Aus der Kapitalmarktforschung

Finanzbildung beeinflusst die Wirkung der Inflation

Die meisten privaten Haushalte spüren zwar im täglichen Leben die Inflation. Beim Wissen über die Wirkung auf Kredite und Sparprodukte besteht aber Nachholbedarf. Das hat Folgen für die Effektivität der Geldpolitik. Ein Feldexperiment gibt Aufschluss über die Wechselwirkungen.

Finanzbildung beeinflusst die Wirkung der Inflation

Finanzbildung beeinflusst die Wirkung der Inflation

Feldexperiment zu Verhaltensanpassungen privater Haushalte nutzt zusätzliche Erkenntnisse aus realen Kontotransaktionsdaten

Die meisten privaten Haushalte spüren zwar im täglichen Leben die Inflation. Beim Wissen über die Wirkung auf Kredite und Sparprodukte besteht aber noch Nachholbedarf. Dies hat auch Folgen für die Effektivität der Geldpolitik. Ein Feldexperiment gibt Aufschluss über die Wechselwirkungen.

Die Inflation erreichte 2022 in Deutschland ein Niveau, das viele Menschen zuvor noch nie erlebt hatten. Wie sie dieses Phänomen im Hinblick auf die eigene Vermögenssituation wahrnehmen und darauf reagieren, ist nicht zuletzt für die Wirkung von Zentralbankpolitik von entscheidender Bedeutung, jedoch empirisch schwer zu erfassen. Denn die klassischen Instrumente wie repräsentative Befragungen oder Auswertungen von Daten aus amtlichen Statistiken reichen hierfür nicht aus. Um den Nexus zwischen Präferenzen, Erwartungen, Informationsausstattung und schließlich Verhalten zu entwirren, muss auch die ökonomische Forschung auf Feldexperimente setzen. Die Einbindung realer Kontotransaktionsdaten eröffnet, wie im hier skizzierten Experiment, zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten.

Asymmetrische Wirkung

In der Regel fürchten private Haushalte hohe Inflation, weil die Einkommen meist nicht mit dem Preisanstieg Schritt halten und Sparguthaben, kapitalbildende Versicherungen sowie Renten entwertet werden. Einige Haushalte jedoch können von Inflation profitieren: So verringert Inflation den realen Wert von Schulden mit festen nominalen Zinsverpflichtungen, insbesondere wenn die entsprechenden Kredite eine lange Restlaufzeit haben. Manche Kreditnehmer sind somit weniger von der Inflation betroffen als ansonsten vergleichbare Haushalte. Einige können sogar zu Inflationsgewinnern werden, falls die Einkommensströme aus Arbeit, Immobilien und Kapital zumindest teilweise mit der Inflation mithalten.

Diese asymmetrische Wirkung der Inflation führt zu einer Vermögensumverteilung in der Gesellschaft, nämlich von Sparern zu Schuldnern, und in Folge dessen zu unterschiedlichen Konsumreaktionen. Sparer, konfrontiert mit Vermögenseinbußen, können dazu neigen, ihren Konsum zu reduzieren, während Schuldner durch das Plus beim Nettovermögen zu Mehrkonsum animiert sein können. Jene Umverteilungs- und Konsumeffekte können angesichts der großen Volumina von Einlagen und Krediten auf den Bilanzen der privaten Haushalte erheblich sein. Die Fragen, welche Haushalte wie stark betroffen sind und wie diese dann reagieren, haben damit Relevanz für die Finanzbranche und für Zentralbanken. Denn Verhaltensanpassungen der Haushalte verändern nicht nur die Nachfrage nach Einlagen und Krediten, sondern in Kombination mit etwaigen Konsumanpassungen auch die Wirksamkeit der Geldpolitik.

Kausale Rückschlüsse möglich

Wie angedeutet, ist die Untersuchung dieser Wirkungskette herausfordernd. Es gilt sowohl zu erkunden, inwiefern sich die Haushalte überhaupt darüber bewusst sind, wie die Inflation den Wert der verschiedenen Positionen auf ihrer Privatbilanz verändert, als auch zusätzlich zu messen, wie sie mit ihrem tatsächlichen Konsum auf eine erkannte Netto­ver­mögens­änderung reagieren. In unserem Feldexperiment werden dazu die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip in Gruppen eingeteilt, die mit verschiedenen Informationen, Anreizen oder Entscheidungsoptionen konfrontiert, sonst aber in jeder Beziehung identisch mit einer gesonderten Kontrollgruppe behandelt werden. Aus dem Vergleich der Antworten der Gruppen lassen sich kausale Rückschlüsse auf die Effekte der Intervention auf Wissen, Einstellung und Handlungspläne ziehen. Und wenn zusätzlich das reale Konsum- und Sparverhalten der Personen außerhalb des Experiments beobachtet werden kann, dann lässt sich die gesamte Wirkungskette von Informationsbereitstellung bis Verhaltensanpassung ausleuchten.

Unübliche Zusammenarbeit

Derartige Experimente, die Befragungsdaten mit realen Kontotransaktionsdaten einer Bank kombinieren, sind in der Ökonomie noch immer die Ausnahme. Sie erfordern nicht nur die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis bei der Auswahl und Ansprache der Teilnehmenden für ein Online-Experiment, sondern auch die spätere Kombination von Befragungs- und Transaktionsdaten zu einem anonymisierten Datensatz. Erfreulicherweise konnte eine solche technische und organisatorische Forschungsinfrastruktur durch die Zusammenarbeit des House of Finance der Goethe-Universität mit der Deutschen Bank geschaffen und bereits für mehrere solcher Feldexperimente genutzt werden.

4.000 Probanden

Zurück zur Frage nach den Umverteilungswirkungen der jüngsten Inflationsperiode in Deutschland. Wir wollten untersuchen, inwiefern Haushalte Erwartungen und Verhalten anpassen, nachdem sie zur Erkenntnis gelangt sind, dass Inflation nicht nur den realen Wert von Sparvermögen, sondern auch den von Krediten erodiert. Wir haben zu diesem Zweck im Juli 2022, als die Inflation in Deutschland mit 8,7% auf einem 70-Jahres-Hoch lag, knapp 4.000 Kundinnen und Kunden der Deutschen Bank zur Teilnahme an einem Online-Experiment gewinnen können.

Das Online-Experiment bestand aus drei Teilen. Zu Beginn wurden die Teilnehmenden nach ihrem allgemeinen Wissen zu Inflation und speziell zur Wirkung der Inflation auf ver­schiedene Finanzprodukte befragt. Danach wurden sie gebeten zu schätzen, wie sich der Wert ihrer eigenen Anlagen, Schulden und damit ihres Nettovermögens zusammensetzt. Die Antworten geben uns Hinweise, wie stark und in welche Richtung die einzelnen Teilnehmenden von der Inflation betroffen sind.

Die anschließende Informationsintervention bildet den Kern unseres Experiments. Wir teilten die Befragten zufällig in zwei Zielgruppen und eine Kontrollgruppe ein. Die erste Zielgruppe erhielt Informationen über die Auswirkungen der Inflation auf den Realwert von Sparguthaben und die zweite Zielgruppe spiegelbildlich Informationen über die Auswirkungen der Inflation auf den Realwert von Schulden. Die Kontrollgruppe erhielt keinerlei derartige Informationen. Im dritten Teil des Experimentes wurden alle drei Gruppen gefragt, wie sehr sie ihre eigene Nettover­mögens­position von der Inflation betroffen sehen und was ihre Zukunftspläne für Konsum und Sparen sind. Außerdem ließen wir alle Teilnehmenden eine hypothetische Kredit­entscheidung tätigen. Um tatsächliche Verhaltensanpassungen im Nachgang zum Experiment zu messen, wurden zudem die anonymisierten Kontodaten untersucht. Aus dem Vergleich der aggregierten Transaktionen der drei Gruppen vor und nach dem Experiment lässt sich prüfen, inwieweit die bereitgestellten Informationen zur Wirkungsweise der Inflation das Verhalten der Zielgruppen beeinflussten. Nur durch den Abgleich mit der Kontrollgruppe lässt sich Kausalität nachweisen und ausschließen, dass Konsumanpassungen in der Zielgruppe durch zufälligerweise zeitgleich stattfindende Ereignisse in Politik und Wirtschaft verursacht wurden.

Hohes Allgemeinwissen

Das Experiment lieferte folgende Erkenntnisse: Das Allgemeinwissen der teilnehmenden Haushalte zum Thema Inflation ist hoch. Die durchschnittlich angegebene Inflationsrate von 8,8% wich kaum von der tatsächlichen Höhe von 8,7% ab. Die meisten Haushalte wissen auch um die negativen Auswirkungen der Inflation auf den realen Wert von Sparguthaben. So glauben 75% der Befragten, dass die Auswirkungen unerwarteter Inflation auf Festzins-Sparprodukte sehr negativ oder negativ sind. Interessanterweise wussten jedoch nur 31% über den aus Schuldnersicht positiven Realeffekt der Inflation auf laufende Kredite mit Zinsbindung Bescheid. Diese deutliche Asymmetrie in der Gesamtstichprobe zwischen Spar- und Kreditseite war nicht zu erwarten, denn die Befragten sind größtenteils über­durch­schnittlich gebildet, haben nennenswerte Einlagen- und Kreditbeträge auf ihrer Privatbilanz und beschäftigen sich nach eigener Aussage intensiv mit den eigenen Finanzen. Sogar in der Gruppe der Nettoschuldner war die Wissensasymmetrie vergleichbar groß, so dass davon auszugehen ist, dass einige Teilnehmende von der Inflation profitiert hatten, ohne es zu wissen.

Kann eine aufklärende Intervention das Denken und Handeln der betroffenen Haushalte beeinflussen? Tatsächlich sah die erste Zielgruppe, die zur Wirkung der Inflation auf Sparprodukte informiert wurde, Sparprodukte danach noch stärker von der Inflation entwertet.  Die zweite Zielgruppe, die über Werterosion von Krediten durch Inflation aufgeklärt wurde, sah nach dem Experiment den Inflationsschutz durch Kredite deutlich positiver. Befragt nach der realen Veränderung ihres Nettovermögens über die vergangenen zwölf Monate, unterschieden sich beide Zielgruppen signifikant von der Kontrollgruppe. Die erste Zielgruppe mit Informationen zu Sparguthaben sah ihr Vermögen mit –7,3% deutlich mehr betroffen als die Kontrollgruppe mit –5,6%. Bei der Zielgruppe mit Informationen zu Krediten war der Informationseffekt abermals stärker: Sie sah ihr Nettovermögen nur um 2,9% vermindert. Die Diskrepanz der Mittelwerte zwischen der zweiten Zielgruppe und der Kontrollgruppe geht vor allem auf das Antwortverhalten der Nettoschuldner unter den Teilnehmenden zurück, für die die Krediterosion besonders relevant ist. Die Gruppe sah ihr Nettovermögen so gut wie gar nicht von der Inflation erodiert.

Effekt auf Konsum ...

Wenn die Intervention so merkliche Effekte auf die Wahrnehmung der eigenen Vermögens­situation hatte, dann könnte sie sich auch als handlungsleitend erwiesen haben. Dazu fragten wir erstens alle drei Gruppen nach ihren Konsumplänen über die folgenden Wochen und verglichen zweitens die tatsächlichen Konsummuster vor und nach dem Experiment. Die zweite Zielgruppe, die Informationen zur Werterosion von Krediten erhielt, plante über alle Teilanalysen hinweg Mehrausgaben von 5%. Dies spiegelt sich auch in der Analyse der Kontotransaktionen. In den Wochen nach dem Experiment gab die zweite Zielgruppe im Vergleich zu den
anderen beiden Gruppen signifikant mehr Geld aus. Die Ergebnisse legen somit
nahe, dass Haushalte auf inflationsinduzierte Veränderungen des realen Netto­vermögens mit Konsumanpassungen reagieren, vorausgesetzt, sie sind sich dieser Vermögenseffekte auch bewusst.

... und Kredite

Als Letztes prüften wir, ob die Aufklärung zur Wirkung der Inflation auf Kreditwerte auch zukünftige Kreditentscheidungen beeinflussen könnte. Dazu konfrontierten wir alle Teilnehmenden mit einem hypothetischen Immobilienkauf, der sowohl über Eigenkapital als auch über Kredite finanziert werden konnte. Abermals zeigt vor allem die Intervention auf der Kreditseite starke Wirkung. Teilnehmende aus der zweiten Zielgruppe entschieden sich für einen höheren Kreditanteil bei der Finanzierung und eine längere Festzinsbindung im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Aus unseren zentralen Ergebnissen, dass sich die meisten Haushalte in Deutschland der Kreditentwertung durch Inflation nicht bewusst sind und dass eine dahingehende Aufklärung im Rahmen eines Experiments zur Anpassung von Einstellungen, Plänen und sogar Handlungen führt, ergeben sich Implikationen für Banken, Zentralbanken, Politik und Wissenschaft. Kreditinstitute sollten Informationen zur Wirkung von Inflation auf den realen Wert von Krediten in Beratungsgespräche einfließen lassen, damit die Kundinnen und Kunden fundiert entscheiden können, z.B. hinsichtlich der Kredithöhe, der Dauer der Zinsbindung und der Tilgungsmodalitäten. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, in welcher Phase des Zinszyklus sich die Volkswirtschaft befindet.

Interessante Ansätze für weitere Forschung

Für die Geldpolitik liefert die Studie Impulse zur Weiterentwicklung von Theoriemodellen, die aus inflationsbedingten Nettovermögenseffekten strikt positive Konsumeffekte für Kreditnehmer ableiten. Wenn jedoch den meisten Haushalten diese Vermögenseffekte gar nicht bewusst sind, dann wirkt dieser geldpolitische Kanal nur eingeschränkt. Für die Wissenschaft folgt, dass experimentelle Feldforschung in Zusammenarbeit mit Finanzinstitutionen neue Horizonte für praxis- und politikrelevante Forschungsfragen und deren verlässliche Beantwortung eröffnet. Weitere Beispiele dafür sind: Welche Rollen spielen Renditeerwartungen, persönliche Nachhaltigkeitsziele und soziale Normen für die „grüne“ Geldanlage? Sind vermeintlich irrationale Finanzentscheidungen privater Haushalte mehr durch Unwissen, verzerrte Erwartungen oder eintrainierte Verhaltensmuster geprägt? Was sind aus Haushaltssicht die wichtigsten Hürden für mehr private Altersvorsorge? In Summe ergeben sich so zahlreiche sehr spannende weitere Forschungsansätze und die Möglichkeit, echte Feldexperimente für die Wirtschaftswissenschaften zu nutzen.

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