Digitalisierung

Goldgräber und Zauderer im Internet

Bei der Digitalisierung gibt es immer noch diverse Defizite in Deutschland. Aber es ist nicht alles schlecht. Die Zahl der Unternehmen, die von der Entwicklung profitieren, wächst.

Goldgräber und Zauderer im Internet

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Fortschritte in der Digitalisierung gehören zu den drängendsten Aufgaben der neuen Regierung. Dies ist breiter gesellschaftlicher Konsens, zumal seit die Internet-Wirtschaft in der Coronakrise ihre erhebliche Systemrelevanz eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat: Ohne Portalbetreiber, E-Commerce-Unternehmen, Cloud-Anbieter und Softwarefirmen wäre eine funktionsfähige Wirtschaft und der gesellschaftliche Alltag kaum zu organisieren gewesen. Der geballte Rückgriff auf digitale Technologien hat aber auch einmal mehr Schwächen und Defizite offenbart. Diese zeigten sich indes nicht, wie landläufig geradezu gebetsmühlenartig vorgetragen, in der Netzinfrastruktur. Auch wenn die seit Jahren beklagte Lücke, die Deutschland gegenüber anderen Industrieländern bei der Versorgung mit zukunftsfähiger Glasfaserinfrastruktur zeigt, noch immer groß ist, sind hier die Fortschritte deutlich zu erkennen.

Dies hat auch der Telekombranchenverband VATM in seiner jüngsten Studie zum deutschen Telekommunikationsmarkt deutlich herausgestellt. Die Zahl reiner Glasfaseranschlüsse ist mit voraussichtlich 7,5 Millionen Ende dieses Jahres zwar noch überschaubar, aber seit dem Vorkrisenjahr 2019 ist dies ein Anstieg um 83%. Überraschen kann das nicht; denn die Zahl der Goldgräber im Netz ist hierzulande in den letzten Jahren ebenfalls dramatisch gewachsen. Private Equity dringt mit Macht in die risikoarme Assetklasse Glasfaser. Dem Pionier Deutsche Glasfaser, dem EQT durch Zusammenlegung mit dem kleineren Wettbewerber Inexio zu einem Quantensprung verholfen hat, sind weitere Neugründungen gefolgt, darunter das Telefónica-Vehikel UGG unter Führung von Allianz Capital.

An Geld kein Mangel

Am Geld fehlt es denn auch nicht, resümierte der VATM. Die Investitionen ins Netz stiegen seit 2019 in Deutschland um knapp ein Sechstel, private Unternehmen investierten dabei mit +22% auf 6,2 Mrd. Euro deutlich mehr als die Deutsche Telekom, die 5% drauflegte in dieser Zeit. Indes lehrt ein Blick auf die tatsächlich vermarkteten Glasfaseranschlüsse, dass hier ebenfalls noch eine Lücke klafft. Ihre Zahl stieg immerhin um 67%, jedoch weit weniger stark als der Ausbau.

Da lohnt sich ein Blick auf die Anwendungsebene, deren Entwicklung ein eher gemischtes Bild ergibt. Die Anwendungen, die sich von Services wie zum Beispiel Cloud-Dienste über Transactions wie E-Commerce und Portale bis hin zu Paid Content (Streaming, Gaming etc.) erstrecken, sind tatsächlich von 2018 bis 2020 binnen drei Jahren nur um insgesamt 7% expandiert, inklusive eines erhofften Schubs im laufenden Jahr wird ein Plus von 15% erwartet, das allerdings offensichtlich einen Sprung voraussetzt. Ob dieser gelingt, ist alles andere als sicher. Immerhin war die deutsche Internet-Wirtschaft trotz pandemiebedingtem Digitalisierungsschub weltweit 2020 gegenüber Vorjahr per saldo von einem Umsatzrückgang von 1,2% betroffen. Dieser wenn auch geringe Wachstumsknick beleuchtet einmal mehr schlaglichtartig die Dominanz internationaler Player auf dem Anwendungsterrain, die in der Cloud (Beispiel AWS), bei E-Commerce (Amazon) oder auch bei neuen Softwaretools wie Teams, Webex (Microsoft, Cisco) stark gewachsen sind und auch hierzulande Umsätze abgegraben haben.

Allerdings fällt im Hinblick auf die zahlreichen Märkte der Anwendungsebene auch ein beschämendes Licht auf die Zauderer der öffentlichen Hand, deren Digitalisierungsanstrengungen insgesamt als mangelhaft anzusehen sind, wofür das unterentwickelte E-Government hierzulande nur ein Beispiel ist. Die geringe Digitalisierung der Verwaltung wurde just von der amerikanischen Handelskammer als gravierender Standortnachteil gebrandmarkt. Dies sollte die Brisanz der Sache nochmals unterstreichen.

Immerhin ist der Internet-Verband Eco für die Zukunft optimistisch. Zusammen mit der Beratungsfirma Arthur D. Little hat Eco für die Jahre 2021 bis 2025 ein geschätztes Wachstum für die gesamte Branche von jährlich durchschnittlich knapp 12% errechnet. In dieser Prognose sind vor allem Services & Applications (z.B. Hosting) sowie Paid Content und smarte Anwendungen die Triebfedern, die durchschnittlich 17% bzw. 15% jährlich wachsen dürften.

In den global von Anbietern aus Amerika und Asien dominierten Geschäftsfeldern hat Deutschland großen Nachholbedarf. Allerdings lenken die für Cloud-Dienste wie Software-as-a-Service oder Content wie Spiele, Musik- und Video-Streaming nötigen hohen Bandbreiten auch den Blick auf ein noch drängenderes Thema der Politik: den Klimawandel und den CO2-Ausstoß. Insbesondere mobile Breitbandnetze wie 5G haben einen sehr hohen Energieverbrauch und somit CO2-Abdruck, der kompensiert werden muss. Von daher beruhigt eine neue Studie von Accenture das Gewissen, die zu dem Schluss kommt, dass digitale Technologien – richtig eingesetzt – den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid bis 2030 um 103 bis 152 Megatonnen reduzieren können. Das wären 41% der von Deutschland zugesagten Einsparungen. Kein Grund also für Zögerer und Zauderer, in Digitalisierung und Klimaschutz ein Spannungsfeld zu sehen.