Im GesprächLucrezia Reichlin

Ökonomin Reichlin fordert EZB-Intervention in Italien

Lucrezia Reichlin ist Professorin an der renommierten London School of Economics – und Italienerin. Die Eingriffe Roms in die Konsolidierung des italienischen Bankenmarkts bezeichnet sie als Albtraum.

Ökonomin Reichlin fordert EZB-Intervention in Italien

Im Gespräch: Lucrezia Reichlin

„Hier muss die EZB intervenieren“

Die Ökonomin der London Business School hält die Eingriffe der italienischen Regierung in den Bankensektor für höchst problematisch

Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Lucrezia Reichlin beklagt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung eine zunehmende Einflussnahme der italienischen Regierung im Bankensektor. Rom verhindere damit eine notwendige Konsolidierung, was die europäische Aufsicht auf den Plan rufen sollte.

Von Gerhard Bläske, Mailand

Die Ökonomin Lucrezia Reichlin kritisiert mit sehr heftigen Worten die Interventionen Roms im Bankensektor. „Was im italienischen Bankensektor geschieht, ist in keiner Weise gerechtfertigt und steht im direkten Gegensatz zu einer stärkeren Integration des Sektors“, sagt sie im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Rom habe den Einfluss auf die Wirtschaft generell erheblich ausgeweitet. Allerdings mischten sich auch die deutsche und vor allem die französische Regierung immer stärker in die Wirtschaft ein, wie die Professorin der London Business School (LBS) ergänzt.

Widerspruch zu EU-Vorgaben

Die sogenannte Golden-Power-Regelung zum Schutz strategischer Interessen sei zwar zulässig. Doch die Bedingungen der italienischen Regierung für eine Übernahme des Banco BPM durch die Unicredit stehen im Widerspruch zu den europäischen Regeln, wie Reichlin unterstreicht. Konkret nennt sie die von Rom diktierte Verpflichtung, einen bestimmten Anteil an italienischen Staatsanleihen zu halten. „Das war schon in der Vergangenheit ein problematischer Aspekt“, bemerkt die Wissenschaftlerin.

Konsolidierungsrhetorik

Für nicht weniger problematisch hält es Reichlin, dass Rom offenbar das geplante Joint Venture zwischen der Versicherung Generali und der französischen Natixis an Bedingungen knüpfen will. „Hier muss die Europäische Zentralbank intervenieren“, sagt die Ökonomin, die auf eine lange Forschungs- und Lehrtätigkeit in den USA, in Italien, Großbritannien, Frankreich und Belgien zurückblickt und Leiterin der Forschungsabteilung der EZB war.

Wie auch andere Regierungen bekenne sich Rom zwar offiziell zur Notwendigkeit einer Konsolidierung im Bankensektor. Doch das seien Lippenbekenntnisse, denn tatsächlich verfolge die Regierung nationalistische Ansätze, kritisiert die Ökonomin. Das Resultat sei Stillstand oder sogar eine gegenläufige Entwicklung. „Da müssen die Alarmglocken schrillen“, sagt Reichlin.

Einmischung jenseits strategischer Interessen

Für problematisch hält es Reichlin insbesondere, dass sich Rom auch in nichtstrategische Angelegenheiten einmische. Dies zum Teil im Einklang mit privaten Investoren, die gar nicht aus dem Bankensektor kommen, sagt sie mit Blick auf den Bau- und Medienunternehmer Francesco Caltagirone und die Holding Delfin der Familie Del Vecchio, die Anteile an führenden Banken wie Mediobanca, Monte dei Paschi und der Versicherung Generali halten. Diese Investoren spielen eine zentrale Rolle beim Übernahmeangebot der Monte dei Paschi für die Investmentbank Mediobanca und streben eine dominante Rolle bei der Generali an.

„Die Umstände, unter denen sich der Staat und einige private Investoren in die Konsolidierung einmischen, sind sehr italienisch“, bemerkt Reichlin. „Jeder ist mit jedem verbandelt. Es ist ein Albtraum, wie das abläuft. Es ist eine Mischung aus politischen, regionalen und unternehmensspezifischen Interessen“, befindet die Spezialistin für Geldpolitik und Konjunkturzyklen.

Plädoyer für Konsolidierung

Reichlin würde eine Konsolidierung nach den Regeln des Marktes „großartig“ finden. Sie versteht nicht, warum dies etwa im Fall einer Übernahme von BPM durch Unicredit keine Akzeptanz findet. Nicht nachvollziehbar sei auch, „warum die Regierung die Übernahme von Mediobanca durch die Monte dei Paschi befürwortet, nicht aber die Übernahme der Banca Generali durch die Mediobanca, die viel sinnvoller wäre“. Denn dadurch entstünde ein großer Vermögensverwalter, ebenso wie bei der geplanten Allianz zwischen Generali und Natixis.

Skepsis gegenüber Märkten

Dabei ist Reichlin keine grundsätzliche Gegnerin staatlicher Eingriffe: „Der Fall Monte dei Paschi hat gezeigt, dass temporäre staatliche Eingriffe zu positiven Ergebnissen führen können.“ Doch in den Fällen folge die Regierung gegenwärtig einer „rein politischen Logik“. Der Widerstand gegen die BPM-Übernahme durch Unicredit und das Joint Venture von Generali Natixis sei geprägt vom Misstrauen gegenüber den Märkten, kritisiert die Ökonomin.