Lars Klingbeils Sprung ins kalte Wasser
Lars Klingbeils Sprung ins kalte Wasser
Von Andreas Heitker, Berlin
Als Linken-Chefin Ines Schwerdtner ihm am Montag „lupenreine FDP-Politik“ vorwirft, scheint Lars Klingbeil in seiner neuen Rolle als Finanzminister endgültig angekommen zu sein. Die Haushaltsverfahren für 2025 und 2026 waren gestartet worden, und Klingbeil hatte alle Kollegen aus dem Kabinett zu Einsparungen aufgerufen. Damit trete der SPD-Chef in die Fußstapfen seines Vorgängers Christian Lindner, meint Schwerdtner und ätzt: „Da hätten wir gleich die Liberalen in der Regierung lassen können.“
Dabei hatte Lars Klingbeil, 47 Jahre, verheiratet, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte, mit Finanz- und Haushaltspolitik in seiner bisherigen politischen Karriere wenig Berührung. Mittwoch, 7. Mai: Einen Tag nach seiner Vereidigung steht der Niedersachse zusammen mit seinem Kurzzeit-Vorgänger und Parteifreund Jörg Kukies in der Mittagshitze im Garten des Bundesfinanzministeriums. Übergabe des Ministeriums. Kukies, der in der Vergangenheit viele Jahre für Goldman Sachs unterwegs war und die Bank- und Kapitalmarktthemen bei seinem Amtsantritt schon aus nächster Nähe kannte, sagt, er sei schon seit Jahren mit Klingbeil im Austausch. Dieser habe an den Finanzthemen immer „großes Interesse“ gehabt. Hätte jemand anderes dies so gesagt, hätte es auch weniger nett klingen können.

In seiner ersten vollen Arbeitswoche als Bundesfinanzminister geht es dann Schlag auf Schlag. Montag Eurogruppe und Dienstag EU-Finanzministertreffen in Brüssel. Es geht gleich um den potenziell bedeutenden Konflikt, dass die großen deutschen Schuldenpakete gegen die neuen EU-Fiskalregeln verstoßen könnten. Klingbeils smarte Diplomatie, die er in den letzten Jahren in der SPD oft benötigt hat, ist gleich wieder gefragt.
Fachbeamte loben schon länger Klingbeils Bereitschaft zuzuhören – und was mindestens genauso wichtig ist: seine Fähigkeit, Argumente schnell aufzunehmen und einzusortieren. Bei den öffentlichen Auftritten rund um seinen Antrittsbesuch im Kreise seiner EU-Amtskollegen war zu beobachten, dass er trotz des neuen Ressorts die Bälle in der Luft halten kann, wenn er wirkungsvoll von den Fachabteilungen vorbereitet wird.
Hohe Arbeitsbelastung
Zumindest in Europa ist das Timing für ihn günstig. Bis zum Sommer stehen in der Finanzmarktregulierung keine ganz großen Entscheidungen an. Und auch die aus deutscher Sicht stets besonders heiklen Diskussionen über Themen wie Euro-Bonds oder Einlagensicherung schlagen keine großen Wellen, sodass etwas Zeit zur Einarbeitung bleibt. Gott sei Dank ist die Lage an Europas Kapitalmärkten aktuell relativ stabil.
Nach Rückkehr aus Brüssel steht am Dienstagabend noch ein Auftritt beim Wirtschaftsforum der SPD an. Der Unternehmerverband feiert am Potsdamer Platz sein zehnjähriges Bestehen. Als Klingbeil, der im letzten Sommer zum ersten Mal Vater geworden ist, vom Moderator gefragt wurde, was sich für ihn persönlich seit seinem Amtsantritt geändert habe, antwortet er, er habe vorher nicht gedacht, dass er noch mehr arbeiten könne.
Der „Investitionsminister“ will sich von Lindner abgrenzen
Finanzpolitische Themen meidet Klingbeil auch an diesem Abend. Er spricht erneut lieber über den Koalitionsvertrag und das neue Sondervermögen. Seine Botschaft, die er auch bei der Regierungsbefragung im Bundestag am Mittwochmorgen und am Tag darauf in einer Regierungserklärung gebetsmühlenhaft wiederholt: Er wolle auch Investitionsminister sein. Das Finanzministerium solle zum Investitionsministerium werden. Es ist auch der Versuch, sich von der Lindner-Ära abzugrenzen.
Das Finanzministerium soll für den Sozialdemokraten das Machtzentrum und das Sprungbrett werden für mehr. Die nächste Bundestagswahl ist bereits jetzt im Blick. Dafür lohnt sich in diesen Tagen auch der Sprung ins kalte Wasser.
Von Klingbeil hängt entscheidend ab, ob die Koalition funktioniert
Donnerstag geht es ans Eingemachte: Klingbeil muss erklären, was die neue Steuerschätzung für den Haushalt 2025 bedeutet, der ja schon am 25. Juni ins Kabinett soll. Er versucht zu beschwichtigen: Die neuen Steuerausfälle seien schon in den Koalitionsverhandlungen erwartet worden. Und er sagt Sätze wie: „Eine der größten Entlastungen wird sein, wenn das Land wieder funktioniert.“
Der Minister, der dem konservativen Seeheimer Kreis in der SPD angehört, will an dem Ziel mitarbeiten. Am Dienstag zog es ihn zunächst in die brandenburgische Provinz zum Ostdeutschen Wirtschaftsforum. Wenig später startete der Flieger zum G7-Finanzministertreffen in Kanada. Klingbeil braucht ein breites Netzwerk. Und er weiß, dass vieles auch von ihm abhängt, ob die Koalition hält oder nicht.