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Aktionäre müssen sich hinten anstellen

Insolvenzen börsennotierter Gesellschaften haben für deren Aktionäre besondere Auswirkungen.

Aktionäre müssen sich hinten anstellen

Von Elske Fehl-Weileder und Michael Rozijn *)

Am 28.10.2022 gab der Vorstand des Online-Händlers Windeln.de im Rahmen der aktienrechtlichen Ad-hoc-Pflicht bekannt, dass er für die Gesellschaft unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen würde, was am 4.11. geschah. Die Insolvenz einer Aktiengesellschaft (AG) wird also in der Regel schneller bekannt als bei anderen Gesellschaften. Daneben gibt es weitere Besonderheiten – gerade für die Aktionäre.

Totalverlust droht

Generell gilt: Aktionäre sind – anders als die Inhaber von Wandelanleihen oder Genussscheinen – Gesellschafter des Unternehmens, dessen Aktien sie besitzen. Geht es dem Unternehmen wirtschaftlich gut, profitieren Aktionäre von ihrer Beteiligung – etwa durch Gewinnausschüttungen. Als Gesellschafter tragen Aktionäre aber auch die Risiken eines Eigenkapitalgebers: Aktionäre sind in der Insolvenz keine Gläubiger – auch wenn sie der Gesellschaft mit der Zeichnung der Aktien Kapital gegeben haben. Sie erhalten daher erst eine Auszahlung, wenn die Forderungen aller Gläubiger und die Verfahrenskosten bezahlt worden sind, was erfahrungsgemäß selten der Fall ist. Aktionären droht im Falle einer Insolvenz der Gesellschaft also ein finanzieller Totalverlust.

Die Gesellschafter können ihren Verlust nicht als Schadenersatzanspruch beim Insolvenzverwalter anmelden. Das hat zuletzt am 23.11.2022 das Landgericht München im Zusammenhang mit Wirecard (noch nicht rechtskräftig) entschieden und damit die bisherige Rechtsprechung bestätigt. Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft müssen Aktionäre aber nicht einstehen, da sie nicht zum Nachschuss verpflichtet sind.

Mitunter sehen sich Aktionäre in einer Insolvenz der Gesellschaft damit konfrontiert, dass der Insolvenzverwalter aktienrechtliche Dividendenauszahlungen im Zuge der sogenannten Insolvenzanfechtung von ihnen zurückfordert, welche die Aktionäre teils Jahre zuvor ausgezahlt bekommen haben. Das ist unter anderem auf Basis einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aus dem Mai 2022 (4 U 310/19) und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) möglich – allerdings nur, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft für nichtig erklärt werden.

Das kann etwa der Fall sein, wenn diese auf falschen Angaben beruht haben, Stichwort Wirecard. Die Dividendenzahlung ist dann rechtsgrundlos. Der bösgläubige Aktionär hat eine solche Zahlung nach dem Aktiengesetz (§ 62 Abs. 1), der gutgläubige nach § 134 der Insolvenzordnung zurückzuzahlen.

Natürlich ist nicht jede Insolvenz einer AG gleich mit illegalen Machenschaften verbunden. Gleichwohl stellt sich vielen Aktionären spätestens beim Insolvenzantrag ihrer Gesellschaft die Frage, wie sie ihren finanziellen Schaden reduzieren oder sogar komplett ersetzt bekommen könnten. Eine Option ist, gegenüber den Vorständen der Gesellschaft einen sogenannten Reflexschaden geltend zu machen. Von Reflexschaden spricht man hier, da der finanzielle Schaden der Aktionäre indirekt – als Reflex – der Schäden eingetreten ist, die durch die Entscheidungen des Vorstands dem Unternehmen entstanden sind.

Die Ankündigung eines Insolvenzantrags für die Gesellschaft hat in der Regel für die Aktionäre die (indirekte) Auswirkung, dass der Aktienkurs der Gesellschaft wie auch bei Windeln.de (stark) einbricht. Inwieweit der Kursrückgang allerdings eine direkte Folge der Ankündigung des Insolvenzantrags ist, lässt sich mitunter nur schwer feststellen – auch wenn sie auf den ersten Blick naheliegend zu sein scheint. Denn der Aktienkurs ist nur das Ergebnis von Angebot und Nachfrage für die Aktie, er muss nicht identisch mit seinem tatsächlichen Wert sein.

Es stellt sich auch die Frage, welche Entscheidung des Vorstands für den Reflexschaden überhaupt ursächlich ist: Die Ankündigung des Insolvenzantrags, der Insolvenzantrag selbst oder eine Entscheidung des Vorstands, die zur finanziellen Schieflage der Gesellschaft geführt haben könnte? Dazu, dass ein möglicher Reflexschaden in der Regel nur schwer festzustellen ist, trägt auch die Tatsache bei, dass es dazu bislang nur wenig Rechtsprechung gibt.

Für die fallenden Aktienkurse und einen möglichen Totalverlust ihres Investments im Zuge eines Insolvenzantrags ihrer Gesellschaft einen Reflex-Schadenersatz zu erstreiten, ist für Aktionäre also aufwändig und ein Erfolg alles andere als klar.

Kein Delisting-Automatismus

Ein Punkt, der bei der Insolvenz einer AG hingegen sehr klar ist, ist die Börsennotierung an sich. Der Insolvenzantrag führt nicht automatisch zum Delisting. Es ist also weiterhin möglich, Aktien einer insolventen Gesellschaft zu handeln. Von der Sanierung einer insolventen AG profitieren die Aktionäre jedoch in den seltensten Fällen.

In der Regel werden die Vermögenswerte der insolventen an eine neue Gesellschaft verkauft und übertragen. Die Aktionäre bleiben aber an der insolventen Gesellschaft beteiligt und diese wird, sobald das Vermögen an die Gläubiger verteilt ist, im Insolvenzverfahren abgewickelt. Für die Aktionäre gilt hier die Devise: Bitte hinten anstellen!

*) Dr. Elske Fehl-Weileder und Dr. Michael Rozijn sind Experten für Insolvenz- und Gesellschaftsrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun.

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