Automobilindustrie

Angst vor dem iPhone-Auto

Die Bewertung von Tesla scheint auf den ersten Blick absurd. Sie spiegelt die Wette, dass Tesla für die Autoindustrie wird, was Apple für Nokia war.

Angst vor dem iPhone-Auto

Mehr als eine Billion Dollar ist der Elektroautobauer Tesla an der Börse mittlerweile wert. Damit spielt der einst chronisch defizitär operierende US-Konzern innerhalb der Automobilindustrie in einer eigenen Liga. Von den deutschen Herstellern kommt lediglich Volkswagen auf etwas mehr als ein Zehntel dieser Bewertung – bei vielfach höherem Umsatz und Gewinn. In die Bewertung ist eine künftige Branchendominanz Teslas, die Elon Musk mit seinem Fernziel von 20 Millionen verkauften Fahrzeugen pro Jahr im Kopf hat, offenbar schon eingepreist.

Viele Branchenkenner zweifeln zwar daran, dass Tesla diese Dominanz je erreichen wird – auch wenn der Siegeszug der E-Autos als fast schon ausgemacht gilt. Die eigentliche Revolution, die Tesla der Autobranche be­scheren könnte, liegt aber nicht im batterieelektrischen Antrieb. Hier können sich die Kalifornier sogar kaum mehr von der Konkurrenz absetzen. Alltagstaugliche Elektroautos bauen praktisch alle traditionellen Autokonzerne. Teilweise haben sie Tesla sogar etwas voraus – sei es Reichweite (Mercedes EQS) oder Fahrdynamik (Porsche Taycan). Ein auffälliges Alleinstellungsmerkmal hat Tesla aber noch: Kein Hersteller bietet seinen Kunden weniger Optionen an, mit denen sie ihr Auto individuell anpassen können.

Was auf den ersten Blick wie ein Nachteil erscheinen mag, zeugt vor allem von der Markenstärke des Musk-Konzerns. Während andere Hersteller sich genötigt sehen, den Kunden einen bunten Strauß an Konfigurationsoptionen feilzubieten, verkauft Tesla Autos praktisch von der Stange. Andere Sitze? Nicht im Model 3. Alternatives Dekor? Braucht es nicht. Besseres Soundsystem, optionales Head-up Display? Werdet ihr nicht vermissen. In seiner kompromisslosen Haltung erinnert Tesla an Apple in den ersten iPhone-Jahren. Auch im Mobiltelefon-Markt hatten die Platzhirsche Nokia, Palm und Blackberry lange versucht, dem vermeintlichen Wunsch nach unterscheidbarer Hardware zu entsprechen: mit Tastatur oder ohne, mit Stylus oder ohne, faltbar oder nicht, mit Wechselcovern, austauschbaren Batterien und erweiterbarem Speicherplatz. Apple ließ sich davon nicht irritieren und erklärte den Kunden selbstbewusst, die Vielfalt der Wettbewerber brauche es nicht. Das Ende der Geschichte: Die Nutzererfahrung siegte über den Optionen-Wildwuchs, und Apples Marke überstrahlt den Rest der Branche bis heute.

Nun lässt sich kaum vorhersagen, ob Tesla Ähnliches im Automobilsektor gelingen kann. Allerdings spricht einiges dafür, dass dies zumindest eine reale Gefahr ist, die von den Wettbewerbern nicht ignoriert werden sollte. Unlängst hat das Model 3 den VW Golf für einen Monat als meistverkauftes Pkw-Modell im deutschen Markt abgelöst. Für die Kunden scheint es ein geringeres Problem zu sein, auf Wahlfreiheit bei der Bestellung zu verzichten, als dies die Hersteller derzeit annehmen. Wer einen Porsche 911 für 200000 Euro oder mehr bestellt, mag wert darauf legen, exakt die Ausstattung zu bekommen, die gewünscht ist. Wer für eine Leasingrate um die 500 Euro im Monat ein Fahrzeug will, das im Alltag besteht, legt wahrscheinlich andere Maßstäbe an.

Tatsächlich dient das Konfigurationsmodell den Herstellern auch primär der Margenpflege. An einem Fahrzeug mit viel Sonderausstattung verdienen sie deutlich mehr als an der nackten Basisversion. Das ist nicht zuletzt ein Grund, warum Hersteller wie BMW, Daimler und Volkswagen trotz abstürzender Erlöse derzeit weiter satte Gewinne einfahren. Damit stellt Tesla nicht nur die Angebotsstruktur, sondern im Prinzip das Geschäftsmodell der Branche in Frage. Das teuerste Extra der Kalifornier ist ein Stück Software. 7500 Euro kann vor oder nach dem Autokauf auf den Tisch legen, wer die maximale Ausbaustufe des Tesla-Assistenzsystems Autopilot nutzen will. Wer bei Volkswagens ID-Modellen die gesamte Palette der digitalen Helfer wünscht, muss derweil eine Vielzahl von Konfigurationsentscheidungen bereits vor dem Kauf treffen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Apple ist die Langlebigkeit der Geräte. Weil iPhones auf Jahre Updates erhalten, hält sich deren Wiederverkaufswert besser als bei Konkurrenzprodukten. Und Updates kann Apple besser, weil die Software nur für wenige unterschiedliche Hardwarekonfigurationen angepasst werden muss. In der Autoindustrie ist derzeit nur ein Hersteller so aufgestellt, ein ähnliches Versprechen für seine Fahrzeuge abzugeben: Tesla. Den deutschen Herstellern kann eigentlich nur ein Rat gegeben werden, der auch Nokia hätte helfen können: Keep it simple.

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