mahnt zudem vor weiteren Belastungsfaktoren: Zuletzt habe sich auch der Zugang zu Krediten für den Mittelstand deutlich erschwert und das Insolvenzthema dürfte immer akuter werden. „Unklar bleibt, wo eine allgemeine Stimmungswende herkommen soll“, zitiert Reuters den Chefvolkswirt. Gitzel wiederum warnt, dass viele Unternehmen verunsichert seien und ihre Investitionspläne kürzen oder streichen werden. „Gerade bei den Ausrüstungsinvestitionen besteht vermutlich noch größerer Revisionsbedarf innerhalb der bislang für das Jahr 2023 ausgegebenen Konjunkturprognosen.“ Angelé erwartet, dass speziell die Bauinvestitionen „unter dem Druck massiv gestiegener Rohstoffkosten sowie erheblich höherer Finanzierungskosten einknicken werden“. Zuletzt habe es eine regelrechte Stornierungswelle insbesondere bei Wohnungsbauprojekten gegeben. Der Exportwirtschaft wiederum machen der schwache Euro und die globale Nachfrageschwäche zu schaffen. Weiteres konjunkturelles Ungemach droht von den Konsumenten, deren Laune derzeit auf dem Tiefpunkt ist. Umfragen zufolge beschränken sie sich nicht nur bei größeren Anschaffungen, sondern aus Sorge vor der nächsten Energierechnung auch schon bei Lebensmitteln. Zudem wachsen die Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale – die Gewerkschaften gehen wegen des Kaufkraftverlusts mit hohen Forderungen in die Tarifverhandlungen. Die EZB wird Ende des Monats im Kampf gegen die rekordhohe Inflation mit einem weiteren Zinsschritt nachlegen.

Ähnliches Bild im Euroraum

Die Einschätzungen der vom ZEW befragten Experten für die Eurozone fallen ähnlich trübe aus wie für die deutsche Wirtschaft: Die Konjunkturerwartungen kletterten um 1,0 auf −59,7 Punkte. Der Lageindikator rutschte um ebenfalls 11,7 auf −70,6 Zähler. Die Inflationserwartungen für die Eurozone sind im Oktober laut ZEW recht stark gesunken. Sorgen bereitet den Umfrageteilnehmern auch die sich zunehmend eintrübende Wirtschaftsentwicklung in den USA wohingegen die Konjunkturerwartungen für China etwas höher waren als im Vormonat. Dass die Veröffentlichung der chinesischen BIP-Zahlen auf unbestimmte Dauer verschoben wurde, dürfte allerdings die Einschätzung im kommenden Monat belasten.

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