Im BlickfeldSeltene Erden

Auf der Suche nach Alternativen

Die Abhängigkeit von Chinas Seltenen Erden stürzt die Autoindustrie in Europa in große Schwierigkeiten. Unternehmen und die EU-Politik arbeiten an Lösungen.

Auf der Suche nach Alternativen

Auf der Suche nach Alternativen

Die Abhängigkeit von Chinas Seltenen Erden stürzt Europas Autoindustrie in große Schwierigkeiten. Unternehmen und EU-Politik arbeiten an Lösungen.

Von Joachim Herr, München, und Detlef Fechtner, Brüssel

Die Abhängigkeit ist nicht neu. Aber jetzt hat sie schwere Folgen. Wegen der Exportbeschränkungen von China für Seltene Erden werden diese chemischen Elemente knapp. Industrien wie die Autobranche sind darauf angewiesen. Zwar arbeiten Unternehmen schon länger an Alternativen, um etwa Elektromotoren ohne Magneten mit dem Seltenerdmetall Neodym herzustellen. Doch an der Abhängigkeit vom klar dominierenden Lieferland China ändert sich bisher wenig.

Schon heißt es in der Branche, es herrsche Panik. Andere beschreiben die Lage weniger dramatisch. Auf jeden Fall gibt es große Aufregung. Der Engpass an Halbleitern, der bis vor etwa zwei Jahren dauerte, ist noch in lebhafter Erinnerung. In der vergangenen Woche machten Berichte aus Japan die Runde, dass Suzuki die Produktion des Kleinwagens Swift stoppen musste – wegen des Mangels an Seltenen Erden. Aus den USA heißt es, Ford habe in Chicago die Fertigung des SUVs Explorer zeitweise einstellen müssen.

„Eine begrenzte Anzahl von Exportlizenzen“

Das Bild ist allerdings nicht einheitlich. Von Hyundai in Südkorea ist zu hören, die Vorräte wichtiger Rohstoffe reichten für etwa ein Jahr aus. Von BMW hieß es in diesen Tagen, die Produktion in den Fahrzeugwerken laufe wie geplant. Mercedes-Benz beschreibt die Situation mit den Worten: „keine direkten Einschränkungen“, Volkswagen berichtet von einer derzeit stabilen Versorgung.

Auch der Lkw- und Bushersteller MAN, der zur VW-Nutzfahrzeugholding Traton gehört, beschwichtigt: Engpässe für Bauteile, die Seltene Erden enthielten, gebe es nicht. MAN habe Hinweise bekommen, die Lieferanten und Sublieferanten hätten „eine begrenzte Anzahl“ der Exportlizenzen erhalten. Dagegen ist der Branchenverband Clepa alarmiert: Europäische Fahrzeugzulieferer hätten Produktionslinien schließen müssen. Es gehe nicht nur um Komponenten für Elektroantriebe, sondern auch für Verbrennungsmotoren. Der Verband warnt: Die Lager seien bald leer. Für die nächsten Wochen befürchtet die Clepa Schlimmeres.

China und die USA nähern sich an

Mahle in Stuttgart beschreibt die Lage als „hoch kritisch“, auch wenn es noch Vorräte im Lager gebe. „Wir sehen jedoch das Risiko von Produktionsunterbrechungen“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Schaeffler bringt den Gedanken einer Verlagerung von Produktionen ins Spiel. Wenn Seltene Erden in China verbaut werden, muss der Export kompletter Bauteile wie elektrischer Antriebsachsen nicht genehmigt werden. Konkret sind die Überlegungen noch nicht. Vielleicht gebe es ja doch noch eine politische Lösung, sagt ein Sprecher von Schaeffler. Immerhin verständigten sich China und die USA am Dienstag zumindest im Grundsatz darauf, Exportkontrollen zu lockern – unter anderem für Seltene Erden.

Magnetfreier Elektromotor

Als Alternative zu diesen Rohstoffen beschäftigen sich Autohersteller und -zulieferer schon länger mit anderen Materialien und Technologien. Der Zuliefererverband Clepa erwartet, dass die Bedrohungen für die Lieferkette diese Anstrengungen verstärken werden. Doch sei nicht mit kurzfristigen Lösungen zu rechnen.

Mahle berichtete schon vor vier Jahren von der Entwicklung eines magnetfreien Elektromotors, der ohne Seltene Erden auskommt. Im Herbst des vergangenen Jahres verbündete sich das Unternehmen mit dem französischen Zulieferer Valeo, um eine magnetfreie E-Achse für Autos im oberen Segment zu entwickeln. Diese Technologie kontaktloser Leistungsübertragung sei im Markt erfolgreich, berichtet die Sprecherin von Mahle. „In Bezug auf Bauraum und Dauerhaltbarkeit“ sei sie gleichwertig mit Permanentmagnet-Motoren. Diese enthalten Seltene Erden.

Lieferant in Norwegen

BMW setzt im SUV iX schon einen Elektromotor ohne die Rohstoffe ein. An der kritischen Situation ändert der technische Fortschritt aber offenbar wenig. Um die Abhängigkeit von China zu verringern, vereinbarte Schaeffler vor drei Jahren mit dem norwegischen Unternehmen Reetec den Bezug von Seltenerd-Oxiden für Permanentmagnete in E-Motoren. Doch die für 2024 geplanten ersten Lieferungen verzögern sich weiterhin. Schaeffler geht es um eine europäische Lieferkette und um eine umweltschonende Versorgung. Dazu könnte das Recycling Seltener Erden beitragen, doch bisher spielt das nur eine minimale Rolle. Ein wesentlicher Grund ist der höhere Preis.

Die Sorge vor Unterbrechungen der Versorgung mit Seltenen Erden treibt natürlich nicht nur Europas Autobauer und Zulieferer, sondern auch die Gesetzgeber um. Voriges Jahr wurde die Europäische Akte über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) beschlossen, um systematisch das Risiko von Engpässen und besonders die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten, vor allem China, zu verringern. Das EU-Gesetz setzt auf die Kombination von fünf Maßnahmenbündeln.

Mehr Recycling

Erstens setzt sich die EU, wie so oft, ehrgeizige Ziele. Bis 2030 will sie mehr Selbstversorgung erreichen. 10% der kritischen Rohstoffe, die in der EU verbraucht werden, sollen in Europa gewonnen werden. Mindestens 40% sollen in der EU verarbeitet werden. Und 15% sollen dank Recycling zur Verfügung stehen. Zugleich soll gewährleistet sein, dass kein strategisch wichtiger Rohstoff zu mehr als zwei Dritteln aus nur einem Land bezogen wird. Ob diese Ziele realistisch sind, ist umstritten. Zweitens sollen Investitionsvorhaben zur Förderung strategischer Rohstoffe in der EU von beschleunigten Genehmigungsverfahren und einem günstigen Zugang zu Finanzierungen profitieren.

Drittens will die EU die Risiken von Versorgungsengpässen besser einschätzen und damit abmildern. Deshalb sind Stresstests für Krisenlagen vorgesehen. Viertens werden alle EU-Länder verpflichtet, ihre Anstrengungen für Recycling und Abfallverwertung kritischer Rohstoffe zu steigern. Und fünftens bemüht sich die EU darum, ihr globales Engagement zu stärken, indem Produktion und Handel mit Partnern, die als zuverlässig gelten, entwickelt werden. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Liste erster Projekte veröffentlicht: in Kanada und Grönland, Malawi und Südafrika sowie an neun anderen Standorten weltweit.