Amerikas Öl-CEOs arbeiten an ihrem Vermächtnis
Amerikas Öl-CEOs arbeiten an ihrem Vermächtnis
Von Alex Wehnert, New York
Michael K. Wirth wird im Oktober 65 Jahre alt – und hat eigentlich die perfekten Bedingungen für seinen Abtritt von der Bühne der internationalen Energiebranche geschaffen. Doch der Chairman und CEO des US-Ölriesen Chevron, spekulieren Beobachter, dürfte noch einen letzten großen Deal anpeilen, bevor er sich in den Ruhestand verabschiedet. Sein Pendant bei der Rivalin ExxonMobil, Darren Woods, macht aus seinen Ambitionen erst gar keinen Hehl. Er sehe „Gelegenheiten da draußen“, die reale Wertschöpfung statt reinem Produktionswachstum bieten könnten, sagte der Vorstandschef bei der Zahlenvorlage des Branchenprimus Anfang August. Eins plus eins müsse bei jedwedem Deal drei ergeben.
Cashflow unter Druck
Amerikas Ölbosse arbeiten daran, durch Fusionen und Übernahmen ihre Vermächtnisse zu sichern. Die jüngste Gewinnerosion im Sektor stachelt ihre Lust auf M&A dabei noch an. Woods sieht sich unter anderem auch unter Zugzwang, weil der Überschuss von ExxonMobil im zweiten Quartal um 23% auf 7,1 Mrd. Dollar fiel und der freie Cashflow in der ersten Jahreshälfte von 15,04 auf 14,23 Mrd. Dollar zurückging. Im Gesamtjahr rechnet der Konzern mit einem freien Cashflow von 29 Mrd. Dollar. Zuletzt hielt er Cash und Cash-Äquivalente von 14,35 Mrd. Dollar, weitere 1,36 Mrd. Dollar sind bereits in bestimmten Projekten gebunden.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jeff McIntosh
Investoren, für die der hohe Shareholder Return aus Rückkäufen und Dividenden – im abgelaufenen Viertel lag deren kombiniertes Volumen bei 9,2 Mrd. Dollar – eins der stärksten Argumente zum Kauf der Aktie ist, beobachten die Liquiditätsentwicklung von ExxonMobil mit Sorge. Hält der Supermajor tatsächlich an seinen Buyback-Zielen und zugleich an der Dividende fest, würde er 2025 nahezu 37 Mrd. Dollar an die Anteilseigner zurückführen. Es drohen also Lücken bei der Finanzierung des Programms, die ExxonMobil aus anderer Quelle schließen müsste. Investoren im Ölsektor reagieren traditionell aber mit Missfallen auf schuldenfinanzierte Aktienrückkäufe.
Streit um Förderprojekt
Woods, dessen Gesamtvergütung mit 44,1 Mill. Dollar im vergangenen Jahr 231-mal so hoch ausfiel wie jene eines durchschnittlichen Exxon-Mitarbeiters, steht aber auch unter Druck, weil sein Konzern in einem Schiedsverfahren um eins der größten Förderprojekte der Moderne den Kürzeren gezogen hat. Denn vor der Küste Guyanas hat ein Konsortium im vergangenen Jahr über 600.000 Barrel pro Tag (bpd) produziert, 2025 soll der Output auf 940.000 bpd steigen. Beteiligt waren bisher Exxon, die chinesische CNOOC und die New Yorker Hess – deren Übernahme für 53 Mrd. Dollar Chevron nun abgeschlossen hat.
Damit erhält sie Zugang zu einem 30-prozentigen Anteil an dem 2015 erschlossenen südamerikanischen Ölfeld. ExxonMobil, deren Beteiligung sich auf 45% beläuft, pochte zuvor auf ein Vorkaufsrecht für das Hess-Stück vom Kuchen. Doch die Internationale Handelskammer in Paris winkte die Akquisition von Hess durch Chevron durch, ExxonMobil fügte sich murrend.
BP wird zum Übernahmeziel
Für Wirth und Hess-CEO John Hess, der nach einer längeren Auseinandersetzung mit der US-Kartellaufsicht FTC nun doch in den Verwaltungsrat von Chevron einziehen darf, ist die Niederlage von ExxonMobil ein großer Erfolg. Der Chevron-Aktie hat der Ausgang des Guyana-Dramas Rückenwind verliehen, zumal sich langjährige Investitionen in Projekte im texanischen Permbecken oder in Kasachstan auszuzahlen beginnen. Wirth dürfte laut Branchenkennern aber bereits neue Ziele in den Fokus nehmen. BP, seit Monaten von Shareholder-Aktivisten unter Druck gesetzt, ist dabei zum heißen Übernahmekandidaten geworden. Die Briten wickeln ihre 2020 verkündete Strategiewende hin zum auf erneuerbare Energieprojekte fokussierten Net-Zero-Konzern inzwischen wieder ab.

Stattdessen fährt BP Investitionen in Öl und Gas hoch – obwohl sie Gelegenheiten, vom Preissprung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 zu profitieren, bereits verpasst hat. Rivalin Shell hat zuletzt Berichte dementiert, gemäß denen sie sich in Gesprächen zu einer Übernahme der Konkurrentin befand. Doch hält sich im Markt die Spekulation, dass sich Exxon oder Chevron an eine Übernahme von BP oder zumindest Teilen des britischen Konzerns versuchen könnten.
Bewegte Deal-Historie
Die CEOs beider US-Majors haben während ihrer langen Karrieren im jeweiligen Unternehmen schon zahlreiche Merger miterlebt und dabei äußerst gemischte Erfahrungen gemacht. Der in Wichita, Kansas, geborene Woods schloss sich Exxon nach seinem Elektro-Ingenieursstudium an der Texas A&M University und einem Master of Business Administration an der Chicagoer Northwestern University im Jahr 1992 an – Ende des Jahrzehnts folgte der 73,7 Mrd. Dollar schwere Zusammenschluss mit Mobil, damals die größte Corporate-Transaktion aller Zeiten. Der Deal legte den Grundstein dafür, dass ExxonMobil noch heute der führende in Investorenhand befindliche Öl- und Gasförderer ist und nach Marktkapitalisierung global nur hinter Saudi Aramco zurücksteht.
Weitaus weniger erfolgreich wurde allerdings die insgesamt 41 Mrd. Dollar schwere Übernahme der auf unkonventionelle Fördermethoden für Schiefergas spezialisierten XTO Energy im Jahr 2010. Das Timing stellte sich als äußerst unglücklich heraus, da ein Sprung der Erdgasproduktion kurz darauf zu einem Preissturz am Markt führte. ExxonMobil war 2020 schließlich gezwungen, eine 20 Mrd. Dollar Wertminderung auf ihre Erdgas-Assets vorzunehmen.
Marktmacht gefestigt
Woods war zu diesem Zeitpunkt für das Raffinerie- und Chemiegeschäft von ExxonMobil zuständig. Nachdem US-Präsident Donald Trump den damaligen Chairman und CEO des Ölriesen, Rex Tillerson, für den Posten des Außenministers nominierte, stieg Woods an die Vorstandsspitze auf – und verfolgte dort seine eigenen Deal-Ambitionen. Unter seiner Führung schloss der Konzern im vergangenen Jahr die 64,5 Mrd. Dollar schwere Übernahme von Pioneer Natural Resources ab, den größten Deal seit der Fusion mit Mobil. Damit festigte Exxon ihre Marktmacht im Permbecken zwischen Texas und New Mexico, der aktivsten US-Förderregion.
Zuletzt hat die Erwartung einer langsameren Energiewende unter Trump sowie die Aussicht auf kurzfristige Nachfragesprünge bei Öl und Erdgas dafür gesorgt, dass die Majors ihre Produktion trotz gesunkener Preise wieder angekurbelt haben. Woods, bei Klimaschützern aufgrund seiner Schlüsselrolle bei der Steigerung des globalen Verbrauchs fossiler Brennstoffe wiederholt in der Kritik, hatte sich im vergangenen Jahr gegen einen erneuten Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ausgesprochen – dieser wird auf Betreiben Trumps aber 2026 Realität. Zudem betonte der CEO, dass eine Abschaffung von Steuergutschriften aus dem Inflation Reduction Act von Präsident Joe Biden Investitionen der Ölriesen in Technologien zur CO2-Abspaltung und -Speicherung weitaus weniger erschwinglich mache.
Mit Klimaschützern auf Kriegsfuß
Chevron-CEO Wirth, mit einer Gesamtvergütung von 32,7 Mill. Dollar ebenfalls fürstlich und nahezu 200-mal so hoch entlohnt wie der durchschnittliche Mitarbeiter, hatte zuletzt deutlich positivere Worte für die Trump-Administration übrig. Der Präsident habe die „amerikanische Energiedominanz zur Priorität gemacht“, betonte der Manager jüngst beim erzkonservativen Fernsehsender „Fox News“. Wirth, unter dessen Führung sich Chevron wiederholt Greenwashing-Vorwürfen ausgesetzt sah, sorgte auf Nachfrage des Wirtschaftssenders „CNBC“ zu Investitionen in alternative Energien einst mit der Aussage für Kontroversen, sein Konzern würde „das Geld lieber an Aktionäre zurückführen, damit sie Bäume pflanzen oder in einen Wind- oder Solarentwickler investieren können“.
Im Streit um angeblich übermäßig komplexe und geschäftsfeindliche Klimaregulierungen in Kalifornien verlegte Chevron ihren Hauptsitz unter Wirths Führung vom Westküstenstaat nach Houston. Der Manager, seit 1982 im Konzern, während seiner Karriere in vielerlei Geschäftsbereichen vom Ingenieurswesen bis hin zum Marketing aktiv und 2018 als Nachfolger von John S. Watson an der Vorstandsspitze, zog dabei auch privat nach Texas um. Angeblich steht der Absolvent der University of Colorado, schon zu Schulzeiten als Football- und Basketballspieler erfolgreich, jeden Morgen um 3.45 Uhr auf, um ein anderthalbstündiges Workout einzulegen. Dass der Vater von vier inzwischen erwachsenen Kindern in seinem Elan nachlässt, steht laut Wegbegleitern auch über seinen 65. Geburtstag hinaus nicht zu erwarten. Auf de Ölmarkt kommt damit wohl noch viel Übernahmeaktivität zu.